Wer hat die besseren Customer Insights? Neulich durfte ich an einer Diskussion unter Kolleg*innen teilhaben. Das Thema: Wie sehr könnte E-Commerce bei der Generierung von Kundeninformationen von der Prozessvielfalt im CRM profitieren? Und ja, es war spannend: Argumente gingen hin und her, es gab Pros und Kontras. Der Konsens war letztlich: Beide Bereiche sollten einfach enger zusammenarbeiten, um zu gleichen Teilen zu profitieren.
Fair enough, dachte ich mir. Oder? Als frühes Kind von CRM beobachte ich seit mehr als 20 Jahren, wie CRM- und E-Commerce erfolgreich nebeneinander existieren. Geht es um klassische Marketing-, Vertriebs- oder Servicemodelle, so greifen Unternehmen bisher auf die CRM-Beratung zurück. Geht es um den digitalen Handel, so sind die E-Commerce-Expert*innen am Zug.
Oft handelt es sich dabei um Unterschiede im Prozess – und meist sind auch nicht die gleichen Technologien im Einsatz. Doch was trennt die beiden Bereiche tatsächlich voneinander? Im Prinzip geht es doch sowohl im CRM als auch im E-Commerce nur um eines: kontinuierlich Umsätze und profitables Wachstum zu generieren.
Wenn König Kunde zum Willkürherrscher wird
Unser gemeinsamer Souverän ist bei all dem der gute alte König Kunde. Dessen Anspruch war schon immer hoch. Nur ist er heute nochmals um den Faktor X gestiegen. Geht es bei der Erfüllung seiner Wünsche etwa um unternehmensinterne Herausforderungen, dann heißt es schlicht: „Ist mir doch egal.“
Kostendruck, Personalmangel, oft noch heterogene CRM-Systeme und die daraus resultierenden Datensilos: Das alles interessiert die Kund*innen nicht die Bohne. Die Konsequenz? Gerade in wettbewerbsintensiven Branchen bestraften sie jedes Scheitern beim Einlösen von Marketingversprechen gnadenlos.
Mehr noch: In unserer vernetzten Omnichannel-Welt geht es längst darum, individuelle Bedürfnisse zu jedem Zeitpunkt und an jedem Ort zu erfüllen. Die Kund*innen von heute sind es gewohnt, dass man sich jederzeit und überall sofort um ihre Anliegen kümmert. Entlang ihrer Customer Journey soll es gefälligst individuell und flüssig zugehen. Und das zurecht! Denn Unternehmen erheben jede Menge Informationen über ihre Kund*innen. Und diese Informationen sollen schließlich vor allem einem besseren Markenerlebnis zugutekommen.
Wie das funktionieren kann, hat uns in den vergangenen 15 Jahren insbesondere die Plattformökonomie gezeigt. Und das noch dazu im „Do-it-yourself-Modus“, bei dem die Kund*innen freiwillig und tatkräftig bei der Generierung ihrer Customer Insights mithelfen.
Genau hier liegen aus meiner Sicht auch die Vorteile des E-Commerce. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht: Aber wenn ich einen Service, eine Sache dringend benötige, dafür das beste Angebot suche und die Online-Transaktion gleich selbst zum Abschluss bringen kann, dann bin ich oft bereit, etwas mehr von mir preiszugeben. Als CRMler der frühen Stunde könnte man angesichts von so viel Großzügigkeit neidvoll erblassen.
Tante Emma oder Onkel Amazon?
Lange Zeit gab es in unserer Disziplin einen beliebten Vergleich: CRM musste sein wie Tante Emma. Also wie die liebe Frau, die in ihrem Geschäft von früh bis spät damit beschäftigt ist, die Wünsche ihrer Kunden herauszufinden, sie zu erfüllen und dabei auch vor Extrameilen nicht zurückschreckt.
CRM hatte dabei schon immer einen Vertriebsauftrag. Nur eben mit der Idee, dass die Informationen aus Marketing, Vertrieb und Service jederzeit dem gesamten Unternehmen zur Verfügung stehen. Doch gerade angesichts der fortschreitenden Digitalisierung von CRM-Prozessen stellt sich hier die Frage: Ist es immer noch richtig, dass CRM und E-Commerce unabhängig voneinander koexistieren?
