Liebe Anna-Theresa,
auch wenn du klug, sportlich und ehrgeizig bist, dir viel vornimmst und viel schaffst – bleib bitte immer du selbst! Lass dir nicht einreden, dass Frauen nur dann wirklich erfolgreich sind, wenn sie wie Männer daherkommen und sich auch so verhalten. Das ist Bullshit!
Es nützt ja nichts, wir leben nach wie vor in einer in vielen Bereichen von Männern dominierten Welt. Das wird sich auch nicht so schnell ändern, bis du groß bist.
Klar, es hat sich schon einiges getan, aber wir sind noch lange nicht am Ziel. Ich rate dir: „Bleib du – weiblich und authentisch“. Warum?
Gut ausgebildet, mit dem Willen erfolgreich zu sein und gleich nach dem Studium alles zu geben, bin ich mit 24 Jahren in meinen ersten Job gestartet. Im Inhouse Consulting eines Mobilitätsanbieters. Ich hatte keine Ahnung von nichts, war aber von mir selbst überzeugt.
Aber: Damals war es das Wichtigste in einem Konzern, nicht weiblich daherzukommen, sondern mit männlichen Attributen, so zu ticken wie ein Mann und eben auch so auszusehen. Vom ersten Tag an wurde ich größtem Druck ausgesetzt, meine Weiblichkeit auszumerzen. Das hieß: Keine offenen Haare, kein Make-up, eine nerdige Brille (ja, ich weiß, heute ist das angesagt, vor 20 Jahren war es furchtbar!), nur flache Schuhe, bloß keine Heels und auch keinen Schmuck. Also kaufte ich Hosenanzüge und mutierte äußerlich zum Mann. Im Vordergrund sollte nur die Aufgabe stehen. Dabei weiß man schon seit Coco Chanel, Frida Kahlo und Joan Collins, dass man sich in seinem Outfit wohlfühlen soll, die Garderobe Ausdruck und Teil der Persönlichkeit ist.
Und was hat das nun mit mir gemacht?
Ich habe versucht mich anzupassen, dem Folge zu leisten, aber es hat mir mein gesamtes “Ich” genommen und meine Authentizität geraubt. Es war zum Heulen (ja, auch das gehört zur Wahrheit), es wurden Selbstzweifel geweckt, die ich eigentlich nicht hatte. Es begann ein Teufelskreis. Egal was ich tat – es war nicht genug – ich war nicht genug “Mann” – darunter litt dann auch meine Leistung.
Glück im Unglück: Mein damaliger Practise-Leiter bemerkte meinen Zwiespalt und sagte mir, dass ich ich selbst bleiben soll und muss. Nur dann könne ich erfolgreich sein und kann meinen Aufgaben mit Spaß begegnen.
Mit seiner Unterstützung startete meine komplette Emanzipation – auch wenn es von der Führungsriege nach wie vor nicht gutgeheißen wurde und man sogar versucht hat einzuwirken. Zwei Kollegen haben sich damals massiv für mich eingesetzt, mein Selbstwertgefühl aufgebaut und mich in meinem Weg bestärkt. Einer der beiden ist leider inzwischen verstorben, der andere jedoch zählt bis heute zu meinen wichtigsten Mentoren und Beratern.
Daher, liebe Anna-Theresa, sei immer du selbst und lass dich von nichts und niemanden verbiegen. Ich war damals zu ängstlich, zu neu im Berufsleben, zu eingeschüchtert von den vielen erfahrenen männlichen Kollegen.
Mach es besser!