Brands Ahead Studie: Starke Marken. Starke Teams. Starke Zukunft.

Vier Markenverantwortliche reden über die sechs Thesen zur Zukunftsfähigkeit der Marke. Unternehmer aus dem Start-up-Bereich sowie weltweit agierenden Unternehmen beziehen Stellung. Wie lassen sich flexibles Handeln, Balance der Markenführung, gute Dialogfähigkeit und kundenorientierte Werteversprechen auch in den nächsten Jahren bewahren und in das digitale Zeitalter übertragen?

Aus den verdichteten Kriterien lassen sich sechs Kerntreiber für die Zukunftsfähigkeit der Marke postulieren:

1. Marken im Wandel. Etablierte Treiber bleiben, müssen aber neu interpretiert werden. Als „immer wichtig“ werden bekannte Aspekte wie Vertrauen, Kundenorientierung, Leistungsversprechen und Haltung/Leitbild eingestuft. Spannendes Indiz für Marke im Wandel ist der Alterssplit. Während das Segment 50+ klassischen Faktoren eine hohe Zustimmung gibt, gewichten die jüngeren Marketer die Dialogfähigkeit höher.

2. Konzentration vs. Komplexität. Herausforderung: der Spagat zwischen dem klar definierten Markenkern und den multiplen Instrumenten der Markenführung. Prototypisch für den Spagat zwischen Komplexität und Konzentration ist der hohe Zustimmungswert dafür, dass Marken nicht demokratisch geführt werden müssen. Hier braucht es das richtige Gespür für die Balance: Einbeziehen der Stakeholder ja, aber danach klare Entscheidungen Top-down.

3. Relevanz entsteht durch Kontext. Persönliche Bedeutung entsteht durch flexibles Handeln im Lebensumfeld. Relevanz erhält im Gegensatz zur statischen Markenpositionierung eine deutlich dynamischere Facette. Sie muss den Marken brauchen ein Leistungsversprechen, um im Wettbewerb zu bestehen. Zu dem Ergebnis kommt die Studie „Brands ahead – Zukunftsfähigkeit der Marke“ von TNS Infratest und Grey Deutschland mit Unterstützung vom Deutschen Marketing Verband und Markenverband Wandel situativer Stimmungen reflektieren. Die Fähigkeit zu reagieren statt zu agieren gewinnt an Bedeutung.

4. Dialogtiefe schlägt Dialogbreite. Dialogqualität ist wichtiger als die Vielfalt der Dialogplattformen. Die reine Dialogmöglichkeit erlaubt noch keine Differenzierung. Aber die Investition in Dialog kann die Relevanz treiben.

5. Mehr Empathie statt Technologie. Der Maßstab für Innovationskultur ist der Mensch mit seinen Bedürfnissen. Entscheidend ist die hohe Zustimmung dafür, dass sich Innovation erst in den Augen der Verbraucher zeigt.

6. Haltung vs. Funktion. Werteversprechen ergänzt Leistungsversprechen. Wichtig ist eine klare und gelebte Wertehaltung von Marken. Das Hinterherhecheln nach jedem Trend wird als zukunftsgefährdend gesehen.

Zu diesen sechs Thesen beziehen vier Markenverantwortliche aus dem Start-up-Bereich sowie weltweit agierenden Unternehmen Stellung. Wie lassen sich flexibles Handeln, Balance der Markenführung, gute Dialogfähigkeit und kundenorientierte Werteversprechen auch in den nächsten Jahren bewahren und in das digitale Zeitalter übertragen?

Prof. Michel Clement, Inhaber des Lehrstuhls für Marketing und Medienmanagement am Institut für Marketing und Medien der Universität Hamburg

