Herr Bruck, Herr Straubel, im Zeitalter von Social Media ist der Begriff Dialogmarketing etwas aus der Mode gekommen. Stirbt das Dialogmarketing, so wie wir es kennen?
OLIVER STRAUBEL, Gesellschafter der Quadress GmbH: Das habe ich nun schon so oft gehört und nie hat es gestimmt. Das Gegenteil ist doch der Fall: Gut gemachtes Social Media ist Dialogmarketing und die besonders guten Digitalunternehmen setzen inzwischen auch auf Klassik. Amazon hat den Paketbeileger neu erfunden und lässt sich das von Werbepartnern teuer bezahlen. Und Zalando druckt einen Magalog, also die Kombination aus Katalog und Magazin.
SVEN BRUCK, Inhaber der Agentur die dialogagenten: Allerdings ist auch längst nicht alles Dialog, was in Social Media geschieht. Die wenigsten Unternehmen haben verstanden, dass die Menschen erstaunlicherweise mit Unternehmen lieber über das reden, was sie selbst interessiert, als über die Produkte des Unternehmens. Die neuen Möglichkeiten aus sozialen Medien und anderen neuen Medienformaten stellen doch eher das Gesamtmarketing in den Kontext Dialog. Vieleicht ist der Begriff durch seine traditionelle Nähe zum alten Direktmarketing etwas belastet – aber die Sache an sich ist aktueller denn je.
Produkte allein genügen also nicht mehr, um mit Kunden in Dialog zu treten?
BRUCK: Unternehmen müssen sich unabdingbar bei den Kunden machen: „Wir sind ihr Ansprechpartner für XY“. Dafür ist ein gutes Produkt eine zwingende Voraussetzung, aber in der Regel ist die Geschichte zum Produkt und zum Unternehmen mindestens ebenso wichtig. Die Unternehmen sollten sich frühzeitig fragen, welche Rolle sie bei Kunden einnehmen wollen. Sie wollen nicht nur Lieferant sein, sie wollen Partner sein, Familienmitglied, um eine dauerhafte Beziehung aufzubauen.
STRAUBEL: Genau. Sobald der Dialog läuft, wird auch die Gefahr geringer, Entwicklungen zu übersehen. Denken Sie an das Thema Fernsehen. Teenager brauchen keinen Fernseher mehr, sie haben ja ein iPad. Und als ich da neulich drüber nachdachte, stellte ich fest, dass ich meinen Fernseher auch immer weniger benutze.
Wo sehen Sie denn derzeit die größten Trends im Bereich Dialogmarketing?
BRUCK: Zunächst muss man feststellen, dass Trends kommen und gehen, aber es gibt darunterliegende Konstanten, die man schon erkennen sollte. Zum Beispiel war die Personalisierung von Angeboten vor 50 Jahren schon die Grundlage des deutschen Versandhandels. Wir haben heute neue Technologien, das geht schneller, aber das Prinzip bleibt das Gleiche.
STRAUBEL: Ich bin der Meinung, dass sich zu viele Unternehmen und Marketingabteilungen zu stark vor allem von technischen Trends leiten lassen und es dabei versäumen, eine emotionslose Bilanz zu ziehen. Ich sprach eben schon von dem Postweg. Auch das Telefon funktioniert nach wie vor sehr gut als Kommunikationskanal. Näher kommen Sie kaum an einen Kunden ran.
Also sollte man von Social Media lieber die Finger lassen?
STRAUBEL: Nein, keineswegs. Im Gegenteil. Wir vom Dialogmarketing werden ja derzeit an den Datenschutzpranger gestellt, dabei ist das absoluter Unsinn. Unsere Werbung funktioniert doch nur, wenn die Menschen nicht davon genervt sind. Aber wenn diese Menschen freiwillig Daten in Social Media preisgeben, dann darf man diese doch auch für die relevantere Werbung nutzen, oder? Facebook ist doch nur ein kostenloses Angebot. Da muss keiner mitmachen.
Herr Bruck, Sie sagten eingangs, dass die Menschen gerne über das reden, was sie interessiert. Sind da Themen zu erkennen, die über einen längeren Zeitraum funktionieren, also keine unmittelbaren Modeerscheinungen sind?
BRUCK: In der Tat, davon gibt es einige. Das beginnt bereits beim Lebensentwurf. Da mehren sich tatsächlich die postmaterialistischen Argumente. Lebensqualität wird also wichtiger als Geld. Also stellt sich für Unternehmen die Frage, ob ihre Kommunikation dem entspricht, was der potentielle Kunde unter Lebensqualität versteht. Das gilt übrigens nicht nur in der Endkundenwerbung sondern auch gegenüber potentiellen Mitarbeitern. Vielleicht geht es dem Bewerber weniger um den letzten Cent im Gehalt.
Damit wären wir beim nächsten Thema, Work-Life-Balance. Das ändert nicht nur die Inhalte, sondern auch die Art, wie wir kommunizieren. Wenn das Unternehmen abends den E-Mail-Server abschaltet, dann erreicht man die Kunden auf diesem Weg eben nur noch während der Arbeitsstunden.
Das Arbeitsleben wird sprunghafter, vielfältiger. Tatsächlich geht sogar der Begriff des Berufs verloren. Und was macht dann eine Versicherung, die Policen gegen Berufsunfähigkeit verkauft? Die kommuniziert eventuell am Markt vorbei.
