Von Judith Meyer
Vor einigen Monaten unternahm ich einen Selbstversuch. In Nürnberg besuchte ich den Bree Monobrand-Store. Ich war alleine, die Verkäuferin grüßte recht freundlich, wollte dann aber lieber Taschen ins Lager räumen und überließ mich meiner selbst. Eigentlich hatte ich mir zuvor fest vorgenommen endlich die „Stockholm 47“ zu kaufen, hatte aber noch Nachfragen zur Lederbehandlung. Aber so verließ ich den Laden unverrichteter Dinge und ließ die Tasche für 449 Euro im Laden zurück. Von diesem Erlebnis erzählte ich acht meiner engen Freunde…
Die großen Vorhaben der Bree-Führungsebene sind nicht auf der Fläche angekommen. Dabei hatte man sich viel Mühe gegeben und alle Register gezogen: Die Firmenzentrale noch letztes Jahr verlegt, das Markenmanagement mit vollem Engagement vorangetrieben, die Sortimentsbreite reduziert und – nach unendlich langer Zeit – die Website so programmiert, dass die Produktbilder auch luden. Leider hatte man vor lauter Wandel vergessen, die Mitarbeiter im Kundenkontakt auch zu Fans der Marke zu machen. Begeisterung und Stolz für die Marke zu arbeiten, war in den Läden nicht zu spüren.
Marke ist gemeinsam mit ihrer Kundschaft gealtert
Im Vergleich zu anderen Taschenherstellern geriet Bree über die Jahre ins Hintertreffen. Zu spät erkannte das Familienunternehmen die Bedeutung digitaler Kanäle, um mehr Kundennähe zu erzeugen. Vergleichbare Taschenhersteller erzielen 20 bis 30 Prozent ihrer Umsätze über das Online-Geschäft. Bree erreicht gerade einmal fünf Prozent. Zu spät versuchten die Verantwortlichen, jüngere Käufergruppen zu erschließen. Die Marke alterte gemeinsam mit der bestehenden Kundschaft.
Mit einer neuen, urbanen Submarke und Produkten aus Kunststoff für Kuriere und Großstadtnomaden wollte Bree jüngere Käufer ansprechen. Gute Idee. Was die Verantwortlichen nicht bedacht hatten: Produkte wie diese gibt es bereits viele. Zumal das Schweizer Unternehmen Freitag nicht nur ähnliche Produkte herstellt, sondern dazu noch alte LKW-Planen und Radschläuche upcycelt. Ein unschlagbares Gesamtpaket für die nachhaltigkeitsorientierte Zielgruppe. Kaufentscheidungen werden heute stark durch die Haltung, die eine Marke einnimmt, bestimmt. Hatte Bree eine Identität und eine Idee, für was die Marke steht? Ich habe sie nicht gefunden.
Spitzenleistungen aus den Augen verloren
In den 1970er und 1980er Jahren konnte Bree einzigartige Kompetenzen aufbauen: Taschen aus Naturleder mit puristisch-funktionalem Design, damals ein Alleinstellungsmerkmal. Dies paarte die Marke mit ihrem Innovationswillen und tüftlerischem Entdeckergeist. Ein wahrer Schatz, aus dem man in der heutigen Zeit aus dem Vollen hätte schöpfen können – hätte man sich nicht vom unbarmherzigen Wettbewerb verunsichern lassen. Halbherzig und ohne Fokus ließ man diese Spitzenleistungen verebben und versuchte zu spät die Umkehr.
Auch am Preis versuchte Bree zu schrauben – leider ohne zuvor den Attraktivitätsaufbau der Marke sicherzustellen: Das Unternehmen scheiterte am Uptrading der Marke in Richtung Premium. Mit einer weiten Preisrange von 70 bis 700 Euro waren die Kunden nicht in der Lage, die Taschen in ihr antrainiertes Preisgefühl zu verorten. Zumal nicht wirklich klar gemacht wurde, wofür die Kundin ihr Geld ausgibt. Die Leistungen der Marke wurden nicht konsequent ausgedrückt und die Marke wurde nicht genug wertgeschätzt. Zuletzt agierte der Hersteller hier stringenter und kam überein, keine Ledertaschen mehr unter 200 Euro zu verkaufen. Das ursprüngliche Problem der fehlenden Attraktivität blieb trotzdem.
Eine Marke mit so großer Historie sterben zu sehen, schmerzt. Bleibt nur die Hoffnung auf einen Großinvestor, der das Kapital der Marke nutzt und wieder aufbaut. Bree wäre es wert!
Dr. Judith Meyer ist Senior Brand Consultant bei BrandTrust.