29. November, Tag 1 des ersten „BAM! Bock auf Morgen-Festivals“ in Berlin. Der Saal im Radialsystem ist rappelvoll, Transformationsforscherin Maja Göpel spricht in ihrer Eingangskeynote von den “drei V”. Sie stehen für Verlust, Verzicht und Verbot – und sorgen dafür, dass die Menschen vom Klimawandel wohl wissen, sich aber nicht so gern darum kümmern.
Göpel berichtet von der Waschmaschinenzeit, in der die Gesellschaft durchgeschüttelt wird und niemand so recht weiß, wo oben und wo unten ist. Es geht ums „Delta of Doom“, und das so eine Phase durchschritten werden muss, weil sich das Ziel lohnt. Darum, dass es andere Bedürfnisbefriedigungsstrategien gibt, als das schiere „Haben“. Darum, dass die Sicht auf die Dinge gedreht werden muss. Dass es nicht um die drei V geht, sondern um den Gewinn von Freiheit. Es geht darum, dass sich der Klimawandel zwar nicht einfach von heute auf morgen bewältigen lässt, aber eine Wende zum Guten möglich ist.
„Schmiedet Allianzen!“, „Bildet Banden!“
Und damit ist der Ton auf dem – Verzeihung, ich komme jetzt ins Schwärmen – lehrreichen, substanziellen, erhellenden, konstruktiven, überraschenden, erstaunlichen BAM!-Festival gesetzt. Die Macher*innen rund um Kerrin Löhe, Jan Pechmann und Frank Schlieder haben an zwei Tagen Menschen aus Wissenschaft und Marketing zusammengebracht, um über Nachhaltigkeit zu diskutieren, und siehe da: Das ist eine fruchtbare Symbiose. Denn: Die einen verfügen über die Fakten, die anderen über die wertvolle Fähigkeit, Verhalten zu verändern. „Schmiedet Allianzen!“ „Bildet Banden!“ „Es ist ein Teamsport“, „Gemeinsam statt einsam“, waren deshalb Botschaften, die an den zwei BAM!-Tagen überall und immer wieder zu hören waren.
Marketing verändert Einstellungen
Nach dem Vortrag von Maja Göpel wurden zwei weitere Stuhlreihen aufgestellt. Insgesamt waren 450 Leute zum BAM!-Festival gekommen, um in puncto Nachhaltigkeit zu lernen. Zum Beispiel vom nächsten Redner, Gregor Hagedorn, Gründungsmitglied der Scientists for Future, Akademischer Direktor des Museums für Naturkunde Berlin und guter Erklärer des Modells der Dougnut Economics der britischen Wirtschaftswissenschaftlerin Kate Raworth (lesen Sie das unbedingt mal nach, es ist so spannend wie einleuchtend).
Laut Hagedorn ist Bildung zentral. „Wir haben das große Problem der Verzögerungstaktik aufgrund von falschen Risikoeinschätzungen.“ Und: „Man will das Versagen bei der Bewältigung des Klimawandels nicht wahrhaben.“ Er fordert ein Jahrzehnt der Zukunftsinvestitionen, sagt aber auch, dass die Technik allein uns nicht retten wird. „Entscheidend ist der Kopf.“ Und weil Werbung Köpfe beeinflusst, sollte immer mitgedacht werden, welche Botschaften sie transportiert.
Auch Maike Rabe setzt Hoffnung in kluge Marketingmenschen. Die Professorin und Leiterin des Forschungsinstituts Textilveredelung und Ökologie an der Hochschule Niederrhein hielt im Panel zum Thema Plastik einen beeindruckenden Vortrag zu Überproduktion und Ultra Fast Fashion. Sie plädierte dafür, wenigstens zu Produktionsspitzen in Europa on demand zu fertigen. Ihr Wunsch: Marketing muss dafür sorgen, Einstellungen zu ändern, denn wenn Konsument*innen nachhaltige Maßnahmen der Unternehmen nicht honorieren, dann wird der Kampf gegen Klimawandel und Müllberge nicht gelingen.
Gut gegen Vorurteile
Das Schöne beim BAM! war, es ging hier nicht um Anklagen und Aburteilen, sondern um konstruktives Arbeiten an einem sehr großen Problem. Jonas Spitra, oberster Nachhaltigkeitskommunikator vom Glashersteller Schott, forderte das Marketingpublikum auf: „Nehmt euch den Driver Seat!“ Niemand wisse so genau, wie sich Unternehmen nachhaltiger machen ließen, drum gelte: einfach mal anfangen. Manfred Meindl von Vaude berichtete unter anderem, warum die Outdoor-Firma nicht auf Kunststoff verzichten kann. Oder, einige Panel später: Wieso Vaude „voll für die Green Claims Directive ist”.
Das BAM! war auch gut gegen Vorurteile. So schilderte Jens Osterloh, Director Marketing Communications von Vattenfall, warum er einen Job bei der imagemäßig verbrannten Marke angenommen hat; wie es ist, Braunkohlekumpeln in der Lausitz die Vorzüge erneuerbarer Energien erklären zu müssen; wie der neue Purpose „Fossilfrei innerhalb einer Generation“ zustande kam und warum er glaubt, dass Vattenfall dieses Vorhaben ernst meint. Jens Osterloh – in dessen Zielvereinbarung die Senkung der CO2-Emissionen verankert ist – rief dem Publikum zu: „Seht die Konzerne nicht als Bedrohung, geht da rein, sie brauchen gute Leute!“
Ohne Übertreibung: Es jagte ein guter Inhalt den nächsten. Ein Reiz des Events lag in den unterschiedlichen Formaten und in der hohen Authentizität der Vortragenden. Es fehlten schlicht die Wichtigtuer*innen. Und trotz vieler durchaus deprimierender Themen (Wissenschaft ist unbestechlich) herrschte eine positive Grundstimmung – die selbst ein Feuerfehlalarm nebst kurzzeitiger Evakuierung in Berlins Winterwetter nicht einen Hauch trüben konnte.
„Keine Prosecco-Schnittchen-Veranstaltung“
Auch schön: Dass viele Aufgaben mit hoher Dringlichkeit warten, bedeutet noch lange nicht, dass man keinen Spaß haben darf. Das bewies die Verleihung der Marketing for Future Awards 2023, die dieses Jahr erstmals in Form der „Kat’se Bullshit“ daherkam. (Sie kennen diese Winkekatzen aus gut sortierten asiatischen Nippes-Läden?) Die preisgekrönten Award-Kampagnen finden Sie hier. Weil BAM eben BAM ist und der Award, so Jan Pechmann, „keine Prosecco-Schnittchen-Veranstaltung“, sondern dafür sorgen solle, gemeinsam besser zu werden, gabs auch gleich noch Wünsche von Jurymitgliedern ans Nachhaltigkeitsmarketing. Jurorin und KNSK-Chefin Kim Alexandra Notz zum Beispiel wünscht sich mehr Leichtfüßigkeit und Humor, Wissenschaftler und BAM-Mitgründer Friedrich Bohn hätte gern noch mehr Substanz.
30. November, Tag 2 des ersten „BAM! Bock auf Morgen-Festivals“, bis zum letzten Panel waren die Räume rappelvoll. Beim Verlassen des Radialsystems beschleicht mich das derzeit sehr seltene Gefühl, dass sich doch noch Vieles zum Guten drehen lässt. Wie formulierte GWA-Vorständin Ina von Holly auf LinkedIn so schön? „Mit #BAM ist euch ein Meisterstück gelungen.“