Von Gastautor Olaf Rotax, Managing Director bei dgroup / Part of Accenture
Mit ihren Ökosystemen haben die digitalen Player Chinas den Begriff New Retail maßgeblich geprägt. In Kurzform: der Verbindung des Besten aus der analogen mit dem Besten aus der digitalen Welt, im Zentrum: der Kunde. Während sie dabei bereits mit künstlicher Intelligenz experimentieren und das nächste Level des Handels einläuten, ist New Retail für viele Händler hierzulande noch kein Begriff. Statt den notwendigen ersten Schritt in Richtung Handel der Zukunft zu machen, verharren sie angesichts der riesigen Konkurrenz in einer Art Schockstarre. Experimentierfreudigkeit scheint für lokale Händler ein Fremdwort zu sein. Doch gerade der vermeintliche Feind aus China, könnte deutschen Händlern mit kreativen Denkanstößen zu einem neuen Ansatz verhelfen.
Die DNA chinesischer Retailer
In China können Kunden so gut wie alles abwickeln. JD.com, Alibaba & Co. verkaufen nicht nur Produkte, sondern Services. Sie verknüpfen ihre Shoppingplattformen mit Dienstleistungen, die sich im Laufe der Zeit als sinnvoll oder notwendig erwiesen haben, um das Kerngeschäft voranzutreiben. So hat Alibaba bereits vor rund 15 Jahren den Bezahldienst Alipay eingeführt, nachdem Chinas Konsumenten lange keine Möglichkeit hatten, sicher online zu zahlen. Heute zählt der Bezahldienst zu den Beliebtesten in China. Als Apple 2014 das iPhone 6 Plus herausbrachte, war es zunächst zu groß für gängige Hosentaschen. Quasi über Nacht tauchten in China mobile Änderungsschneidereien auf, die dieses Problem in minutenschnelle aus dem Weg schafften. Immer wieder zeichnen sich chinesische Händler wie hier durch Schnelligkeit, Anpassungsfähigkeit und Pragmatismus aus.
Eine auf lange Sicht geplante Strategie gibt es jedoch auch bei chinesischen Retailern nicht. In welche Richtung sich ihr Angebot und das Konsumentenkaufverhalten entwickelt, ist im schnellen, dynamischen digitalen Zeitalter nicht immer klar. Daher passen die Chinesen es immer wieder auf den Kunden an. Der Schlüssel zum Erfolg liegt klar darin, dessen Anforderungen auszutesten und auf diese zu reagieren. Und das erfolgt eben meist iterativ. Natürlich sind Kundenbedürfnisse nicht immer konkret zu definieren. Wird es komplizierter, lohnt sich der Einsatz von Technologien. Die chinesische Firma Malong zum Beispiel setzt bei der Identifikation der Kundenwünsche auf künstliche Intelligenz. So werden weltweite Modetrends analysiert, um Textilherstellern den Stoffbedarf für die kommende Saison vorherzusagen.
Umsetzung im deutschen Handel
Händler sollten sich aus der Schockstarre befreien. Statt von Null anzufangen, kann eine schrittweise Neuausrichtung insbesondere der Kundenservices zielführender sein. Um Lösungen anzubieten, die unverzichtbar sind, müssen Händler ihren Kunden jedoch genau kennen. Wenn man identifizieren kann, welche seiner Probleme mittels des eigenen Angebots gelöst und welche Wünsche erfüllt werden können, dann ist die Daseinsberechtigung – auch in einer Welt von Amazon und Alibaba – gesichert. Dabei müssen fehlende Kompetenzen zum Einsatz von innovativen Technologien kein Hindernis sein: Es gibt bereits bestehende Lösungen von Dienstleistern, auch Startups, mit denen man zwecks Umsetzung kooperieren kann.
Fazit
Amazon, Alibaba & Co. bringen auch den deutschen Handel zunehmend in Bedrängnis. Dieser kann nicht von heute auf morgen neu erfunden werden, allerdings ist dringend Umdenken gefragt. Ob stationär oder online: Nur die Händler, die den Kunden radikal in den Fokus stellen und dessen Ansprüchen mit innovativen Lösungen entgegenkommen, werden sich auf Dauer behaupten können.
Über den Autor: Olaf Rotax ist Retail- und China-Experte und Gründer sowie Managing Director der auf digitale Transformation spezialisierten dgroup / Part of Accenture.