Es war ihre Mutter, die Susanne Tölzel schließlich dazu brachte, ihr Leben umzukrempeln. Nicht weil es schlecht war, im Gegenteil: Die Marketingmanagerin hatte den für sie perfekten Job als Business Developer bei einem großen Hersteller für Haushaltsreiniger. Sie kam viel herum, verdiente gut, ihre Kollegen schätzten ihre Innovationskraft und Offenheit. Susanne Tölzel hatte außerdem einen langjährigen Lebensgefährten und war kurz davor, in eine Immobilie zu investieren. Sie liebte ihre Arbeit, ihren Partner, ihren Alltag. Dann sagte ihre schwer kranke Mutter diesen einen, entscheidenden Satz: „Das kann doch noch nicht alles gewesen sein.“
„Mir war klar: Ich wollte nicht so auf mein Leben zurückblicken“, erzählt Tölzel heute. Es ist April, der Frühling hat München erreicht. Zwischen diesem Moment und dem Satz ihrer Mutter liegen mittlerweile Welten. Unter anderem: 27 000 Seemeilen, 50 000 Kilometer, 236 Orte und 62 Inseln, paradiesische Strände; die Liste ließe sich unendlich weiterführen. Susanne Tölzel ließ ihr ganzes perfektes Leben hinter sich, um auf knapp 24 Quadratmetern um die halbe Welt zu segeln – und damit ihren eigenen Beitrag zur Verbesserung der Welt beizutragen. Von Inseln und Meeresoberflächen zog sie Müll, sammelte Wissen über die Abfallentsorgung auf der Welt und bemühte sich, andere Menschen von ihren gesammelten Erkenntnissen lernen zu lassen.
Ein gutes Leben schmeißt man nicht einfach über Bord – oder eben doch
„Das“, sagt sie, war die beste Entscheidung meines Lebens.“ Denn die berufliche Auszeit, auch Sabbatical genannt, ist heutzutage längst mehr als der Weg aus dem Burnout. Einer groß angelegten Studie des Wohnungsvermittlers Wimdu zufolge sehnt sich bereits jeder zweite deutsche Arbeitnehmer danach. Die Hauptgründe: die Welt sehen, Zeit für sich und die eigenen Interessen haben. Doch wer nicht arbeitet, verdient auch kein Geld. Vor allem die Frage der Finanzierung hält viele davon ab, mehr als ein Viertel glaubt, dass der Wunsch am Einspruch des Arbeitgebers scheitern würde. Weitere Gründe sind: die familiäre Situation, die Angst vorm Karriereknick, der Planungsaufwand, fehlender Mut und die Befürchtung, dass andere ihre Auszeit nicht gut finden würden. All diese Gedanken hatten Susanne Tölzel und ihr Partner auch.
Für sie war es einer dieser Ich-würde-gern-mal-Momente. Die 48-Jährige wirkt sportlich, sie trägt Jeans und weiße Converse, ihr blondes Haar fällt ihr offen über die Schultern. Sie hat in Pforzheim Betriebswirtschaft studiert, arbeitete in Frankfurt mehrere Jahre für eines der größten Agenturnetzwerke weltweit, man kann sagen: Das Leben hat es gut gemeint mit ihr. Das schmeißt man nicht einfach so über Bord. Oder eben doch.
„Wir haben uns gefragt: Wann, wenn nicht jetzt?“ Zugegeben, allein die Planung dauerte zwei Jahre. Tölzel machte ihren Segelschein, sie kauften ein Boot, legten Geld zur Seite, lösten ihren Haushalt auf. All das kostete sie Kraft und Zeit, aber ihr Wunsch nach einem Abenteuer wuchs mit jedem Schritt. Und: Die meisten fanden ihr Vorhaben super. „Wir hätten viel mehr Kritik und Neid erwartet, von Familie und Freunden“, sagt Tölzel heute. Aber sogar der Arbeitgeber ihres Partners kam ihm entgegen, „und meine Kollegen halfen bei der Vorbereitung des Schiffs, mit dem Wohlwollen der Chefs“. All das, obwohl sich die beiden für ganze drei Jahre verabschieden wollten. Den meisten Teilnehmern der Wimdu-Studie würden drei bis sechs Monate schon reichen, ein Drittel würde bis zu einem Jahr aussetzen. Muss man sich das leisten können?
Gerade mal 24 Quadratmeter maß das schwimmende Zuhause von Tölzel und ihrem Partner –
drei Jahre lang. Foto: Susanne Tölzel„Wir dachten immer, so eine Reise geht nur mit finanzieller Rücklage und Unabhängigkeit, ohne Haustiere, ohne eigene Familie“, sagt Tölzel. Man könnte sagen, das Paar war in dieser Hinsicht privilegiert, weil es vor allem für sich selbst verantwortlich war. Und natürlich ist es einfacher, ohne Kinder und mit dem nötigen finanziellen Polster. Unterwegs wurden sie dann eines Besseren belehrt – wie in so vielen ihrer Annahmen. Ihre überraschendste Begegnung hatten sie mit einer neunköpfigen Familie aus den USA, die ein Jahr lang auf einem Katamaran über die Meere segelte. Tölzels Fazit: „Jemand, der reisen will, findet seinen Weg.“