Strategisch und prozessual betrachtet ist E-Commerce ein Teil von CRM. Technisch dagegen sieht die Sache anders aus. Nur wenige Softwarehersteller haben es bisher auch nur halbwegs geschafft, beide Welten umfassend in einem System zusammenzuführen. Etablierte CRM-Systeme und Logistik, Warenwirtschaft, Abrechnung und so weiter: Dreamteams sehen tatsächlich anders aus. So verwundert es nicht, dass Unternehmen die beiden Bereiche oft getrennt voneinander vorantreiben.
Und nicht nur das: Verglichen mit E-Commerce ist CRM extrem vielschichtig. Viele Abteilungen und Interessen müssen miteinander vereint werden. Das ist auch organisatorisch eine große Herausforderung – und oft mit viel Aufwand für Change-Management verbunden.
Nicht dass dies bei E-Commerce-Projekten völlig anders wäre. Nur hat man sich dort von vornherein darauf verständigt, dass alle Transaktionen auf einer Plattform stattfinden. Wenig Raum für Abteilungsdenke also – und somit beste Voraussetzungen zur Generierung umfassender Kundendaten.
Wie das gehen kann, zeigt uns allen voran der „Everything Store“ Amazon. Von Grund auf setzte das Unternehmen auf Kundenzentrierung, nur eben voll digital und komplett automatisiert. Weltweit und rund um die Uhr erzeugt Amazon heute wertvolle Customer Insights und nutzt die dabei entstehenden Daten, um die eigene Wertschöpfung stetig zu verbessern.
Das A und O dabei: Kosteneffizienz. Und die entscheidende Voraussetzung dafür ist die nahezu bedingungslose Bereitschaft zur Digitalisierung. Für mich undenkbar, dass bei Amazon Prozesse und Systeme um Abteilungen herumgebaut würden – und wertvolle Kundendaten in unterschiedlichen Silos landen könnten. Die Trennung von CRM und E-Commerce ist hier aufgehoben. Stattdessen sind beide integrale Bestandteile ein und desselben Effizienzprinzips.
Schluss mit der Sparten- und Abteilungsdenke
CRM oder E-Commerce? In Sachen Kundennähe gibt es für mich hier keinen eindeutigen Gewinner. Geht es jedoch um das CRM der Zukunft, so sehe ich einen maßgeblichen Punkt, bei dem CRM etwas von E-Commerce lernen muss: digitale Denkweise, und das kompromissloser denn je.
E-Commerce hat dabei erfolgreich gezeigt, dass digitale Einkaufserlebnisse grundsätzlich mehr und bessere Daten generieren, die auch sofort dem Rest des Unternehmens zugänglich sind. Auch in Sachen Automatisierung können wir von E-Commerce noch einiges lernen.
Doch auch im CRM wird längst immer mehr automatisiert. Zunehmend kümmern sich die Technologien selbstständig um weite Bereiche der Pflege von Kundenbeziehungen. Die Vorteile liegen auf der Hand: Sie können Informationen einfach schneller und genauer verarbeiten, sind rund um die Uhr verfügbar sind und lassen sich beliebig skalieren.
Doch der springende, alles entscheidende Punkt liegt noch tiefer: Unternehmen müssen endlich umdenken – weg von der klassischen Abteilungsdenke, hin zu einer integrierten Organisation, Omnichannel, ohne vorgeschobene Sachzwänge und verkrustete Strukturen.
Die Potenziale guter Kundenbeziehungen sind heute vielleicht größer denn je. Doch wirklich heben lassen sie sich nur, wenn die Idee des Kundenbeziehungsmanagements wirklich gelebt wird. Ganzheitlich, integriert – und kompromisslos fokussiert auf die Schaffung exzellenter Kundenerlebnisse. Ob es dann noch „CRM“ heißt? Den Kund*innen ist auch das völlig egal.
Vision 11 ist Kooperationspartner beim nächsten Quarterly der absatzwirtschaft am 8. Dezember. Das Thema des digitalen Events ist Customer Centricity. Anmelden können sie sich hier.