Von Stefan Winterbauer
Was macht eigentlich gutes Content Marketing aus?
LUKAS KIRCHER: Der wichtigste Erfolgstreiber ist, sich bedingungslos in die Perspektive des Kunden, beziehungsweise Lesers zu versetzen. Das erfordert, wegzugehen von einer klassischen, produktzentrierten Kommunikationsstrategie hin zu einer bedürfnisorientierten Kommunikationsstrategie. Letztlich führt das zu viel besseren Ergebnisse. Bei der Allianz haben wir damit erreicht, dass die Conversion Rates auf die eingesetzten Werbemittel mehr als verzehnfacht wurden. Und das mit Werbemitteln, die nicht primär auf den Verkauf von Produkten aus waren, sondern auf das Lebensgefühl der Kunden eingegangen sind.
Besteht da nicht die Gefahr, Werbung für die Konkurrenz mitzumachen?
Das ist tatsächlich so. Kommunikation von den Kunden, also den Lesern, freiwillig genutzt werden. Dabei geht man auch ein Stück in die Allgemeinbildung hinein. Eine relativ aktuelle Kampagne der Fluggesellschaft KLM heißt „Happy to help“. Die haben angefangen, über Twitter unter dem Hashtag #happytohelp Menschen an Flughäfen zu helfen: mit dem Gepäck, mit Anschlussflügen, mit dem Taxi usw. Die helfen auch Kunden, die gar nicht mit KLM fliegen. Der Hintergedanke ist natürlich, dass sich die Konsumenten fragen: Mein Gott, die helfen mir, obwohl ich gar nicht mit denen fliege. Was würde denn passieren, wenn ich da auch noch Kunde bin? Zielgruppen informieren sich immer stärker vor dem eigentlichen Markenkontakt. Da darf man sich nicht raushalten, auch auf die Gefahr hin, dass man mal einen kleinen Tipp gibt, von dem auch ein Konkurrenzprodukt profitiert.
Muss beim Content Marketing die Marke als Absender immer klar erkennbar sein?
Das halte ich für ein absolutes Muss! Wenn man das nicht macht, ist das auf Dauer ein Verstecken vor der Zielgruppe. Die Leute sind ja nicht doof, die finden das das nicht in Ordnung, wenn sich die Marke versteckt. Das schadet Native Advertising in Deutschland gerade sehr, dass es da viele Anbieter gibt, die damit werben, dass man nicht sieht, wer der Absender ist. Da wird damit geworben, dass etwas „fast wie Redaktion“ aussehe oder „von Redaktion kaum zu unterscheiden“ sei. Das ist der falsche Weg. Die Menschen fühlen, dass das keine Redaktion ist und das schadet der Marke. Das ist in etwa genauso hilfreich wie ein langweiliger 10-Sekünder als nicht-wegklickbare Preroll bei einem YouTube-Video. Die Menschen bestrafen Marken, die sie in der Kommunikation dauerhaft unfair attackieren.
Die Befürworter von Native Advertising argumentieren, dass solche Beiträge durchaus als „Sponsored Content“ gekennzeichnet ist. Meist halt eher klein …
Ich bin ein großer Fan von Native Advertising – wenn es richtig gemacht wird. Und das bedeutet, ganz klar ausschildern, von wem das kommt. Native Advertising ist aus meiner Sicht kein typografischer Schleichwerbeversuch. Native Advertising ist zunächst einmal die Erkenntnis, dass Standard-Werbebotschaften bei Kunden nicht mehr allzu prickelnd ankommen. Marken müssen sich Gedanken machen, ob es nicht etwas gibt, das eine Zielgruppe mehr interessiert, als das Wiederkäuen von klassischen Marketingbotschaften. Vorzugsweise Content.
Kann man das auf die Formel bringen: Gutes Native Advertising ist gleich Content Marketing?
Absolut. Ganz wichtig: Der Absender muss klar und eindeutig erkennbar sein. Alles andere schadet auf Dauer der Marke.
C3 steht für Creative Code and Content. Wie kann Code kreativ sein?
Damit können Sie eine Doktorarbeit füllen …
Bitte eine Kurzfassung …
Ich gebe Ihnen zwei Beispiele. Eine Sache, mit der wir experimentieren ist Sequential Storytelling bei Facebook. Im Prinzip ist das eine Weiterentwicklung des klassischen Retargeting. Es macht ja keinen Sinn, dass ich Nutzern auf jeder Plattform eine Story immer wieder von vorne erzähle. Viel besser wäre es doch, eine Art Fortsetzungsroman zu erzählen und dem Nutzer immer neuen Content bereitzustellen. Das ist eine Denke, auf die würde man ohne technische Insights gar nicht kommen. Eine Redaktion weiß gar nicht, wie so etwas technisch funktioniert. Dafür brauchen Sie Code! Ein anderes Beispiel ist Monitoring. Für die Allianz haben wir Themenwelten gestaltet. Da haben wir zum Beispiel Fragen zum Thema Pflege bearbeitet. Die Leute interessieren sich nicht in erster Linie für Produktvergleiche und Vergleiche von Versicherungsdaten. Die wichtigsten Fragen der Deutschen an das Thema Pflegeversicherung ist, wer zahlt eigentlich für meine Eltern? Und ältere Paare wollen auch gerne wissen: Wieviel müsste ich in mein zuhause in mein Heim investieren, damit ich trotz Pflegestufe 1 noch zehn Jahre darin leben kann? Das sind journalistische Recherche-Ergebnisse, die auf Monitoring basieren, worüber Leute im Netz gerade diskutieren.
