Neulich war ich auf einem Kongress eingeladen, auf dem es um das Leben in der Zukunft ging. Viele Fragen wurden erörtert: Was ist ein Olympiateilnehmer mit Karbon-Prothesen – behindert oder gedopt? Ist es in Zukunft ethisch vertretbar, einen Defibrillator zu benutzen, wenn er mit Atomstrom betrieben wird? Sollte Florian Silbereisen mit der neuen ruckelfreien Software Silbereisen 2.0 ausgestattet werden?
Im Laufe der Veranstaltung stellte sich dann heraus, dass Fortschritt durch Technik mitunter auch einen Verlust bedeuten kann. Warum wohl hat sich das Bildtelefon nie so richtig durchgesetzt? Selbst bei Skype haben die meisten von uns die Kamera deaktiviert (verliebte Pärchen und Sex-Chats ausgenommen). Der Witz an der Sache ist: Ein Telefonat dient nicht zur Erzeugung von Nähe, sondern von Distanz. Telefonieren ist deswegen so toll, weil man in seinem alten Glanzjogger in einer versifften Sozialwohnung sitzen kann und der Omi am anderen Ende der Leitung eine glamouröse Anlagestrategie für einen Bio-Supermarkt in Afghanistan aufschwatzen kann.
Zurzeit wird ja sehr begeistert über das selbstfahrende Auto von Google gesprochen. Doch es ist durchaus möglich, dass es sich niemals durchsetzen wird. Viele von uns schätzen das Autofahren ja gerade, weil man hinter dem Steuer sitzt und die Kontrolle über eine 300 PS starke Maschine hat. Für diesen Akt der Autonomie nehmen wir sogar Tausende von Verkehrstoten pro Jahr in Kauf. Viele wollen einfach selbstbestimmt entscheiden, gegen welchen Baum sie rauschen. Wer sich dagegen lieber sicher und entspannt chauffieren lassen möchte, nimmt den Bus.
Nicht alles, was technisch möglich ist, ist auch wirklich gewünscht. Ausnahmen bestätigen die Regel. Zum Beispiel gibt es inzwischen eine Menge junger Japanerinnen, die lieber heute als morgen ihren Freund gegen einen kultivierten, mitfühlenden Roboter austauschen würden. Selbst dann, wenn sie wüssten, dass das Verhalten des Roboters durch eine simple Software einstudiert wäre. Andererseits: Einstudierte Antworten geben viele Männer auch. Aber halt eben deutlich schlechter.
Wenn wir über das Leben in der Zukunft nachdenken, unterschätzen wir fast immer, dass sich eine Menge Dinge höchstwahrscheinlich nicht verändern werden: Verhaltensweisen, Objekte oder Werkzeuge, die evolutionsgeschichtlich buchstäblich in unserer DNA eingebrannt sind. Während Sie diesen Artikel lesen, trinken Sie womöglich ein Glas Wein (erfunden vor ca. 6 000 Jahren) und spießen mit einer Gabel – einer von den alten Römern entwickelten Killer-App – eine Olive auf. Dabei sitzen Sie auf einem Stuhl. Einem Objekt, das bereits ägyptische Pharaonen kannten. Im Hintergrund läuft gedämpfte Musik (seit etwa 35 000 Jahren). Eine alte Aufnahme von Johannes Heesters (ca. 34 990 Jahre alt). Plötzlich betritt Ihre Frau in einem raffinierten Wickelkleid (einem Prototyp aus dem Jungpaläolithikum) das Haus (12 000 Jahre) und fordert Sie mit verführerischem Blick zu einer Tätigkeit auf, die in der Evolution seit 900 Millionen Jahren bekannt ist.
In ferner Zukunft mag es vielleicht irgendwann einmal Warp-Antriebe, Quantencomputer oder Teppichböden geben, die ihre Farbe nach unseren Emotionen anpassen – aber viel anders als jetzt wird das tägliche Leben wohl auch nicht ablaufen. Was unsere fundamentalen Wünsche und Bedürfnisse angeht, bleiben wir eben immer noch Steinzeitmenschen. Da können wir noch so viele Lorbeerblätter und gehackten Fenchel auf unsere Lasagne streuen.
„Es könnte alles so einfach sein – isses aber nicht“ sangen vor einigen Jahren Die Fantastischen Vier. Genauso verhält sich die Sache mit der Zukunft. Noch treffender formulierte es zur gleichen Zeit Herbert Grönemeyer: „Bleibt alles anders“.