Das theoretische Potential einer IP-basierten Aussteuerung von Werbung, die entweder auf sehr großen Devices (TV) oder auf sehr persönlichen Endgeräten (Tablet/Smartphone) zum Einsatz kommt, ist unbestritten. Ein offenes, standardisiertes Ökosystem, bei dem sich die DSPs über ihre Mediapläne immer dann flexibel einbuchen, wenn es zum Kampagnenziel passt, wenn die User vor den Endgeräten (messbar!) zur Zielgruppe gehören und wenn man vor allem auch granulare oder gar personalisierte Kampagnen einsetzen kann, wirkt wie ein Heilsversprechen und verspricht den lange ersehnten Schulterschluss zwischen TV und Online. Zumal der Lean-Backward-Modus der TV-Nutzung auch hinsichtlich der Werbewirkung durchaus spannende Argumente ins Feld führen kann im Vergleich zu Umfeldern, in denen der User eine aktive Aufgabe verfolgt und Werbung vielfach als störend empfindet.
Der Kunde wird nicht über SmartTV erreicht
Unterdessen fehlt es bislang an fast allem. Die Standardisierung über die Sender hinweg harrt ebenso ihrer Finalisierung wie der Bereitschaft der Werbungtreibenden sich mit dem nächsten Kanal auseinanderzusetzen. 2016 wurden in Deutschland von den Marken nur 50 Millionen Euro ausgegeben, um die User über SmartTVs, SetTopBoxen oder Spielekonsolen zu erreichen. Nicht einmal zwei Promille vom gesamten deutschen TV-Werbemarkt (30,9 Mrd. laut Nielsen).
Wachstum in Sicht?
Finanziert von SpotX, der AdServing-Plattform für IP-basiertes Fernsehen, haben sich die Londoner Marktforscher von MTM aufgemacht und allerhand Marketer in Europa befragt, was deren Fantasie in Sachen IP-TV-Werbung hergibt. Das Ergebnis: Man erwartet ein ansehnliches aber keinswegs spektakuläres Wachstum auf 125 Millionen im Jahr 2020. Dabei sind die Rahmenbedingungen nicht schlecht. Deutschland wird von den Befragten als wichtigster Werbemarkt in dieser Disziplin in Europa gesehen. Die Breitband-Verkabelung erreicht 79 Prozent und die Hälfte aller Haushalte besitzen bereits smarte Fernseher. Gleichzeitig sind aber längst nicht alle davon ans Internet angebunden und das Bewusstsein der Bevölkerung über die potentiell abrufbaren Services durch die Signal-Carrier ist teilweise erschreckend gering. Hier sollten die Kabelbetreiber und Telekommunikationsanbieter dringend mehr Aufklärungsarbeit leisten. Nick Thomas, Associate Director bei MTM vermutet: „Durch Investitionen auf Seiten der Carrier werden wir in den nächsten Jahren deutliches Wachstum sehen“. Die Schätzungen belaufen sich auf 25 Prozent höhere Nutzungsrate von Jahr zu Jahr.
Diese Werte betreffen das Segment connected TV. Darunter verstehen die Marketer Bewegtbildsignale von Sendern, die via IP-Stream ausgesendet werden. Das ist eine Stufe weniger als der Ansatz von adressable TV. Hier geht es um Streams, die im Rückkanal auch Daten über Endgerät, Haushalt oder gar das Verhalten individueller Nutzer transportieren. Letzteres erlaubt natürlich viel präziseres Targeting, stellt aber auch deutlich höhere Anforderungen in Sachen Datenschutz und Einwilligung. Im connected TV arbeiten die Werber bislang mit Basisdaten wie Standort, Uhrzeit und Umfeld.
Durchbruch braucht noch Zeit
Die Forscher von MTM sehen auch im Marktvergleich erhebliche Unterschiede im Glauben an schnelles Wachstum. In den USA beispielsweise dominiert eine sehr heterogene Landschaft an Carriern, die eigene SetTopBoxen vermarkten. Hier ist die Standardisierung erheblich schwieriger um auf den SSPs die nötige Reichweite zeigen zu können. Das ist mit ein wichtiger Grund, warum Deutschland ein stärkeres Wachstum vorher gesagt wird. Die FreeTV-Sender haben hierzulande die Kraft, den Werbekunden attraktive Reichweite anzubieten. Außerdem, so MTM, fehlt es bislang an aussagekräftigen Messzahlen über die effektive Nutzung der unterschiedlichen Varianten von IP-basiertem Video. Die Nutzungserhebung hinsichtlich der reinen, linearen TV-Signale genügt da bei Weitem nicht. Den richtigen Durchbruch werden ConnectedTV-Werbeformate erst erleben, wenn alle IP-basierten Bewegtbildformate aus einem Guss und am besten über eine Meta-SSP bedient werden können. Dem stehen aber zu einem erheblichen Grad noch die Sender selbst im Weg. Man würde gerne das eigene Signal über die eigene App mit eigenen Preisansätzen vermarkten. So wie immer halt. Damals, als die Nabelschnur der Wohnzimmerunterhaltung noch das unidirektionale KOAX-Kabel war.