Für Christian Lindner ist eines schwer zu verstehen: Warum gibt es eine Staatsministerin für Digitalisierung, aber kein Digitalisierungs-Ministerium? Um das Thema Glasfaserausbau effizient anzugehen, benötige die Republik eine zentrale Person, ist sich Lindner sicher. „Es ist wie im Projektmanagement: Einer muss den Hut aufhaben, bei einem müssen die Kompetenzen zusammenlaufen“, so der FDP-Politiker bei der Internet World 2018 in München. Scheint also so, als sei der Weg der neuen Bundesregierung nicht gerade der angestrebte Weg von Christian Lindner. „Macron richtet ein Digitalsierungsministerium ein, wir richten ein Heimatministerium ein. Verstehen Sie mich nicht falsch. Ein Heimatministerium ist wichtig, genauso aber auch ein Digitalisierungsministerium.“
Fünf wichtige Prioritäten in Sachen Digitalisierung
Lindner teilt das Thema Digitalisierung in fünf wichtige prioritäre, politische Projekte ein.
1. Projekt: Breitbandausbau
Auch im ländlichen Raum müsse ein Glasfasernetz entstehen. Das ist vor allem für Ärzte und andere Dienstleistungsanbieter wichtig, die nicht in Großstädten leben wollen. „Gut vier Prozent der Haushalte haben Zugang zum Glasfasernetz. Damit sind wir näher an Nordkorea als an Südkorea. Nordkorea hat null Prozent Glasfasernetz, Südkorea über 70 Prozent.“ Kritisch äußert sich Lindner über die Dauer, welche die neue/alte Bundesregierung anstrebt: Erst in sieben Jahren soll es einen flächendeckenden Zugang geben.
2. Projekt: Digitalisierung des Staates selbst
Eine Abwanderung von Gründern sei jetzt schon zu erkennen, weil viele junge Menschen in Estland gründen. Dort sei es innerhalb von zwei Tagen für wenig Geld möglich, ein Gewerbe anzumelden. „Die Bürokratisierung des Staates macht es jedem Gründer schwer“, so Lindner. „Wie stark wir an Papier angebunden sind. In NRW, wo die FDP seit Mai 2017 mitregiert, kann man 2018 seine Gewerbeanmeldung zukünftig elektronisch tätigen. So können 500.000 Arbeitsstunden im Jahr bei Gründern und der Verwaltung eingespart werden, allein weil dieser Prozess nun elektronisch sind.“
3. Projekt: Rechtliche Rahmenbedingungen schaffen
„Bei den großen Fragen spielt der Staat zu wenig Schiedsrichter und bei Alltagsfragen nimmt der Staat uns die Flexibilität“, erklärt Lindner auf der Internet World. Weil Global Player wie Apple, Amazon oder Facebook die Regeln des Spiels ändern, müsse sich auch die Politik anpassen und Regularien schaffen. Lindner: „Diese Unternehmen sind so mächtig, dass sie selbst die Regeln diktieren können. Sie zahlen keine Steuern, können entscheiden, wer auf den Plattformen erfolgreich ist oder nicht, und diffamieren so die Marktwirtschaft. Die Idee der Marktwirtschaft ist ursprünglich, dass niemand so mächtig wird, dass er selbstherrlich über die Chancen anderer herrschen kann.“ So wünscht sich der Fraktionsvorsitzenden der FDP mehr Offenheit für Außenseiter und Newcomer. Ein klarer Auftrag an die Politik sei es, einen fairen Wettbewerb zu sichern. „Der rechtliche Rahmen ist nicht auf die neue Arbeitswelt eingestellt, sondern immer noch auf die alte Erwerbs- und Industriegesellschaft gepolt.“
4. Projekt: Die Sicherheit in der Digitalisierung
Fachkräftemangel hin oder her: Arbeitnehmer fürchten die Digitalisierung. Zu hoch ist die Furcht, den Arbeitsplatz an einen Roboter oder eine Technologie zu verlieren. Diese Angst versucht der FDP-Politiker einzudämmen: Servicekräfte, Arbeitnehmer in den Bereichen Bildung und Pflege würden ihren Job nicht verlieren. Roboter könnten allerdings in der Pflege schwere Tätigkeiten übernehmen und helfen, ist sich Lindner sicher. „Sorgen machen müssen sich die mittelmäßigen Juristen, die sich nicht rechtzeitig in den Bundestag gerettet haben. Die werden durch künstliche Intelligenz ersetzt“, scherzt Lindner. Vor allem der Umschulungs- und Weiterbildungsmarkt muss revolutioniert werden. Etabliert werden müsse daher ein zweites neues Bildungssystem für ein lebensbegleitendes Lernen. So könne man Ängste nehmen und Sicherheiten aufbauen.
5. Projekt: Investition in disruptive Technologien
Um all diese Themen voranzutreiben, braucht es mehr als eine Staatsministerin für Digitalisierung, ist sich der 39-Jährige sicher. Zum Abschluss wirft Christian Lindner das Wort „Wohlstands-Halluzination“ in den Raum. Deutschland ginge es zu gut, daher gäbe es noch kein breites Umdenken. Doch der
Produktivitäts-Fortschritt werde nicht aufgehalten, sondern verlagere sich in andere Länder, die zum Beispiel das Thema Digitalisierung priorisieren und sich so einen Vorteil erarbeiten. Digitalisierung sollte also eine wichtige Aufgabe der neuen Regierung werden. Ob das gelingt, bleibt abzuwarten.
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