STRAUBEL: Erinnern Sie sich an die Krombacher-Regenwald-Kampagne von vor ein paar Jahren? Das war klassisches Push-Marketing. Das würden wir heute gar nicht mehr wahrnehmen.
Hören die Kunden überhaupt noch auf das, was Unternehmen sagen? Dafür gibt es doch Ratings und Reviews.
BRUCK: Doch, nämlich dann, wenn die Botschaft relevant ist und die Nutzer dem Unternehmen vertrauen. Tatsächlich wird das Thema Vertrauen in den nächsten Jahren wichtiger, denn wir kommen gerade an die Grenzen der Selbstorganisation. Wir haben gelernt, dass komplexere Produkte wie zum Beispiel eine Urlaubsreise eben nicht so leicht von Amateuren online zusammengestellt oder gar nachträglich geändert werden können. Und gleichzeitig haben wir durch die Preistransparenz im Netz eine Kontrollmöglichkeit. Nun können wir also diese Organisation wieder delegieren, ohne Angst zu haben, dass man uns übers Ohr haut. Denken Sie etwa an Outfittery oder Modomoto. Dort lassen sich Kunden gegen Geld von einem Stilberater ausstatteten. Das ist in etwa das gleiche Geschäftsmodell wie beim Herrenausstatter von vor einhundert Jahren.
STRAUBEL: Ich würde das sogar für Medien gelten lassen. Lange Zeit hat man uns erzählt, wie wichtig es ist, sich ständig bei Originalquellen und aus erster Hand zu informieren. Heute ist es wichtig, dass es diese Möglichkeit gibt, aber ich muss das längst nicht jeden Tag tun. Ich persönlich vertraue zwei Medien und was von denen nicht kommt, dringt nur schwierig zu mir durch.
BRUCK: Das gilt generell: Die fragmentierte Medienlandschaft macht es schwieriger konsistente Werbebotschaften zu transportieren. Und das geht noch weiter. Was ist denn mit dem Internet der Dinge? Wenn der Kühlschrank automatisch beim Lieferanten Milch bestellt, wenn diese leer ist, wo kommt denn da noch die Marketingbotschaft ins Spiel. Bestimmt nicht am Montag in der Zeitungsanzeige. Statt mit dem aktuell günstigen Preis eines Produktes zu argumentieren, werden sich Anbieter gezwungen sehen, ein dauerhaftes Vertrauensverhältnis aufzubauen, etwa mit einer Best-Price-Garantie.
Kommt in ihren Trendanalysen das Thema Mobile nicht vor?
STRAUBEL: Doch, praktisch überall. Aber Multichannel ist für die Unternehmen im Dialog natürlich sehr schwierig, weil man ja sicherstellen müsste, dass der Kunde über die Kanäle hinweg einen Ansprechpartner hat oder der jeweils nächste Ansprechpartner zumindest weiß, was vorher bereits besprochen wurde. In der Praxis können sich aber die Kanalmanager von Online und Print gar nicht leiden. Und dazu kommt dann meistens tatsächlich noch ein Dritter, ein dezidiert für Mobile Verantwortlicher. Das ist absurd.
Aber man muss hier auch nicht alles schwarz malen. Wie ich vorher anhand des iPad-Beispiels erläuterte, erreicht man junge Zielgruppen vielfach nur noch über das Tablet oder Smartphone. Wenn es gut gemacht ist kann Retargeting hier eine spannende Rolle spielen. Das ist ein guter und recht effizienter Einstieg ins mobile Dialogmarketing.
BRUCK: Ich würde zum Thema iPad auch noch Social TV ergänzen. Das ist eine wesentliche Chance für die TV-Sender in Zeiten von Mediatheken und Streaming-on-demand ihren Sendungen einen Live-Charakter zu geben und den benötige ich, wenn ich On-Air-Werbung verkaufen will.
Wenn ich als Unternehmen feststelle, dass zwei oder drei Trends für mich spannend sind, wie überführe ich diese in mein Unternehmen?
BRUCK: Die Überführung von Trends ins Unternehmen findet durch klassische Innovationsprozesse statt, vielleicht Stresstests, vielleicht BusinessWars. Wir stellen also die Frage: Wäre Ihr Unternehmen reif, wenn dieses und jenes auf sie zukommt.
STRAUBEL: Ich mache Brainstorming-Sessions inzwischen fast wieder am liebsten. Bei uns geht es um das „Warum?“ einer Kaufentscheidung, davon versuchen wir dann Zielgruppen abzuleiten und dann wählen wir die passenden Kanäle. Ich erlebe ganz häufig, dass wir am Anfang eine Liste machen von dem, was der Kunde glaubt, wer seine Zielgruppe ist und am Ende kommt eine ganz andere Liste heraus. Ein ehemalige Pay-TV-Anbieter hat jahrelang im Telefonmarketing auf die Besserverdiener in den Großstädten geschaut, dabei haben wir in der Analyse herausgefunden, dass eher die Geringverdiener die Kunden und Käufer seines Produktes waren, aber das wollte der Vorstand nicht hören und heute gibt es diesen Anbieter nicht mehr.
Das Gespräch führte Frank Puscher.