Markenmanagement ist Chefsache – allerdings müssen sich die Chefs auch damit abfinden, dass die Markenversprechen nicht zwingend so auch von dem sozialen System (dem sogenannten „Echoverse“) wahrgenommen und schon gar nicht akzeptiert werden müssen. Das Markenmanagement ist keine Einbahnstraße mehr. Wenn die Konsumenten die Marke anders wahrnehmen oder die Versprechen nicht glaubwürdig sind beziehungsweise nicht eingehalten werden, dann werden Konsumenten reagieren – bis hin zum Shitstorm. Ganz tragisch wird es dann, wenn die Medien den Shitstorm aufgreifen: Das Echoverse entwickelt sich dann zum sich selbst befeuernden Systemkreislauf aus Medienberichten, Nutzerkommentaren und Pressemitteilungen. Der aktuelle Skandal bei VW zeigt jedoch beeindruckend, dass die sozialen Netzwerke nicht nur ein „Problem“ sind. So sind doch zahlreiche Einträge auf der VW-Facebook-Seite durchaus positiv, und viele treue Kunden verteidigen VW auch noch vor dem Hintergrund, dass die Marke ihr Credo für Nachhaltigkeit und Verantwortung verletzt hat. Deutlich wird aber, dass Unternehmen das Zusammenspiel mit den Medien und den Konsumenten beherrschen müssen, denn nur dann sind sie in der Lage zu agieren. Hierbei geht es nicht nur um die Tiefe des Dialogs, sondern auch um das Timing des Dialogs. Ein zögerliches Agieren bei kritischen Themen kann dazu führen, dass die Diskussion den Take-Off erreicht und man sich in der Defensive befindet. Durch die neuen Kommunikationskanäle wird damit Kundenmanagement zum Markenmanagement. Dies erfordert eine zentrale Kommunikationsplanung der Markeninhalte über alle Kanäle – eine Kunst, die nur wenige Unternehmen beherrschen. Eine dynamische Kommunikationskultur darf jedoch nicht bedeuten, dass das Unternehmen die Markeninhalte dynamisch anpassen muss, um jedem Trend hinterherzulaufen. Nicht jeder Sau, die durch das Dorf getrieben wird, sollte nachgehechelt werden. Vielmehr sollte die Markenpositionierung langfristiger Natur sein, sie ist sonst unglaubwürdig und daher nicht nachhaltig.

Kerstin Pape, Leiterin Onlinemarketing bei Otto

Die Digitalisierung erhöht die Transparenz beim Kunden im Hinblick auf Leistungsversprechen und Services. Die Nutzer haben zum Beispiel die Möglichkeit, Angebote viel schneller zu vergleichen und so Versprechen der Anbieter zu hinterfragen. Unser Anspruch bei Otto ist deswegen eindeutig: Die Kunden sollen auf otto.de ein persönliches Einkaufs erlebnis geboten bekommen und einen Service, wie er auch tagtäglich im Stationärhandel gelebt wird. Durch die Vielzahl der Kanäle und Disziplinen im heutigen Marketingmix kann Markenführung zwar strategisch, aber nicht operativ zentral Top-down gesteuert werden. Die Digitalisierung erfordert flexible, schnelle Produktionsprozesse, Neartime-Dialog und Erstellung von Content. Dazu sollten Marken überraschen, spontan sein und nicht nur monatelang geplante Kampagnen abrufen. Grundsätzlich braucht eine moderne Marke heute Technologie und Menschlichkeit. Verhaltensveränderungen beim Kunden sind meist technologiegetrieben. Technologie ist für Otto deshalb nie Selbstzweck, sondern hat für uns ein einziges Ziel: Unsere Kunden noch besser zu verstehen und ihnen einen echten Mehrwert zu bieten. Entscheidet sich eine Marke für eine neue Dialogplattform beziehungsweise einen neuen Dialogkanal, sollte dieser mit höchster Qualität bearbeitet werden. Aber der User erwartet von großen Brands, diese auf seinen präferierten Kanälen zu finden und ansprechen zu können. Meine persönliche Hypothese: Die Anzahl der Kontakte steigt nicht, wenn mehr Dialogplattformen angeboten werden, sondern die Kontakte verteilen sich einfach nur anders. Werteversprechen sollten nichts mit Trends zu tun haben beziehungsweise sind eine andere Ebene. Die Marke kann ihren Werten treu bleiben, aber trotzdem Zukunftstrends testen, neue Technologien ausprobieren. Das muss die Wertebene nicht negativ berühren.

