Brief an mein jüngeres Ich, Folge 30: Dieter Schneider

Im Brief an sich selbst schreibt Dieter Schneider über Olympia, eine Weltumrundung - und einen Schicksalsschlag, der zu seinem Engagement für mehr Aufmerksamkeit für Depressionen führt.
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Dieter Schneider ist Initiator der weltweiten Motorraddemonstrationen Fellows Ride. (© privat, Montage: Katharina Höhner)

Liebes jüngeres Ich, 

du bist in ein Handwerkermilieu geboren worden, wo es mehr ums Arbeiten als ums Philosophieren ging. Ich kenne dich nur als Träumer. Du sollst als kleines Kind ruhig und zurückhaltend gewesen sein, sagt man. Aber schon immer neugierig, das weiß ich. Spoiler: Du wirst dein ganzes Leben ein Träumer und gierig auf Neues bleiben. Als Schüler wird Deutsch dein Horrorfach. Die Rechtschreibung liegt dir nicht. Im Sport zeigst du mehr Talent als im Diktat. Da wächst eine Leidenschaft heran, die das erste Drittel deines Lebens bestimmen wird und den größten Traum eines Sportlers, in deinem Fall Fechters, erfüllt: Olympia. Und weil einmal nicht reicht, noch ein zweites Mal. 

Weil du immer zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort gute Menschen um dich hattest, wurden Optionen in der Ausbildung gefunden, die zum erfolgreichen Studienabschluss führten. Du wolltest weiter träumen und deinem Gestaltungsdrang freien Lauf lassen. Unabhängig und erfolgsorientiert. Du bist in der Werbung gelandet und baust mit Hand, Herz und Hirn eine Agentur auf. In 25 Jahren entwickelst du einen Instinkt für Impact. Du absolvierst noch eine Ausbildung als Fachjournalist für Motor und Reisen. Das ist einerseits die späte Rache an deinem Deutschlehrer. Andererseits bereitest du dich auf den Ruhestand vor, den du auf dem Motorrad verbringen willst.  

Ein Schicksalsschlag stellt deine Welt auf den Kopf. Du steigst aufs Motorrad und umrundest die Erde. Nach zwei Jahren und 120.000 Kilometern kommst du in die Heimat als anderer Mensch zurück. Du schreibst ein Buch, machst einen Film und lässt alles hinter dir. Du fängst an, dein Wissen, deine Erfahrung und deine Energie in ein Charity-Projekt zu stecken: Mit Fellows Ride schaffst du Aufmerksamkeit für die Volkskrankheit Depressionen, damit die Präventionsangebote besser werden und die Suizidrate sinkt. Werbung, PR, Journalismus und Fundraising sind gefragt. Endlich wirst du das anwenden können, was du im Leben gelernt hast – für eine gute Sache. Du hast die einmalige Chance, Träume zu verwirklichen. Kranken Menschen zu helfen. Immer noch treibt dich die Neugier an. Der Sport hat dich fit altern lassen. Nach der Rechtschreibung kräht nach der x-ten Reform, Word und ChatGPT kein Hahn mehr. Ich bin stolz darauf, was du aus deinem Leben gemacht hast. Bleib wie du bist: ein „neugieriger Träumer“ mit Tatentrang, ohne Rechtschreibkenntnisse. 


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