Gut die Hälfte der von Kritik betroffenen Werbekampagnen (174 Vorgänge) fiel nicht in den Kompetenzbereich des Werberats. Denn das Gremium ist nicht für angenommene Rechtsverstöße zuständig. Auch dürfen Firmen den Werberat nicht für Werbestreitigkeiten mit Konkurrenten benutzen. Der Vorsitzende des Gremiums, Dr. Hans-Henning Wiegmann, betont: „Deutschland verfügt mit den Instrumenten Abmahnung, Einstweilige Verfügung oder Klage über ausreichende Mittel, Firmenrechte geltend zu machen.“ Darüber hinaus gelte, dass die 13 Mitglieder des Werberats ausschließlich ein Mandat für kommerzielle Kommunikation im Auftrag der 40 im Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft (ZAW) vereinten Organisationen der Werbeinvestoren, Medien und Agenturen haben.
Votum des Werberates zumeist akzeptiert
Im Jahr 2012 kamen insgesamt 305 Kampagnen zur Entscheidung auf den Tisch des Werberats. Das waren 16 Prozent mehr als im Vorjahr (262). Davon sprach das Gremium in 233 Fällen die Firmen frei (Vorjahr: 175). Dieses Urteil erfolgt dann, wenn sich nach Abwägung der Umstände des Einzelfalls der kritische Einwand des Beschwerdeführers als nicht tragfähig für eine Beanstandung erweist. Bei 72 Werbekampagnen stellte sich der Werberat an die Seite der Protestler. Sein Votum setzte sich bei den Unternehmen fast immer sofort durch: Die vom Werberat beanstandete Werbung wurde überwiegend aus dem Markt genommen (57 Fälle) oder entsprechend geändert (neun Fälle). Das entspricht einer Durchsetzungsquote des Gremiums von 92 Prozent und damit einer extrem hohen Akzeptanz seiner Urteile in der Wirtschaft. „Werbung aus dem Markt zu nehmen, obwohl sie rechtlich in Ordnung ist, zeugt von Selbstverantwortung der werbenden Unternehmen“, sagt Wiegmann anerkennend.
Uneinsichtige Unternehmen öffentlich gerügt
Stoppt eine Firma nicht unmittelbar die beanstandete Werbung oder korrigiert sie, setzt das Gremium den Vorgang durch eine Öffentliche Rüge der Diskussion in den Massenmedien aus. 2012 war das sechsmal der Fall, in allen Fällen wegen frauenherabwürdigender Werbeformen. Jüngster Fall einer Öffentlichen Rüge vom Werberat wegen herabwürdigender Werbeform: Ein Anbieter von Automobil-Services aus Hoyerswerda wirbt auf seiner Facebook-Seite mit einer Abbildung weiblicher Beine – zwischen deren Fußknöcheln strafft sich ein Slip. Text dazu: „Noch unten ohne???“. Das Angebot der Firma betrifft „Unterbodenversiegelung“.
Die Entscheidungen fällt ein Gremium aus 13 Experten aller Bereiche der Branche. Sie werden von den im ZAW organisierten Verbänden alle drei Jahre gewählt. Besonderen Wert legt der Werberat auf ausgewogene Entscheidungen. Das Gremium orientiere sich an der gesellschaftlichen Realität unter Einbeziehung der ständig in Bewegung befindlichen Lebenssachverhalte. „Im Jahresbericht heißt es: „Die aktuell herrschende Auffassung über Sitte, Anstand und Moral in der Gesellschaft, die Verhaltensweisen der Bürger im öffentlichen Leben sowie die Medienwirklichkeit sind wesentliche Konstanten im Urteilsschema des Rats.“ So würde das Gremium beim Beschwerdemotiv von unterstellter Diskriminierung von Frauen auch feministische Sichtweisen als Teil einer aktuellen Weltanschauung einbeziehen – neben anderen Aspekten des gesellschaftlichen Lebens als Prüfkriterien.
Vorwurf der „Frauendiskriminierung“ dominiert
Die Gründe, warum sich im Jahr 2012 die Bevölkerung an den Werberat mit Beschwerden wandte, verteilen sich über 15 Motivfelder. 112 Unternehmen, und damit über ein Drittel (37 Prozent; Vorjahr: 34 Prozent), sahen sich dem Vorwurf gegenüber, ihr Werbesujet beleidige und diskriminiere Frauen. Mit Abstand folgen weitere Gründe für Proteste: Diskriminierung von Personengruppen (29 Kampagnen / 10 Prozent), Gewaltverherrlichung (27 / 9 Prozent), Gefährdung von Kindern und Jugendlichen (19 / 6 Prozent), Verstoß gegen moralische Mindestanforderungen (16 / 5 Prozent), Rassendiskriminierung (10 / 3 Prozent), Unzuträgliche Sprache in der Werbung (10 / 3 Prozent). Andere Beschwerdemotive lagen im einstelligen Bereich.
Werbung der Medien am stärksten betroffen
Auffällig bei den von Werbekritik aus der Bevölkerung betroffenen Branchen war die Dominanz der Eigenwerbung der Medien mit 29 Kampagnen – deutlich mehr als im Jahr zuvor mit 14 betroffenen Sujets. Der Dienstleistungssektor folgt mit 25 Vorgängen (Vorjahr: 22), Unterhaltungselektronik 25 (22), Gaststättengewerbe 24 (14) und Bekleidung mit 23 Kampagnen (17). Bemerkenswert ist nach Ansicht des Werberates auch, dass trotz der öffentlichen Erregbarkeit in Sachen Lebensmittel diese Branche erst an sechster Stelle mit 22 (20) von Protesten belegten Kampagnen folgt. Offensichtlich klaffe dort eine Lücke zwischen werbegeübten und lebenserfahrenen Konsumenten einerseits und politisch-medial inszenierten vorgeblichen Problemen in der Lebensmittelwerbung andererseits.
Plakate und TV-Spots im Visier der Kritiker
Nach Mediengruppen haben den Protestlern aus der Bevölkerung einzelne Werbedarstellungen auf Plakaten (81 Sujets) und Fernsehspots (80) am meisten missfallen. Mit Abstand folgen Prospekte (36), Werbung im Internet (31), Anzeigen in Publikumszeitschriften (19) sowie Werbung in Tageszeitungen gleichauf mit Radiospots (12). Andere Werbemediengattungen wie Anzeigen in Fachzeitschriften oder Kinospots liegen unterhalb der Bedeutungsschwelle.
Als Fazit seines Arbeitsberichts bestätigt das Gremium den Werbekritikern soziales Engagement. Wörtlich heißt es im Arbeitsbericht: „Die Proteste spiegeln wider, dass die Bevölkerung nicht gesellschaftlich empfindlich, sondern empfindsam mit kritischen Werbedarstellungen umgeht.“ Die Tatsache, dass es immer wieder auch zu überzogener Werbekritik komme, die sich insbesondere aus sehr persönlicher Sicht des Beschwerdeführers speist, ändere daran nichts. Dem überwiegenden Teil der werbenden Wirtschaft, den Agenturen und Werbung tragenden Medien bescheinigt die Instanz überwiegend ein ausgeprägtes Fingerspitzengefühl, wie weit Werbung in der Präsentation von Waren und Dienstleistungen gehen darf.