Immer mehr Menschen ordern Tapeten, Türklinken, Duschköpfe oder Balkonmöbel online, wenn sich die Auswahl nicht allzu kompliziert gestaltet. Und die meisten starten ihre Suche nicht bei Google oder auf den Websites von Obi, Bauhaus oder Hagebau, sondern bei Amazon. „Amazon hat den großen Vorteil, dass es bereits fest im Relevant Set der Kunden verankert ist“, betont die Handelsexpertin Eva Stüber, Mitglied der Geschäftsleitung beim Institut für Handelsforschung (IFH) in Köln. „Auch wer eigentlich im Baumarkt kaufen will, recherchiert oft erst einmal dort – und kauft vielleicht auch anschließend.“ Amazon genieße zudem großes Vertrauen, was die Prozesse und die Zuverlässigkeit der Lieferung angeht. Zudem sei der E-Commerce-Riese zwar meist nicht der günstigste Anbieter, werde in puncto Preisvergleich aber als Anker wahrgenommen, so Stüber. Und wem der Amazon-Preis zu hoch ist, der wird häufig bei den vielen kleinen Anbietern auf dem Marketplace fündig. In puncto Sortimentstiefe kann es kein Baumarkt mit dem Amazon-Imperium aufnehmen.
E-Commerce bei den Baumärkten
Entsprechend alarmiert sind die Platzhirsche der DIY-Zunft. Man dürfe sich nicht auf den bisherigen Erfolgen ausruhen, appellierte Obi-Chef Sergio Giroldi Anfang Juni beim „Global DIY Summit“ in Berlin. Wenn sich die Branche nicht schleunigst etwas einfallen lasse, werde Amazon uneinholbarer Marktführer werden. Was im Onlinegeschäft bereits der Fall ist. Nach Zahlen des Marktforschungsinstituts Teipel Research & Consulting war der deutsche DIY-Markt im E-Commerce – einschließlich Gartensortimente und Baustoffe – im vergangenen Jahr rund 2,77 Milliarden Euro schwer, 14 Prozent mehr als im Vorjahr. Was Amazon umsetzt, ist offiziell nicht bekannt, Experten gehen davon aus, dass es mittlerweile schon eine Milliarde Euro sein dürfte – Tendenz stark aufwärts. Laut Teipel Research & Consulting können die klassischen Bau- und Heimwerkermärkte lediglich rund 500 Millionen Euro für sich verbuchen, was einem Anteil von 17,5 Prozent entspricht. Aber immerhin: Im Vorjahr lag er erst bei 13,5 Prozent. Unterm Strich führt der E-Commerce bei den Baumärkten immer noch ein Schattendasein: Der Onlineanteil am Gesamtumsatz lag 2016 bei gerade mal 5,8 Prozent. Da ist noch sehr viel Luft nach oben.
Die größten Herausforderungen
Allerdings lässt sich der Erfolg von Onlineshops nicht ausschließlich am Verkauf messen – sie sind gleichzeitig auch Informations- und Kommunikationskanal mit dem Kunden. Gerade das Zusammenspiel von Filiale und Internet habe dafür gesorgt, dass der Gesamtbruttoumsatz der Branche im vergangenen Jahr um 1,5 Prozent gewachsen ist, glaubt Peter Wüst, Hauptgeschäftsführer des BHB Handelsverbandes Heimwerken Bauen Garten: „Die intelligente Vernetzung von stationärem und Onlinegeschäft ist ein elementarer Schlüssel für eine erfolgreiche Kundenansprache.“
Allerdings ist es für die Baumärkte auch nicht einfach, ihr Geschäft in die digitale Sphäre zu übertragen. Der organisatorische und logistische Aufwand ist deutlich größer als etwa im Buchhandel. Allein schon die Erfassung der Produktdaten, die in der Regel nicht von den Herstellern geliefert werden, stellt eine Herausforderung dar – von der Lieferung ganz zu schweigen. Eine weitere, ganz grundsätzliche Herausforderung kommt hinzu: Die meisten Menschen kaufen „offline“ einfach bei dem Baumarkt, der am nächsten liegt, die Marke ist ihnen egal. Denn trotz aller Werbesprüche: „Die Baumärkte haben bislang kein klares Profil in der Kundenwahrnehmung, mit dem sie sich vom Wettbewerb differenzieren“, sagt Berentzen. „Entsprechend gering ist auch die Markenloyalität bei den Kunden ausgeprägt.“
Wer daher einen Onlineshop betreibt, kann also keineswegs auf treue Kundschaft aus dem stationären Geschäft hoffen. „Wir haben im Rahmen einer Studie festgestellt, dass sich die präferierten stationären und die Onlinehändler nur zu 4,4 Prozent decken – was vor allem an der Bedeutung von Amazon liegt“, bestätigt IFH-Handelsexpertin Stüber.
Karten werden im Onlinegeschäft neu gemischt
Auf der anderen Seite liegt genau hier auch eine Chance: Weil die Karten im Onlinegeschäft neu gemischt werden, lassen sich hier auch ganz neue Zielgruppen ansprechen, die für das stationäre Geschäft außer Reichweite sind – nicht nur geografisch: „Das Onlinegeschäft bietet auch die Möglichkeit, sich neu zu positionieren“, sagt Stüber. Ein Beispiel: „Die meisten Baumarktfilialen sind sehr ,männlich‘ konzipiert und wirken häufig auf Frauen nur wenig attraktiv. Hier können im Netz neue Akzente gesetzt werden.“ Trotz der Verspätung: Die Baumarktketten sind mittlerweile gut in den digitalen Tritt gekommen. Fast alle haben Onlineshops aufgemacht, die Websites sind mit umfangreichen Informationen angereichert, mobil optimiert und über Apps nutzbar. Baumarkt Direkt etwa, das Joint Venture von Otto Group und Hagebau, hat im November 2016 eine mobile Shopping-App gelauncht, die auch als intelligenter Einkaufshelfer im Markt genutzt werden kann. Bis Ende Juni 2017 wurde sie bereits von rund 90 000 Android- und iPhone-Nutzern heruntergeladen. Insgesamt macht der mobile Hagebau-Shop bereits 43 Prozent der E-Commerce-Umsätze aus. Noch in diesem Jahr will man drei weitere Projekte umsetzen: die Integration der „Hagebau Partnercard“ in digitaler Form, eine Instore-Navigation sowie das Feature „Same Day Delivery“. Erste Tests mit der Lieferung noch am selben Tag wurden bereits gefahren. Bei den meisten Anbietern lässt sich mittlerweile online checken, ob bestimmte Artikel in der Filiale vorrätig sind. Meist kann man sie häufig auch online bestellen und dann in der Filiale abholen.
Insgesamt sind die Baumärkte mit ihren Onlineshops bereits gut aufgestellt, findet das Kölner Forschungs- und Beratungsinstitut EHI Retail Institute. Im Rahmen des „Onlineshop Maturity Index“ hat es kürzlich 31 Shops nach Kriterien wie „Bestellung“, „Benutzerführung“ und „Omnichannel“ getestet. Fazit: Über die Hälfte erfüllt die Anforderungen bereits sehr gut. Spitzenreiter im Ranking ist Obi.de mit 123,25 Indexpunkten, gefolgt von Hornbach.de (121,75) und Norax.de (116).