Zugegeben: Die Headline hat ein bisschen was von Clickbaiting. Zumal der Aussage „Besser Mutter sein als krebskrank“ sicher niemand ernsthaft widersprechen würde. Dennoch: In Sachen Work & Culture haben Mutterschaft und Krebserkrankung durchaus beide so ihre Tücken, wenn auch in völlig unterschiedlichem Ausmaß. Warum ich das ausgerechnet heute schreibe? Weil mir in den vergangenen Tagen gleich zweimal das Thema Lebenslauf-Tuning begegnet ist – und ich dabei gelernt habe, dass man über das eine die Wahrheit sagen kann, über das andere hingegen wohl besser (noch) nicht.
Im Auftrag (und honoriert) von Yes we Can!cer durfte ich am ersten Maiwochenende ein Hintergrundgespräch mit Unternehmenslenker*innen sowie HR-Managerinnen und -Managern zum Thema „Arbeiten mit Krebs“ moderieren. Ich bin also, während ich das hier schreibe, in der Sache nicht ganz neutral. Allerdings bin ich überzeugt, dass man in dieser Sache – auch ohne honorierten Auftrag – nicht neutral sein sollte. Und vor allem, dass Arbeitgebende in dieser Sache Haltung und Handlung dringend überdenken müssen.
Anlass für das Hintergrundgespräch war die Yes!Con 5.0. Eine Kongressmesse, die die Initiative Yes we Can!cer seit fünf Jahren veranstaltet, um ihren Anspruch „Krebs braucht Kommunikation“ stärker in das Bewusstsein der Gesellschaft zu rücken. Sinn und Zweck des Hintergrundgesprächs war es, auszuloten, wie Arbeitgebende den Umgang mit erkrankten und betroffenen Mitarbeitenden künftig verbessern können. Denn, dass sie es tun müssen, steht außer Frage.
Dazu kurz ein paar Fakten: Jeder zweite Deutsche erkrankt im Laufe seines Lebens an Krebs, die Heilungschancen steigen dank neuer Therapieansätze rapide, 60 Prozent der Überlebenden kehren nach erfolgreicher Therapie ins Berufsleben zurück. Aber – und hier wird’s spannend für Arbeitgebende: Nur jeder und jede zweite Erkrankte redet bislang im Job offen über den Krebs. Weil bei den Arbeitsbedingungen für Erkrankte und betroffene Angehörige noch viel Luft nach oben ist, und weil spätestens beim Wiedereinstieg oder gar bei einem Jobwechsel Krebs in vielen Organisationen noch ähnlich stigmatisiert ist wie Pest und Cholera.
Nur mit Lügen zum neuen Job
Sehr viel besser als diese nackten Zahlen, hat es auf der Yes!Con 5.0 eine junge Panelteilnehmerin geschildert. Als sie sich nach erfolgreicher Krebstherapie um einen neuen Job beworben und ihre Auszeit im Lebenslauf mit „einer längeren Krankheit“ beschrieben hatte, erhielt sie monatelang nur Absagen. „Erst als ich die Lücke in meinem Lebenslauf mit einer gesellschaftsfähigen Lüge begründet habe, wurde ich endlich wieder zu Vorstellungsgesprächen eingeladen und bekam schließlich auch einen neuen Job“, bekannte die Frau. Ihr so schlichter wie überzeugender Appell: „Geheilte Krebspatientinnen und -patienten können genauso gut arbeiten wie alle anderen Menschen auch. Darüber hinaus sind sie aber meist sogar noch motivierter im Job, weil die Rückkehr in den Beruf für sie die Rückkehr in ein langersehntes normales Leben bedeutet.“
Eine Aussage, die Arbeitgebende gerade in Zeiten von Fachkräftemangel, Diversity Management und Employer Branding aufhorchen lassen sollte. Zumindest wenn es ihnen mit den genannten Buzzwords ernst ist. Beiersdorf ist dafür ein gutes, wenn auch rares Beispiel. Seit Februar hat der Konzern weltweit die Critical Illness Policy aufgelegt, nach der erkrankte Mitarbeitende massiv unterstützt werden. Die Policy gilt übrigens nicht nur für Krebs, sondern alle potenziell lebensbedrohlichen Krankheiten. Angesichts der schieren Masse ist aber Krebs hier eindeutig der größte Hebel.
