Von ihrer Marktmacht und Kompetenz erfuhren die Marketingleiter der Republik vor Jahren aus „brand eins“, als das Magazin über den Siegeszug von Bionade berichtete. Es war eine eher unwahrscheinliche Erfolgsstory, die da erzählt wurde: wie eine bayerische Mini-Brauerei ihre Kundschaft zuerst in der Schanze fand – und ausgerechnet von hier aus die ganze Republik eroberte. Von zwei Millionen Flaschen im Jahr 2003 schnellte der Absatz binnen vier Jahren auf 200 Millionen Flaschen hinauf. Seither wird das Viertel zwischen Schulterblatt und Schanzenstraße von so vielen Trendscouts durchstöbert, dass sie sich vermutlich gegenseitig bei der Arbeit beobachten. Da bleibt nicht unbemerkt, dass einige von ihnen traurige Augen haben. Diese Scouts kommen wahrscheinlich von Dr. Oetker – jenem Konzern, der die Bionade gekauft hat.
Denn Bionade trifft man kaum noch im Schanzenviertel. Wer sie hier trinken will, erntet Kopfschütteln und Achselzucken. Die Kultbrause ist ausgelistet, sie ist out, ungeliebt und findet nicht mehr statt am Ort ihrer ersten Erfolge. Die Fans und Multiplikatoren von einst haben sich lange schon neue Lieblingsgetränke wie Lemonaid oder Aloha gesucht. Bionade aber hat in den letzten Jahren zwei Drittel ihres Absatzes eingebüßt. Ein Markendenkmal wurde zerstört, eine Erfolgsgeschichte abgewickelt.
Wie macht man so etwas? Wie so oft stand am Anfang die Gier. Zunächst wurde der Nimbus der Marke verspielt durch die wahllose Ausweitung der Distribution. Angefangen hatte die Marke in der Szenegastronomie und in Naturkostläden, passend zur Biopositionierung. Doch als der Erfolg kam, wollte man raus aus dem Nischenmarkt und rein ins große Geschäft: in die Bistros der Deutschen Bahn, hin zu McDonald’s, zum Discounter und an die Tankstelle. Doch nicht jede Marke lässt so etwas mit sich machen. Die Positionierung als Getränk der Aufgeklärten und Bewussten war jedenfalls schnell ruiniert. Die Fans gingen von der Stange. Ein anderer Brauer, Warsteiner, hatte schon vor Jahren vorgemacht, wie man mit falschen Markenentscheidungen an die Wand fährt.
Ein zweiter Grund für den tiefen Fall mag die Übernahme durch die Oetker-Gruppe sein. Eine saftige Preiserhöhung in 2008, die nicht zur Ausweitung der Distribution passen wollte, wurde dem Konzern ganz anders angerechnet, als einer kleinen Brauerei im Bayerischen. Wäre es dort vielleicht noch um die Rettung eines Davids gegangen, sah man hier nur die Gier des Goliaths. Jedenfalls passen Konzern und Convenience nicht mit einer rebellischen Attitüde zusammen, die zudem noch Bio ist. Bionade bei Oetker, das ist als würde der FC St. Pauli aus dem Hause Bayern München kommen. Angesichts solcher Gestimmtheiten der Konsumenten nützte auch die hinzugewonnene Vertriebsmacht nichts – im Gegenteil.
Die Zerrüttung der einst starken Marke Bionade dürfte nur schwer umzukehren sein. Und schon gar nicht durch Werbekosmetik oder Marketing-Euphemismen. Sie ist ein Paradebeispiel dafür, dass zu viel Geld, der Wunsch nach viel mehr Größe und das Außerachtlassen der Kundengefühle eine Marke auch zerstören können.
Über den Autor: Christian Prill ist Managing Partner bei Factor Design in Hamburg und verantwortet dort den Bereich Markenstrategie. Die Agentur ist auf Markenstärkung spezialisiert und verknüpft dafür Strategie- und Design-Wissen. Factor Design arbeitet seit vielen Jahren mit Unternehmen wie C&A, Gardena und COR zusammen.