Hubertus Bessau, Gründer und Gesch.ftsführer des Müsli-Customizationers Mymuesli

Erst die Kombination klassischer Faktoren wie Vertrauen und Kundenorientierung mit dynamischeren Aspekten wie Dialogf.higkeit erlauben es, langfristig eine Premiummarke aufzubauen. In der Lebensmittelbranche ist Markenvertrauen von existenzieller Bedeutung. Neben der konsequenten Einhaltung von Leistungsversprechen sehen wir einen offenen Dialog auf Augenhöhe als wichtige Basis einer nahbaren Premiummarke. Bei unserer Markenführung trennen wir nicht zwischen internen und externen Stakeholdern. Wir versuchen, alle, die mit Mymuesli in Berührung kommen, als Mitstreiter in gemeinsamer Sache, ja Freunde anzusehen. Input und Feedback unserer Müsli-Freunde sorgen immer wieder für Kursanpassungen. Dabei haben wir aber unser Ziel weiterhin fest im Blick und trennen auch kaum bei Marken und Unternehmensführung. Letztlich ist jeder Mitarbeiter, jeder Partner und Zulieferer auch Zielgruppe. Die Fähigkeit, eine dynamische Marke zu führen, erfordert schnelle und flexible Prozesse und den Mut, gewohntes Terrain zu verlassen. Als Deutschland im Sommer 2014 Weltmeister wurde, haben wir über Nacht ein „Weltmeistermüsli” entwickelt. Das Müsli stand nur vier Tage später auf mymuesli.com und in den Regalen unserer Läden. Wir glauben, dass wir als Marke dort Stellung beziehen und Kompetenz beweisen müssen, wo es unsere Kunden erwarten dürfen. Natürlich immer auch mit dem richtigen Maß an Dialogtiefe und Relevanz. Erst innovative Technologie erlaubte uns, auf individuelle Vorlieben einzugehen und so Empathie aufzubauen. So sind wir die Ersten, die erstmals Mass Customization bei Lebensmitteln anboten. Um wirklich innovativ zu sein, muss man auch Nein sagen k.nnen und einer Entwicklung Zeit geben. In einem Marktsegment, das 50 Jahre lang ohne nennenswerte Innovation auskam, setzen wir weniger auf Trend oder Wettbewerbsbeobachtung. Vielmehr versuchen wir, unsere Kraft auf die Schaffung weiterer Innovationen zu fokussieren. Bisher haben wir damit gute Erfahrungen gemacht, sowohl bei der Produktentwicklung als auch beim Marketing.

Lars Bolle, Bereichsleiter Group Brandmanagement DER Touristik

Einige Marken haben in der Vergangenheit ihre Stakeholder gerade in diesen grundlegenden Markenfunktionen stark enttäuscht. Mit der Einführung des neuen Markensystems der DER Touristik in 2013 haben wir die Grundlagen für die Realisierung der genannten Basisfunktionen einer Marke geschaffen. Gerade im Tourismus zeichnet sich ab, dass Marken noch flexibler auf die Bedürfnisse der Kunden eingehen müssen. Der Trend zur Individualisierung bleibt stark. Gleichzeitig kristallisiert sich heraus, dass die Kunden im Information- Overload verunsichert sind und eine stabile Marke als Navigator wünschen. Beides zu vereinbaren ist m.glich, daher haben wir bei DER Touristik mit dem neuen Markensystem klar definierte Strukturen, Prozesse und Instrumente des Brand-Managements eingeführt. Der klassische zentrale Logo-Cop hat bei uns ausgedient. Ich sehe das Brand-Management vielmehr als netzwerkende Business-Enabler mit zentraler Wertverantwortung. Die zunehmende Vergleichbarkeit der Produkte, auch im Tourismus, erfordert von den Marken Relevanz in allen Facetten, um sich von den Wettbewerbern abzusetzen. Für den Konsumenten wird dieser Ansatz beispielsweise durch unsere konsequente Umsetzung der Multichannel-Strategie spürbar. Stichwort Storytelling. Wichtig dabei ist die Glaubwürdigkeit und Authentizität der Kommunikatoren der Marke. Diesen Ansatz haben wir uns zunutze gemacht: Um die Positionierung der Marke DER zu vermitteln, treten in der aktuellen Kampagne „DER Urlaub“ unsere Mitarbeiter über verschiedene Kanäle in den Dialog mit den Kunden, um ihnen auf Basis eigener Erfahrungen ihre Urlaubsempfehlungen auszusprechen. Dafür muss die Markenführung an einer permanenten Beobachtung der Kundenwünsche orientiert sein. Innovationen durch die digitale Revolution sind das eine, branchenfremde Unternehmen auf dem Touristikmarkt das andere. Mittlerweile erwarten Zielgruppen klare Haltungen einer Marke zu Themen, die über das eigentliche Leistungsversprechen hinausgehen. Da die kommunikative Kraft einer Marke endlich ist, muss beim Thema Werte das dahinterstehende Unternehmen unterstützen.