Ein Kommentar von Michael von Foerster
Tugendwächter wachen bekanntlich über das sittliche, moralisch einwandfreie Verhalten anderer Mitbürger. Sie spielen eine große Rolle bei der Ausübung vieler religiöser Traditionen. Gefährlich wird es spätestens dann, wenn der Staat plötzlich gegenüber seinen Bürgern diese Rolle einnehmen will. So will jetzt Justizminister Maas „geschlechterdiskriminierende Werbung“ verbieten. Bundeslandwirtschaftsminister Schmidt (CSU) hat einen Gesetzentwurf zum Totalwerbeverbot für Tabakerzeugnisse vorgelegt, obwohl er noch im September beim Thema ungesunde Lebensmittel eine politische Steuerung des Konsums durch Werbeverbote abgelehnt hatte. Aber genau darum geht es jetzt. Um eine politische Steuerung von unerwünschtem Verhalten. Heute geht es gegen Sexismus und Tabak, morgen gegen Zucker, Alkohol und Fett.
Aber warum ausgerechnet mit Werbeverboten?
Beide Minister bedienen hier ein geradezu vulgäres Verständnis von Werbewirkung: Werbung funktioniert doch im digitalen Zeitalter der Kommunikation nicht wie bei dressierten Hunden, die mit Pawlow’schen Reflexen alles konsumieren, was ihnen die Werbung vor die Nase hält. Konsum-Entscheidungen – auch schädliche – sind von zahlreichen anderen sozialen und kulturellen Faktoren bestimmt. Alle seriösen Experten wissen genau, dass Werbung allenfalls im Kaufentscheidungsprozess gewisse Markenpräferenzen und Kundenbeziehungen aufbauen und stabilisieren kann.
Eine autoritärere Gesundheitspolitik
Beide Minister offenbaren damit ein falsches und anti-aufklärerisches Verbraucherverständnis. Das ist ein schlimmer Rückfall. Offenbar treibt der Ungeist von Renate Künast bis heute auf vielen Fluren des vormals für Verbraucherschutz zuständigen Landwirtschaftsministeriums und in den Kabinetten des heute für Verbraucherschutz zuständigen Justizministeriums sein fröhliches Unwesen. Die deutsche Praxis orientierte sich bekanntlich lange Zeit am Bild des „flüchtigen Verbrauchers“, d.h.– wie Volker Emmerich in viel zitierter Zuspitzung formulierte – „eines an der Grenze zur Debilität verharrenden, unmündigen, einer umfassenden Betreuung bedürftigen, hilflosen Verbrauchers, der auch noch gegen die kleinste Gefahr der Irreführung geschützt werden muss“. Es gilt als großes Verdienst des Europäischen Gerichtshof (EuGH) – in Abkehr vom flüchtigen Verbraucher – europaweit das Bild des „verständigen Durchschnittsverbrauchers“ durchgesetzt zu haben. Der „verständige Verbraucher“, der angemessen informiert, aufmerksam und kritisch ist, kann als „mündig“ angesehen werden, da er grundsätzlich bereit und in der Lage ist, Informationen zur Kenntnis zu nehmen, kritisch zu verarbeiten und sich damit nicht allzu leicht täuschen lässt.
Dieses fortschrittliche und realistische Verbraucherleitbild gerät heute im Zuge einer immer autoritäreren Gesundheitspolitik hierzulande wieder in die Defensive. Die explodierenden Kosten im Gesundheitswesen sollen offenbar mit der gesellschaftlichen Ächtung, gesundheitspolitischen Sanktionierung und lückenlosen Kontrolle (Big Data/ “Quantify Yourself!“ /Apple Watch) von „schlechten“ Lebensweisen eingedämmt werden.
Siegeszug der Verzichtsideologie
Die Wurzeln dieser ideologischen Verirrung liegen tief: Die Ökologiebewegung hat die anti-aufklärerische Konsumkritik erfunden, die bis heute geschichtsmächtig im Mainstream ihr unheilvolles Werk verrichtet. Ausgehend von der Frankfurter Schule entstand Ende der 60er Jahre eine Kritik an der Kulturindustrie: Sie liefere den „sozialen Kitt“, der die Gesellschaft zusammenhalte, erziehe, manipuliere – und sei somit als zentrales Element der sozialen Kontrolle zu verstehen. Vor allem die Werbung deformiere das menschliche Bewusstsein aus kommerziellem Interesse und habe sich daher als besonders subtiles Instrument der Ausbeutung erwiesen. Die Ökologiebewegung hat ausgehend von diesem akademischen Bestseller die gesamte materielle Lebensweise der modernen Industriegesellschaft rund um Energie, Mobilität und Konsum grundsätzlich in Frage gestellt. Sie ignoriert dabei die objektiven Notwendigkeiten dieser Lebensweise, indem sie von den Menschen subjektive Verhaltensänderungen einfordert, denen diese jedoch nicht entsprechen können, da es sich um Zusammenhänge handelt, die der Einzelne durch Verzicht nicht aus der Welt schaffen kann. Mobilität zum Beispiel findet in einer räumlich ausdifferenzierten arbeitsteiligen Gesellschaft einfach zwangsläufig statt. Der Volkswirt spricht hier lakonisch von „fehlender Nachfrageelastizität“.
Trotz aller gescheiterten Versuche, mit Strafsteuern wie der Ökosteuer und Verboten ungewünschtes Verhalten einzudämmen, setzt sich der Siegeszug der Verzichtsideologie weiter fort. Die Ökologiebewegung hat ihr anti-aufklärerisches Menschenbild in fast allen Politikbereichen verankern können und selbst Konservative sind offenbar nicht mehr immun und beteiligen sich am neuen Kreuzzug der Tugendwächter.
Michael von Foerster ist Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Deutschen Rauchtabakindustrie e.V.