Das Marketing läuft seit Jahren in ein offenes Messer. Die praktischen Cookies hat es längst in Krümel verwandelt. Marketer*innen bemühen sich, rasch Alternativen zu entwickeln. Dabei zeigt sich ein weiteres Problem. Laut einer Bitkom-Befragung haben 94 Prozent der Unternehmen keine Spezialist*innen für datengetriebene Geschäftsmodelle angestellt. Doch eines ist klar: ohne Data Scientists geht es nicht.
Aber wo findet man die Data Scientists von morgen? Längst finden sich Data-Science-Studiengänge an deutschen Hochschulen. Einer davon sitzt in Konstanz am Bodensee. Hier hat sich vor einigen Jahren auch die Initiative CorrelAid gegründet. Das Ziel: mit Daten die Welt verbessern. Projektförderungen und Seed-Finanzierung stützen das dezentrale Netzwerk, das sich inzwischen über Deutschland, Frankreich, die Niederlande und die Schweiz verteilt. Die knapp 2000 Data Enthusiasts unterstützen soziale Organisationen pro bono mit sogenannten Data4Good-Projekten. Philipp Bosch, Head of Community Management, nennt das „Datenanalyse für den guten Zweck“.
Die Projekte sind so unterschiedlich wie die große Bandbreite sozialer Organisationen. Zum Beispiel entwickelte CorrelAid gemeinsam mit PwC ein Dashboard für Stifter-helfen e.V. Der Verein bietet vergünstigte IT-Lösungen für NPO. Innerhalb des Dashboards sind relevante Daten visuell und interaktiv aufbereitet, sodass der Verein seine Angebote verbessern und soziale Organisationen gezielter ansprechen kann.
Doch auch im Marketing-Umfeld müssen Expert*innen mit den Daten jonglieren. Insbesondere im Online-Marketing sind sie gefragt. „Da gibt es dann eine ganze Menge Daten, die man sich potenziell ansehen kann“, meint Herbert Zdziarek, Business Analyst mit Fokus auf Data bei Union Investment und CorrelAid-Volunteer. Zielgruppen segmentieren, relevante Kanäle identifizieren, die Customer Journey nachzeichnen: All das sind typische Ansatzpunkte für Data Science. Allerdings sei Data Science auch in der Bewertung von Marketingmaßnahmen im Spiel. Vor allem das Performance Marketing kann an Data Science anknüpfen.
Die Demokratisierung von Datenkompetenz
Jedoch findet Data Science aktuell oftmals in den Büros großer Unternehmen statt, die sich den Aufwand leisten können. Kleine Unternehmen und ganz besonders Non-Profit-Organisationen profitieren kaum vom Fortschritt der letzten Jahre. Darum hat sich CorrelAid zum Ziel gesetzt, diese Diskrepanz aufzuheben und „die Potenziale von Data Science zu demokratisieren“, wie Bosch das Vorhaben der Initiative beschreibt. Dabei versteht sich CorrelAid als „Meta-Weltretter“. Es geht weniger um eine spezifische Problemstellung wie Artenschutz oder Erinnerungskultur, denn „die Organisationen wissen ziemlich genau, wie man die Welt verbessern kann“. Vielmehr konzentrieren sich die CorrelAid-Projekte darauf, den Organisationen mit Digitalisierungs- und Automatisierungsaufgaben Rückenwind zu liefern.
Das setzt einen strikten Fokus auf die Organisation voraus. So fordert Frie Preu, COO von CorrelAid, im hauseigenen Podcast CorrelTalk eine sehr aufmerksame Herangehensweise an jedes Projekt. „Zuhören, viel zuhören“ stellt sie dabei in den Mittelpunkt. CorrelAid-Projekte sind letztlich an der Wirkung der Organisation orientiert. Das bedeutet nicht notwendigerweise, diese Wirkung zu messen. Vielmehr richtet das den Blick auf die „konkreten Datenprobleme“ einer Organisation.
„Data Science kann auch ‘ne Kreuztabelle sein“
Genau aus diesem Grund orientieren sich die Lösungen an der jeweiligen Ausgangssituation. „Deswegen liegt der Fokus bei uns nicht auf fancy Machine-Learning-Projekten“, meint Bosch. Denn solche Modelle und Lösungen sorgen für viel Erklärungsbedarf, ihre Ergebnisse sind schwer zu kommunizieren. So ist CorrelAid doppelt wirkungsorientiert. Die Initiative konzentriert sich einerseits auf den Impact, den die jeweilige Organisation hat. Andererseits zielt CorrelAid darauf, dass das Projekt sich nachhaltig auf die Organisation auswirkt. Sie soll letztlich eigenständig mit den Lösungen arbeiten können.
In dieser Herangehensweise findet sich eine sehr zentrale Einsicht: Daten sind immer die Grundlage. „Es wird nicht passieren, dass wir blind ein Modell auf die Daten einer Organisation werfen“, sagt Bosch. Eine solche silver bullet gebe es nicht. Daran anknüpfend geht CorrelAid lieber pragmatisch vor. Aus diesem Grund ruft Preu im Podcast dazu auf, auch der eigenen Technologie gegenüber skeptisch zu bleiben.
CorrelAid entzaubert Data Science
So möchte die Initiative auch für Aufklärung sorgen und mit den großen Mythen um Big Data und Data Science aufräumen. „Lass uns doch mal so einen Data Scientist ins Team holen, dann machen wir plötzlich dreimal so viel Umsatz“, beschreibt Zdziarek die überzogenen Erwartungen vieler Unternehmen. Doch die Arbeit mit den Daten solle immer use-case-getrieben sein und nur Mittel zur Sache. Ansonsten könne man sich die Arbeitsressourcen und das damit verbundene Geld lieber sparen, meint der Volunteer von CorrelAid.
Dieser Anspruch ist eine Folge des Fokus auf die Daten selbst. Hierbei ist auch die Datenqualität entscheidend. Immer mehr Daten in eine Analyse zu pumpen, kann nicht zielführend sein, sondern erhöht nur die Exaktheit einer falschen Vorhersage. „Wenn ich mir über mögliche Fehler und Biases in meinen Daten nicht bewusst bin, dann taugen auch meine Ergebnisse nicht. Dann komme ich am Ende nur in die Situation, dass ich mich in meinem Fehlurteil sehr sicher wähne.“, bringt es Bosch auf den Punkt. So gehört zur Datenkompetenz auch die Einschätzung, inwiefern hochgelobte Modelle für einen spezifischen Case überhaupt hilfreich sind. Diese Haltung integriert CorrelAid zudem in seine Workshops und Kurse sowohl für Data-Science-Interessierte wie auch für die Beschäftigten der Partnerorganisation. So ermöglicht die Initiative den Menschen, effektiv mit Daten umzugehen. Sie etabliert damit eine echte und übergreifende Datenkompetenz außerhalb hochgejubelter Buzzwords.