Muttersein ist eine Leistung
Deutlich weiter sind da glücklicherweise Mütter. Zwar gibt es auch für sie, wie wir alle wissen, auf Seiten von Arbeitgebenden noch vieles zu verbessern (von den wachsenden Bedürfnissen der Väter ganz zu schweigen). Doch Kinder müssen im Lebenslauf glücklicherweise nicht mehr verschwiegen oder mit einer Lüge weggeschummelt werden. Im Gegenteil. Unter dem Titel „Mutterschaft im Lebenslauf“ schrieb die FAZ vergangene Woche über Franziska Büschelberger und ihre kürzlich gestartete Initiative Unpaid Care Work. Büschelberger war es leid, für ihre Mutterschaft in der Business Welt nicht genügend Anerkennung zu erhalten. Auf ihrem LinkedIn Profil führt sie deshalb seit Kurzem als Berufserfahrung (unter anderem) an: „alleinige Sorge für zwei Kinder seit November 2005 bis heute“. Das allein wäre der FAZ (und mir) natürlich keine Meldung wert. Doch Büschelberger hat mit der Initiative offenbar etwas ausgelöst: Mittlerweile machen es ihr „tausende Menschen, vor allem Frauen“ nach, so die FAZ.
Da kann ich nur sagen: Eine schöne Idee, die hoffentlich noch sehr viele Nachahmerinnen und Nachahmer finden wird. Und dann schauen wir mal, welche und wie viele Arbeitgebende sich von dieser Leistung tatsächlich beeindrucken lassen.
Skills und Banalitäten der Zukunft
Ach ja. Und dann war vergangene Woche auch noch das OMR Festival. Jenes gigantische Branchentreffen von Macher Philipp Westermeyer. Das meiste Interessante zum OMR Festival konnte man in den vergangenen Tagen bereits in Tages- und Fachmedien üppig nachlesen. Ich will deshalb hier nur zwei kleine Dinge herausgreifen.
Bemerkenswert finde ich unter dem Aspekt Work & Culture vor allem die Rede von Kenza Ait Si Abbou, früher Director Client Engineering IBM, seit 2023 CTO bei der Logistikgruppe Fiege und eine der renommiertesten KI-Kennerinnen hierzulande. Auf dem OMR Festival spricht sie über „Diversity 4.0“ –und meint damit die Rolle von „Kollege Roboter“. Von diesem, in meinen Augen völlig missglückten, Titel einmal abgesehen, ist ihr Vortrag alles andere als Kokolores. In einer fiktiven „Stellenanzeige der Zukunft“ zeigt Ait Si Abbou jene Skills auf, die Jobsuchende künftig mitbringen müssten. Und diese Anzeige liest sich so: „Wir suchen neugierige, anpassungsfähige MitarbeiterInnen (…) für Aufgaben, die wir heute noch nicht kennen (…) und die bereit sind, Neues zu erlernen und Überholtes zu verlernen (…) und die extrem gut darin sind, die richtigen Fragen zu stellen, auf die Technologie Antworten geben wird.“
Na, erkennen Sie sich wieder? Dann herzlichen Glückwunsch! Für alle anderen hat Ait Si Abbou noch einen guten Rat parat: „Wir müssen lernen, mit der wachsenden Komplexität und dem daraus resultierenden Stress in der Welt umzugehen.“ Hört sich banal an. Ist aber vermutlich eine der wichtigsten Aussagen, die wir alle uns immer wieder vor Augen führen müssen und deren Tragweite vermutlich noch immer die wenigsten von uns tatsächlich durchdrungen haben – und woran Organisationen mit Hochdruck arbeiten müssen, um ihre Mitarbeitenden und Führungskräfte genau darauf vorzubereiten.
Tina Müller hingegen, frühere Opel-Werberin und Douglas-CEO sowie seit kurzem Geschäftsführerin bei Weleda, sprach auf dem OMR Festival gemeinsam mit der Gen-Z-Erklärerin Yael Meier über Reverse Mentoring. Auf LinkedIn fasste Müller später ihre vier Learnings so zusammen: „1. Demokratie wird digital. 2. Wirtschaft wird digital. 3. Kaufverhalten wird digital. 4. Authentizität bleibt menschlich.“ Das hört sich für Sie jetzt auch banal an? Nun. In diesem Fall würde ich nicht widersprechen.
In diesem Sinne: Eine wenig banale Woche und bleiben Sie gut drauf.