„Besonders freut mich die Kooperation mit unserem diesjährigen Partnerland Israel. Die haben vieles bereits hinter sich gebracht, was uns bevorsteht. Wir haben wichtige Ideen aus Israel mitgenommen, für die wir sehr dankbar sind.“ Mit diesen Worten kommentierte Baden Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann eine Start-up-Konferenz, die Anfang Februar in Stuttgart stattfand. Israel ist von der Größe und Bevölkerungsdichte her vergleichbar mit dem schwäbischen Musterländle. In Sachen Start-ups hat der Mittelmeerstaat die Nase allerdings weit vorn.
Wagniskapital das große Manko
Kretschmann gibt sich kämpferisch. „Wir werden nicht ruhen, bis Baden Württemberg eine der pulsierendsten Start-up-Regionen Europas geworden ist“. Bewusst nimmt der 70-Jährige Stellung gegen eine scheinbare Distanz zwischen Politik und junger Wirtschaft. „Gründergrillen und Gründerfrühstück gehören für uns schon fast zum Alltag. Wir wissen genau, wie es sich anfühlt, ins Risiko zu gehen, Rückschläge zu erleiden und weiterzumachen, weil man an die Idee glaubt.“
68 Millionen Euro nimmt das Wirtschaftsministerium Baden Württemberg im Laufe des Jahres in die Hand, um Start-ups zu fördern. Das Geld fließt nicht nur in Förderprogramme, sondern wird auch dazu benutzt, Start-ups Besuche in Israel oder Silicon Valley zu ermöglichen, um Erfahrungen zu sammeln und Kontakte zu knüpfen.
Wagniskapital für Gründer ist das große Manko hierzulande, nicht nur in Baden Württemberg, sondern in der ganzen Republik: „Wenn Start-ups sagen, dass sie sich ab einem Investitionsvolumen von 30 Millionen Euro ans Ausland wenden müssen, dann ist das ein Alarmzeichen.“ Geld sei zwar genug da, sagt der Ministerpräsident, aber es werde zu konservativ eingesetzt. Omri Mendellevich,Start-up-Gründer aus Israel, sagt indes: „Bei uns gibt es mehr als genug Wagniskapital. Es gibt fast mehr Investoren als Gründer“.
Winfried Kretschmann hat eine klare Auffassung davon, wofür Geld eingesetzt werden sollte, nämlich für künstliche Intelligenz. „KI wird in den nächsten Jahren Bestandteil fast jedes Produktes werden. Es entstehen riesige Märkte und neue Geschäftsmodelle. Und die gehören dem, der von Anfang an mitspielt. Und zwar von Anfang an groß mitspielt.“
„Digitalisierung heißt Industrie 4.0“
Kretschmann lobt ausdrücklich das Projekt CyberValley in Tübingen, das in Sachen Machine Learning bereits zu den europäischen Top 10 zählt. Partner in Tübingen ist Amazon. Das löst beim Ministerpräsidenten nicht gerade uneingeschränkte Freude aus. Deutschland drohe im internationalen Wettbewerb um KI-Talente den Anschluss zu verlieren. „Deswegen müssen wir uns mit unseren europäischen Partnern vernetzen, so wie Europa das getan hat, um den Airbus zu bauen. Wir brauchen auch in der KI eine aktive Industriepolitik. Einen gemeinsamen europäischen Weg und dafür setzen wir uns mit voller Kraft ein“.
Im Kern von Kretschmanns Vision steht (oh Wunder!) der mittelständische Maschinenbau. „Digitalisierung heißt Industrie 4.0, das Internet der Dinge, und wir hier in Baden Württemberg haben die Dinge“.
Damit liegt er nicht falsch. Während im Software-Segment ein intensiver Wettbewerb tobt und die Markteintrittsbarrieren für neue Wettbewerber extrem niedrig sind, ist die maschinelle Präzisionsfertigung nicht so einfach zu kopieren. Und letztlich brauchen auch Alexa oder Google Home Hardware, um zu den Menschen vorzudringen.
Aber so weit ist es noch nicht und die aktuellen Defizite sind selbst im Musterländle nicht von der Hand zu weisen. Die internationalen Investoren fehlen auch deshalb, weil sich Deutschland bislang kaum als Start-up-Standort hervorgetan hat. Kretschmann sieht die Clusterbildung als wichtigen ersten Schritt für mehr internationale Bekanntheit. „Wir schaffen in BW halt lieber als zu schwätzen. Aber international müssen wir diese Zurückhaltung ein Stückweit ablegen und in die Offensive gehen“, so Kretschmann.
Defizite im Bildungssystem, so Kretschmann
Dass diese Clusterbildung die Provinz weiter abhängt, vor allem, wenn sie schlecht ans Internet angebunden ist, muss der Ministerpräsident in Kauf nehmen. 64 von 210 mit einer Netzanbindung unterversorgten Städte liegen im südwestlichsten Bundesland. Das Geld für den Ausbau der Infrastruktur sei zwar da, aber es fehlten ausführende Unternehmen, so der Ministerpräsident kleinlaut.
Auch im Bildungssystem sieht Winfried Kretschmann klare Defizite. Informatikunterricht ist verpflichtend an weiterführenden Schulen, aber bis daraus kluge IT-Köpfe entstehen, dauere es halt. Offensichtlich war das Thema Digitalisierung zu lange Neuland, auch im Ländle. Zur Erinnerung: E-Commerce ist hierzulande zwanzig Jahre alt.
Bis das Bundesland Start-up-Hochburg ist, bis Vodafone und die Telekom 5-G-Masten aufgestellt haben und bis aus deutschen Universitäten KI-Experten von Weltrang hervorgehen, muss man sich die Talente von außen holen. Nur: Dafür ist offensichtlich nicht viel Geld übrig. „Die Menschen, die zum Beispiel ins Cyber Valley gekommen sind, schwärmen von der Work-Life-Balance, der Sicherheit und dem Freizeitwert bei uns“.
Ob das reicht?