Wie wichtig ist Messbarkeit für Content Marketing-Kampagnen?
Das nimmt dramatisch an Bedeutung zu. Auch darum müssen Kreative und Techniker von vorneherein Hand in Hand arbeiten, um die Messbarkeit von Kampagnen zu gewährleisten.
Ein Stichwort, das immer wieder fällt ist „qualitative Reichweite“. Wie wollen sie messen, ob sich wirklich der oder die Richtige mit dem Content einer Marke auseinandersetzt?
Die wichtigste Frage ist immer, was wollen wir eigentlich erreichen? Was ist das Ziel? Bei der Allianz ist das zum Beispiel eine hohe Conversion Rate, eine Steigerung der Sales. Bei anderen Projekten geht es mehr um Awareness. Im Content Marketing können wir digital verfolgen, was der Leser in einem Angebot tatsächlich konsumiert. So können wir zum Beispiel bei Volkswagen nach zwei, drei gelesenen Artikeln schon recht genau sagen, ob das jemand ist, der eher eine Familie hat oder jemand, der an Sportwagen interessiert ist. Durch die Art und Weise, wie der Content konsumiert wird, bekommen wir ein viel besseres Gefühl für den Leser als beim klassischen Advertising.
Zwei große Trends sind Video und Mobile. Spielt das auch für Content Marketing zunehmend eine Rolle?
Auf jeden Fall! Bei Video wird mittlerweile erwartet, dass es seamless in Angebote integriert ist. Früher gab es diese Bewegtbild-Ghettos. Heute will man, dass an genau der richtigen Stelle eines Angebots ein Video losgeht, so wie man das von Facebook her gewohnt ist. Der Aufwand ist nicht zu unterschätzen. Bei Content Marketing muss man eher zehn bis zwanzig Videos mit kleinerem Budget produzieren und nicht das eine Corporate Video mit Riesenaufwand, das am Ende vielleicht nur der Vorstand guckt. Wichtig bei Video sind serielle Formate und solche, die man schnell produzieren kann. Nur so kann man die Bedeutungshoheit über ein Thema bekommen.
Nachdem C3 zehn BCP-Awards gewonnen hat, haben Sie die kollegiale Atmosphäre in Content-Marketing-Kreisen gelobt. Dann loben Sie doch jetzt mal ein besonders gelungenes Content-Marketing-Projekt der Konkurrenz!
Kein Problem: Ich bin zum Beispiel ein großer Fan der „bleib gesund“-Sachen, die die wdv-Gruppe für die AOK macht. Die haben es geschafft ihren Kunden über viele Jahre auch digital richtig weiter zu bringen.
Eine viel diskutierte aktuelle Entwicklung sind Instant Articles auf Facebook. Das müsste Ihnen doch in die Hände spielen?
Absolut, das ist grandios. Facebook war schon immer eine extrem hässliche Umgebung, in der man optisch nicht viel machen konnte. Da werden uns Instant Articles bei der Präsentation in Zukunft sehr helfen.
Medien sehen das zweischneidig. Einerseits locken Reichweiten und vielleicht Werbe-Erlöse. Aber sie haben auch Angst, Kontrolle an Facebook abzugeben. Hat eine Agentur auch Punkte bei Facebook, die sie kritisch sehen?
Wer sich mit Facebook ins Bett legt, muss auch damit rechnen, mal übers Ohr gehauen zu werden. Das war damals mit den Brandpages schon so. Was haben wir nicht alles investiert, um möglichst viele Fans für unsere Pages zu bekommen. Dann hat Facebook die Algorithmen geändert und plötzlich sieht nur noch ein kleiner Teil meiner Fans die Inhalte. Das kann uns mit Instant Articles natürlich auch passieren. Ich verstehe die Sorgen der Verlage total. Für uns als Agentur bedeutet dies immer, dass wir auf den Zehenspitzen bleiben müssen. Wir dürfen uns nicht auf ein Modell festlegen und da einen Fünf-jahres-Plan drauf aufbauen. Facebook kann jederzeit Bedingungen und Algorithmen ändern, wir müssen dann reagieren. Wir haben gegenüber Verlagen aber natürlich den Vorteil, dass unser Geschäftsmodell die Kommunikation ist und nicht das Bezahlen von Inhalten. Darum sind wir da schon ein bissen weniger aufgeregt.
Was sind ihrer Meinung nach die nächsten großen Digital-Trends?
Ein Trend am Horizont ist die weitere Verschaltung der physikalischen Welt mit dem Internet. Ich habe mir diese Virtual-Reality-Brille Oculus Rift angeschaut und Virtual Reality Apps auf dem iPhone, das ist schon toll, was da kommt. Ein Trend, der gerade richtig reinhaut ist natürlich Mobile. Die Vogue in den USA macht 95 Prozent ihres Traffics mit Mobile! Die haben eine eigenen Mobile-Redaktion und setzen auf Streams statt auf eine klassische Seite. Die mobile Revolution kommt gerade erst ins Rollen.