Brexit: Was der Ausgang für die britische Wirtschaft und Marke bedeutet

Die wirtschaftlichen Folgen eines Austritts Großbritanniens aus der EU, da sind sich alle großen Wirtschaftsinstitute der Welt einig, wären schwerwiegend – für Großbritannien, aber auch für die EU. Was aber bedeutet ein Brexit für das Image Großbritanniens?
Wie sehr beeinträchtigt der Brexit das Konsumklima?

Der in den letzten Wochen immer schärfer ausgetragene Kampf um die Wählerstimmen für und wider eines EU-Austritts der Briten dominiert die Medienberichterstattung in dieser Woche. Am Donnerstag in den späten Abendstunden sollen die ersten Ergebnisse öffentlich werden.

Ein Austritt wäre seit den Beschlüssen von Maastricht die größte Zäsur in der Geschichte der EU. Ein Brexit hätte für Großbritannien massive Folgen, da mit dem Austritt die vier Grundfreiheiten des europäischen Binnenmarktes – freier Güter-, Dienstleistungs-, Kapital- und Personenverkehr – für das Land nicht mehr gültig wären.

Kopf-an-Kopf-Rennen: Britten sind unentschieden

Prognosen aufzustellen gestaltet sich äußerst schwierig. Laut Analysen und Umfragen, beispielsweise des Marktforschungsunternehmens Ipsos, wird es ein Kopf-an-Kopf-Rennen geben. In der letzten Erhebung gaben 47 Prozent der Befragten an, zu Gunsten des EU-Verbleibs zu votieren, 49 Prozent waren für einen Brexit.Political Monitor_June_Slide_PI.a6cdf2fec919c39da66c3cc9f26aff491559

Gleichwohl scheinen Viele noch unentschlossen und ändern ihre Meinung seit Wochen immer wieder. 15 Prozent der Briten, so die Analysten von Ipsos, haben seit April das Lager gewechselt. Mehr als die Hälfte der Brexit-Befürworter (52 Prozent) empfindet die Einwanderungsthematik als den wichtigsten Aspekt vor dem Referendum.

Argumente für und gegen den Brexit

Befürworter eines EU-Austritts von Großbritannien argumentieren, dass das Land als drittgrößter Nettozahler in der Union ein Verlustgeschäft mache. Ein weiteres Argument ist die Kontrolle über die Grenzen. EU-Bürger haben das Recht, sich im Königreich niederzulassen. Derzeit leben und arbeiten dort mehr als zwei Millionen Menschen aus anderen EU-Ländern. Die Brexit-Befürworter sagen, dass sie die sozialen Sicherungssysteme belasten würden – Studien wiederlegen das jedoch. Für Unmut sorgt auch die in den Augen vieler Briten ausufernde Regulierung durch Brüssel. Die Brexit-Befürworter fordern deshalb eine Rückbesinnung auf die nationale Souveränität, wie der Mitteldeutsche Rundfunk zusammenfasst.

Gegner eines Brexit warnen insbesondere vor den wirtschaftlichen Konsequenzen. „Einem Gutachten des britischen Finanzministeriums zufolge würde ein Brexit jeden Haushalt in Großbritannien 4.300 Pfund pro Jahr kosten. Der Grund: Das Land müsste neue Freihandelsabkommen abschließen, Investitionen aus Drittstaaten könnten zurückgehen und Banken könnten nach Kontinentaleuropa abwandern“, schreibt der mdr. Die Folge wäre eine Rezession.

Wirtschaftliche Folgen für die Briten

Zumindest darüber sind sich alle großen Wiritschaftsinstitute einig. Ob Internationaler Währungsfonds, OECD, Ifo-Institut, London School of Economics oder britisches Finanzministerium: Sie alle sehen den Brexit insgesamt negativ. Sollten die Briten tatsächlich für einen EU-Austritt votieren, steht das Land vor enormen Umwälzungen. Langwierige Reformen könnten die Wirtschaft über Jahre lähmen.

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Im ungünstigsten Szenario verliere das Land sämtliche Privilegien, die sich aus den 38 existierenden Handelsabkommen der EU mit anderen Ländern ergeben. „Je nach Ausmaß der handelspolitischen Abschottung wäre das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) je Einwohner im Vereinigten Königreich im Jahr 2030 zwischen 0,6 und 3,0 Prozent geringer als bei einem Verbleib in der EU“, zitiert das Handelsblatt die Ergebnisse einer Bertelsmann-Studie. Im schlimmsten Fall müssten Unternehmen Zölle auf Waren zahlen, die sie ausliefern, oder hätten Probleme, Personal zwischen den Standorten auszutauschen. Die Regeln für die Freizügigkeit der Arbeitnehmer würden nicht mehr gelten.

Da Experten im Falle eines Brexit mit einer kräftigen Abwertung des britischen Pfunds rechnen, kämen auch Abschreibungen auf Investitionen auf die Konzerne zu: In dem Land mit seinen 64 Millionen Einwohnern wären dann Werke, Maschinen oder Firmenanteile auf einen Schlag weniger wert.

