Früher war dort nicht viel mehr als ein Friedhof, heute gilt der Pekinger Stadtteil Zhongguancun als Wiege der chinesischen Digitalwirtschaft. Pekings wichtigste Universitäten haben hier ihren Standort ebenso wie mit Tencent, Baidu, Lenovo oder Sinadie die bedeutendsten Unternehmen des Landes. Täglich werden bis zu 80 Start-ups neu angemeldet. 2009 beschloss die chinesische Regierung, in Zhongguancun das nationale Technologiezentrum zu errichten. Hier sollen Innovationen entstehen, die das Land unabhängig vom Rest der Welt machen. Angesichts des Handelskrieges mit den USA wird diese Strategie noch intensiver verfolgt.
Die Chancen stehen gut. Die finanziellen Mittel, die in chinesische Technologiefirmen fließen, sind in den vergangenen zehn Jahren rapide gestiegen. Das Wagniskapital hat inzwischen das gleiche Niveau wie in den USA.
Beispiele wie WeChat zeigen, dass China die reine Nachahmung von Silicon Valley-Unternehmen längst hinter sich gelassen hat. 2011 als Facebook-Kopie von Tencent eingeführt, ist die App heute eine umfassende Bezahlplattform. Die Start-ups in Zhongguancun verfolgen Geschäftsmodelle, die es in Amerika noch nicht gibt. Die internationale Beliebtheit der Video-Sharing-App TikTok des Unternehmens Bytedance belegt, dass China es gerade bei Social-Media-Anwendungen mit dem Silicon Valley aufnehmen kann.
Top-Unis und -Schulen in der Nachbarschaft
Die jungen Unternehmen vertrauen auf eine der wichtigsten Eigenschaften von Zhongguancun: die Nähe zu den besten Schulen und Universitäten. In der direkten Nachbarschaft sind nicht nur Chinas Top-Unis, sondern auch angesehene Grund- und weiterführende Schulen. Ebenso hat eines der wichtigsten privaten Bildungsunternehmen, New Oriental, hier seinen Sitz. Chinas Eliten kommen hierher, bevor sie ihr Studium in den USA beginnen. Ziel der Regierung ist es, dass sie anschließend wieder nach Zhongguancun zurückkommen. Das Versprechen in eine gute Schulbildung für die Kinder hilft zudem, Nachwuchskräfte mit Familien zu gewinnen. Intelligente Menschen ziehen weitere kluge Köpfe an, so die Regierung.
Ganz im Sinne der Regierung arbeiten die meisten dieser klugen Köpfe nicht nur an grundlegenden Technologien. Die Stärke von Zhongguancun liegt in der Entwicklung neuer Anwendungen und Dienste für den chinesischen Markt, die über Smartphones bereitgestellt werden. Erklärtes Ziel ist es, mittels Technologie bestimmte Engpässe zu überwinden. Der Gesundheits- und Bildungssektor steht dabei besonders im Fokus. So entstehen Programme, um medizinische Aufnahmen schneller zu verarbeiten und Wartezeiten in Krankenhäusern zu verkürzen, aber auch interaktive Bildungs-Apps, die menschliche Lehrer überflüssig machen sollen. Die Anwendung „DingDong Class“ berechnet beispielsweise für eine Stunde eines automatisierten und videobasierten, aber individuell zugeschnittenen Englischunterrichts einen US-Dollar.
Sehr bewusst geht China bei seinem Innovationskurs das Risiko ein, dass Menschen ohne Zugang zu digitalen Produkten zurückgelassen werden. In Peking ist es inzwischen nahezu unmöglich, ein Taxi ohne die DiDi-App zu finden. Das Bezahlen eines Kaffees ohne WeChat verärgert jeden Kellner.
Lücken in chinesischen Lieferketten schließen
Die Regierungspläne scheinen aufzugehen. Damit Zhongguancun auch als globales Technologiezentrum aufblüht und China vor Protektionismus schützt, müssen auch Kerntechnologien politisch gefördert werden. Der Bezirk Haidian, in dem sich das Viertel befindet, hat kürzlich einen Gewerbepark zur Förderung chinesischer Chiphersteller eröffnet. Mieten sind stark subventioniert, Unternehmen erhalten eine Vielzahl an Hilfestellungen. Das chinesische Bitcoin-Unternehmen Bitmain und GigaDevice, ein Hersteller von Speicherchips, haben sich bereits angesiedelt. Die Unternehmen sind begeistert von den Plänen der Regierung. Sie sehen auch den Handelskrieg mit den USA nicht als Bedrohung, sondern als Chance. Sie wollen die Lücken in den chinesischen Lieferketten schließen und sich im Westen behaupten.
Allerdings ist Zhongguancun in der restlichen Welt bisher kaum bekannt. Damit das Viertel wirklich ein zweites Silicon Valley werden kann, muss China besonders daran arbeiten, die Sicherheitsbedenken des Westens zu überwinden. Bisher haben es nur sehr wenige chinesische Marken geschafft, weltweit Fuß zu fassen. Huawei ist sicher die bekannteste. Aber gerade hier zeigen sich die Ängste westlicher Regierungen und Konsumenten am deutlichsten.