Von Gastautor Stefan Krüger
Mal ehrlich: Wer zwölf Dosen Red Bull am Tag kippt und unliebsamen Journalisten spaßeshalber perforierte Kniescheiben in Aussicht stellt, ist schon ein bisschen sonderbar. Aber vielleicht verleiht eine Prise Wahnsinn ja auch Flügel. Womit wir bei Dietrich Mateschitz, dem Erfinder von Red Bull, wären. Wohl kaum ein anderer Unternehmer führt seine Marke so konsequent über Content Marketing wie der österreichische Milliardär. Zahlreiche redaktionelle Plattformen hat seine Inhalte-Fabrik – das Red Bull Media House – für die clevere Inszenierung der Botschaft „Red Bull verleiht Flüüügel“ in den vergangenen Jahren hochgezogen: Zeitschriften (z. B. Red Bulletin, Servus, Seitenblicke), TV-Sender (Servus TV), Plattenlabels (Red Bull Records) und, und, und. Und natürlich Red Bull TV.
Red Bull arbeitet weiter an neuen Formaten
Das ambitionierte Internet-TV-Projekt, so heißt es in der Branche, soll massiv ausgebaut und zum eigentlichen Content-Hub des Energy-Drink-Imperiums werden. Offenbar arbeiten sowohl der Betreiber Red Bull Media House als auch Dienstleister wie Kastner & Partner, Frankfurt, schon seit einiger Zeit fieberhaft an zahlreichen neuen Formaten. Immer das Markenversprechen vor Augen – nämlich, dass Red Bull gleichermaßen Körper und Geist belebt. Die Umsetzung ist in der Praxis allerdings gar nicht so einfach. Aktuell prägen nämlich vor allem Sport-Spektakel wie „Red Bull Air Race“, „Red Bull X-Fighters“ und Mountainbike-Trials das Programm. Die stimulierende Wirkung für die grauen Zellen scheint dagegen ein wenig unterrepräsentiert. „Inhaltlich driften sie immer wieder zu stark in Richtung Körper“, analysiert ein ehemaliger Manager. Auf urbane, eher kulturbezogene Formate soll deshalb dem Vernehmen nach künftig ein größeres Augenmerk gelegt werden. Offiziell heißt es dazu nur: „Musik und Kultur sind wichtige Playgrounds, weil diese Themen für unsere Zuschauer sehr relevant und interessant sind.“
Das Ziel dieser Mission ist klar: ein Sender, der nicht wie bisher nur im Internet, per Smart-TV, Mobile Devices und Konsolen zu sehen, sondern auch über die klassischen Broadcastkanäle empfangbar ist – und das international. Ein völlig neues TV-Angebot für die jungen Konsumenten mit zahlreichen Second-Screen-Anwendungen. „Servus TV ist dagegen nur ein reiner Versuchsballon“, so ein Insider. Gut möglich also, dass Red Bull TV kommendes Jahr dann auch als „echter“ TV-Sender per Kabel, Satellit oder DVB-T in die Wohnzimmer flimmert. Das Unternehmen selbst möchte sich zu den weiteren Plänen auf diesem Feld nicht äußern.
Im Content Marketing würden Mateschitz und seine Mitstreiter mit der globalen TV-Kette eine neue Tür aufstoßen: die perfekte Inszenierung über alle Owned-Media-Kanäle. Überall live dabei, wenn Red-Bull-gesponserte Spitzensportler und Top-Künstler das Markenversprechen des Unternehmens einlösen – indem sie Höchstleistungen bringen, ihnen, metaphorisch gesehen, Flügel verliehen werden. Nicht schlecht für ein grauslich schmeckendes Süßwasser-Gesöff, dessen Markenwert das Marktforschungsunternehmen Millward Brown auf stolze 10,43 Milliarden Euro taxiert.
Die Konkurrenz sieht dagegen erstaunlich alt aus. Das gilt selbst für einen Multi-Konzern wie Coca-Cola. Das Brause-Imperium, das mit der Share-a-Coke-Kampagne nachweislich für einen echten Image-Uplift sorgen konnte, bekommt seine Content-Plattform Journey nicht in den Griff. Laut Alexa rankt Coca-cola-deutschland.de hierzulande auf Platz 15.591 (Stand 2. September) – in vier Monaten ging es damit exakt um 5.554 Plätze bergab und damit weiter Richtung Bedeutungslosigkeit. Die Planung sah eigentlich deutlich optimistischer aus: Zum Start im Frühjahr 2013 versprach die damalige Chefredakteurin Leane Zaborowski langfristig noch einen 30-prozentigen Zuwachs gegenüber der herkömmlichen Unternehmenswebsite.
