Außen steht Data Kitchen drauf und darunter prangt das Logo des Hauptsponsors SAP. Alles klar: Ein CRM-Versuchslabor für Berliner Start-ups?
In gewissem Sinne schon. Die Data Kitchen ist tatsächlich das, was sie vorgibt, nämlich eine Küche. Und zwar eine mit Niveau. 12 Punkte war die Küchenqualität dem Gault Millau wert: Sterneniveau. Und der Kochprozess läuft weitgehend analog. Aber die Administration erfolgt digital und das Essen wird über eine gläserne, vollautomatische Foodwall ausgegeben. Es hört sich nach dem größtmöglichen Widerspruch an, genau wie das Gründerteam, an dessen einem Ende der Softwaregigant SAP residiert. Das andere Ende wird von Cookie markiert, Heinz Gindullis dem Berliner Szenegastronom, Clubbetreiber und „buntem Hund“ im besten Sinn des Wortes.
Wie die Integration der Widersprüche in der Data Kitchen gelingt, verrät Restaurantleiter Christian Hamerle.
Herr Hamerle, ich wollte zum Kaffee eine laktosefreie Milch bestellen. Haben Sie das nicht?
CHRISTIAN HAMERLE: Doch, natürlich. Das ist nur ein Klick mehr, wenn Sie den Kaffee ordern. Aber Sie können das natürlich auch jetzt im Restaurant bestellen.
Es gibt also noch Menschen in der Data Kitchen.
Natürlich, das sehen Sie ja. In der Küche wird ganz normal gekocht. Allerdings haben wir keinen Kellner im engen Sinn. Wir haben die neue Position des Gastgebers geschaffen. Der bringt ihnen weder Speisekarte noch Rechnung – das läuft ja alles über die App. Aber er kümmert sich um Sonderwünsche, erklärt Ihnen die Produkte und ist dafür verantwortlich, dass Sie sich wohlfühlen.
Warum haben Sie sich ausgerechnet im Fine Dining für den digitalen Bestellweg entschieden?
„Ausgerechnet“ hört sich so an, als beschreiben Sie einen Widerspruch. Das ist aber keiner. Fine Dining funktioniert tagsüber deshalb nicht, weil die Geschäftsleute zu wenig Zeit dafür haben. Hier in Berlin beträgt die durchschnittliche Mittagspause 23 Minuten. Das funktioniert also nicht. Die 23 Minuten reichen, um entspannt zwei Gänge zu konsumieren, aber nicht, um auf die Bestellung und Rechnung zu warten. Wir schenken den Gästen genau diese Zeit. Streng genomme, ist es sogar eine Art Wellnesskonzept.
Wie steuern Sie die Frequenz?
Die Kapazität der Küche ist limitiert auf 25 Bestellungen pro Viertelstunde. Sind die erreicht, dann steht das Zeitfenster in der App nicht mehr zur Verfügung.
Haben Sie nicht Angst, dass die Gäste zu lange sitzen bleiben?
Anfangs war das eine Befürchtung, aber es passiert nicht. Wir belegen die Tische in zwei Stunden Mittagspause vier Mal und es fühlt sich trotzdem keiner gehetzt.
Muss man vorbestellen?
Nein, aber meistens empfiehlt es sich. Wir haben einen hohen Anteil von Stammgästen inzwischen. Die besten Gäste kommen fast täglich.
Verstehen die Gäste die Foodwall?
Nicht immer beim ersten Mal, aber im Großen und Ganzen haben die Entwickler die Usability echt gut hingekriegt. Die einzelnen Fächer für das Essen sind als Kacheln in der App hinterlegt. Da tippt man drauf und das Türchen öffnet sich.
Darf man das Essen auch mitnehmen?
Hier nicht. Wir haben ein paar Kleinigkeiten „to go“. Aber das ist nicht Teil des Konzepts. Wir wollen ja entschleunigen. Dennoch ist das, was wir entwickelt haben, dazu geeignet, an anderer Stelle für To-Go-Konzepte eingesetzt zu werden.
Es gibt viele Entwicklungen zur Digitalisierung des Kochprozesses. Ist das der nächste logische Schritt?
Alle Wertschöpfungsstufen in der Gastronomie bieten das Potenzial für Digitalisierung und Automatisierung. Davon bin ich zutiefst überzeugt. Wir werden alle Spielarten sehen von aufgewärmtem Convenience-Food bis zu frisch vom Roboter zubereiteten Gerichten. Aber ich glaube nicht, dass das in jedem Gastronomiesegment geschehen wird.
Mein tiefer Wunsch ist es, dass in unserem Segment das handwerkliche Können, die Interaktion zwischen Küche, Gastgeber und Gästen immer die Oberhand behält, weil es einfach die schönere Atmosphäre erzeugt. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass wir in einem Hochlohnland leben, wo es nicht gerade einfach ist, personalintensive Konzepte kosteneffizient umzusetzen. Wer sich da nicht von der Digitalisierung helfen lässt, ist selbst schuld. Aber das Wichtige in der Customer Experience wird immer der Mensch sein.