Zugleich müssten alle EU-Länder den Wegfall der Beiträge des Nettozahlers Großbritannien zumindest teilweise ausgleichen. „Für Deutschland dürften die dadurch entstehenden zusätzlichen jährlichen Ausgaben gegenwärtig bei rund 2,5 Milliarden Euro brutto liegen. Frankreich müsste knapp 1,9 Milliarden Euro zusätzlich zahlen, Italien fast 1,4 Milliarden Euro und Spanien rund 0,9 Milliarden Euro“, heißt es in der Bertelsmann-Studie.

Wirtschaftliche Folgen für andere Länder

Auch andere Länder würden unter dem Austritt leiden, allen voran Irland. Das zumindest ergibt der Brexit Sensitiv Index, mit dem die Wirtschaftsratingfirma S&P Global Ratings (früher Standard & Poor’s) versucht auszurechnen, welchen Ländern ein britischer Austritt wirtschaftlich am meisten schaden würde. Grundlage dafür bilden die wirtschaftliche Verflechtung, Import-Export-Daten, finanzielle Forderungen, ausländische Direktinvestitionen und Migration.

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Irland, heißt es darin, habe geografisch und historisch bedingt engere Verbindungen zum Vereinigten Königreich als jedes andere Land. Malta, Luxemburg, Zypern und die Schweiz wären insbesondere als Finanzplätze vom Brexit betroffen. Außerdem ziehen die Mittelmeerinseln Malta und Zypern bisher viele britische Touristen und Rentner an, schreibt das Online-Magazin Krautreporter in einer Zusammenfassung.

Deutsche Unternehmen fürchten vor allem um einen ihrer wichtigsten Exportmärkte. Strengere Handelsbestimmungen würden etwa der Automobilindustrie, dem Maschinenbau, Elektro- oder Chemieindustrie ihren Absatz erschweren. Im vergangenen Jahr lieferten beispielsweise deutsche Hersteller Maschinen im Volumen von 7,2 Milliarden Euro nach Großbritannien. Das Vereinigte Königreich landete auf Rang vier der wichtigsten Ausfuhrländer für Maschinen „Made in Germany“. Deutschland ist dem VDMA zufolge der wichtigste Maschinenlieferant der Briten, 2015 kamen 20,6 Prozent der importieren Maschinen aus der Bundesrepublik. „Der Handel mit Großbritannien würde im Brexit-Fall wohl spürbar erschwert – für eine exportstarke und mittelständisch geprägte Industrie wie den Maschinenbau wäre dies eine deutliche Belastung“, sagt Ulrich Ackermann, Außenwirtschaftsexperte des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) gegenüber Impulse.

Folgen für die Marke „Great Britain“

Allen wirtschaftlichen sowie den hier ausgelassenen sicherheits- und außenpolitischen Argumenten voran aber ist die Abstimmung eine Frage des britischen Stolzes. Nicht ohne Grund heißt der weit verbreitete Slogan des „Leave“-Lagers „Make Britain great again“. Kommentatoren wie der Al-Jazeera-Journalist Marian Bishara sehen darin gar eine Redefinition des modernen Großbritanniens.

Dabei hatten die Inselstaaten schon immer eine Sonderstellung in der EU: Sie sind weder Teil der Währungsunion, noch des grenzenlosen Schengenraums. Tatsächlich haben die Briten immer ein bisschen ihr eigenes Ding gemacht. Ein Brexit könnte diese Eigenart noch unterstreichen – nach innen und außen. Historisch gesehen steht Großbritannien nicht zuletzt für territoriale und politische Souveränität.

Ein Hauptargument der Brexit-Befürworter ist daher auch, dass Großbritannien alleine schneller Handelsbarrieren mit Nicht-EU-Ländern abbauen und Freihandelsabkommen schließen könnte. Das sei im Prinzip auch möglich, sagt Gabriel Felbermayr, Handelsökonom am Münchner Ifo-Institut, gegenüber Spiegel Online. „Aber die Briten würden allein wohl nicht die gleichen Bedingungen bekommen, die wir gemeinsam als EU aushandeln können.“ In Freihandelsverhandlungen diktiere meist der größere Partner die Konditionen.

Die Marke Großbritannien spielt aber vor allem im Tourismus eine große Rolle – hier würden die Inselstaaten einer Untersuchung des weltweit tätigen Herausgebers von Reiseangeboten Travelzoo Einbüßen hinnehmen müssen. Der Europäische Tourismus nach Großbritannien könnte durch einen EU-Austritt um ein Drittel zurückgehen, heißt es darin – das wären in etwa 4,1 Milliarden Pfund jährlich.

Ein Drittel der Reisenden aus Deutschland, Italien und Spanien – sowie ein Viertel aus Frankreich -, erklärten, dass sie weniger geneigt seien, nach Großbritannien zu reisen, falls das Land für einen EU-Ausstieg stimmt. Vier von zehn Befragten aus EU-Ländern befürchten zudem, dass der Brexit den Urlaub in Großbritannien verteuern könnte. Gleichwohl glauben Befragte aus einigen Ländern, vor allem Frankreich, auch, dass ein EU-Ausstieg Großbritannien zu einem sichereren Urlaubsziel machen könnte.

Mehr zum Brexit: Gute Zusammenfassungen zu Argumenten beider Lager und möglichen Folgen gibt es beispielsweise hier und hier.