Content Marketing ist eng an Markenführung gekoppelt
Der Unterschied zwischen Red Bull und Coca-Cola in der Herangehensweise, neue, nützliche und unterhaltsame Inhalte für die Zielgruppe zu schaffen, ist eklatant: auf der einen Seite ein internationales Medienhaus mit dem Anspruch, zu den führenden in der Erstellung von Premium-Inhalten zu zählen. Auf der anderen Seite Mini-Redaktionseinheiten, die um freie Autoren ergänzt werden. Sechs Köpfe zählt die Journey-Redaktion in Deutschland offiziell. De facto schreibt kaum einer dieser Redakteure. Chefredakteurin Zaborowski ist in Elternzeit, der letzte Artikel ihrer Nachfolgerin Kristina Brehm datiert vom 28. Januar. Inzwischen setzen die Macher verstärkt auf freie Autoren – wie etwa den Blogger Jochen Mai. Auf der einen Seite ein Unternehmen, das seine gesamte Markenführung und Kommunikation konsequent auf Content aufbaut, auf der anderen Seite ein Konzern, der Content Marketing eher halbherzig als eine weitere, zusätzliche Kommunikationsdisziplin ausprobiert. Es liegt auf der Hand, wer sich in der Gunst der Konsumenten hier durchsetzt. Und es liegt auf der Hand, wie sich der Markt weiterentwickeln wird. Ganz oder gar nicht. Nur wenige werden sich durchsetzen. Das Computerunternehmen Dell zählt neben Red Bull sicher dazu: Kernstück der gesamten Kommunikation ist seit Herbst vergangenen Jahres der Tumblr-Blog-Auftritt „Tough Enough“. Klassische Werbung und Social Media kommen flankierend zum Einsatz und zahlen voll auf die Content-Marketing-Offensive ein. So konsequent sind die wenigsten.
Insbesondere das Beispiel Red Bull zeigt: Content Marketing ist inhaltlich zwingend eng an die Unternehmens- und Markenwerte gekoppelt und ist damit eine Aufgabe der strategischen Markenführung. De facto wird es nur allzu häufig auf operativer Ebene einfach wegdelegiert bzw. ausgelagert und endet im Klein-Klein. Es erscheint weniger als grundsätzliche Entscheidung für eine neue Form der Kommunikation, sondern mehr als zaghafter Versuch, das scheinbar stumpf gewordene Instrumentarium vielleicht doch noch um eine wirkungsvolle Alternative zu ergänzen: TV-Unterbrecherwerbung – ein Relikt aus dem vergangenen Jahrhundert, Facebook – zunehmend wirkungslos, Onlinemarketing – heillos komplex. Warum dann nicht einfach selber publizieren? Günstig. Schnell. Risikolos.
Salamander erfand schon 1937 das Content Marketing
So verwundert es nicht, dass die meisten Studien zu dem Thema immer wieder zeigen, dass zwar die meisten Unternehmen nach eigenem Ermessen Content-Marketing betreiben und dessen Bedeutung entsprechend hoch bemessen, aber nur die Minderheit eine klare Strategie oder klar definierte Ziele verfolgt. Und es verwundert nicht, dass der Markt reich an Ankündigungen, aber arm an echten Erfolgs-Cases ist.
Das war in den Anfängen des Content Marketings noch gänzlich anders: 1937 erfand der Schuhhersteller Salamander die Comicfigur Lurchi. Das Ziel: Kinder im Kaufhaus mit Lesen zu beschäftigen, damit die Eltern in der Zeit beim Schuhkauf ausführlich beraten werden konnten. Eine ebenso einleuchtende wie einfache Content-Strategie also.
Zum Autor: Stefan Krüger ist geschäftsführender Gesellschafter der PR-Agentur Cocodibu und Inhaber der Corporate-Blog-Agentur Brandiz. Zuvor war er Chefredakteur bei „W&V“ sowie beim „Kontakter“.