Herr Kloos, Herr Walther, wir stellen fest, dass die Kundenreise immer häufiger im Internet startet. Viele Unternehmen bieten zwar vernünftigen Service per Telefon, in Shops oder im Außendienst, aber auf der Webseite werden Kunden und Interessenten oft allein gelassen.
MICHAEL KLOOS: Kunden kommunizieren mit Unternehmen über die Kanäle, die sie sich selbst aussuchen, somit ist Multikanalfähigkeit für Unternehmen wichtig. Beginnt der Kunde seine Kaufvorbereitung im Web, so sollte er dort auch zu einer Kaufentscheidung kommen können. Unternehmen müssen ihm daher anbieten, direkt von der Webseite aus Kontakt zum Agenten aufzunehmen – über ein Telefonat, den bekannten Text-Chat oder über Video-Chat.
JÜRGEN WALTHER: Bei Produkten und Dienstleistungen, die Beratungsqualität erfordern, kommt es auf die Persönlichkeit des Verkäufers an. Verbrauchern ist zum Beispiel das Vertrauen zu ihrem Bankberater wichtig, denn Finanzprodukte werden nicht per Mausklick gekauft. Beim Vertrieb von Automobilen ist es ähnlich. Viele Automobilhersteller ermöglichen es den Interessenten, ihr Auto im Internet zu konfigurieren. Da ergeben sich an bestimmten Stellen Fragen. Und weil die Ausgaben für ein Auto vergleichsweise hoch sind, ist eine direkte Beratung über Telefon sowie über Video unerlässlich.
Welche Möglichkeiten gibt es, Beratung auch im Internet anzubieten?
WALTHER: Videokommunikation der Kunden mit dem Contact-Center, also mit den Menschen hinter der Website oder im Onlineshop, ist keine neue Erfindung. Neu ist, dass der Verbraucher mit der CreaLog-Lösung keine Software herunterladen und installieren muss. Auf der Website des Shops klickt der Kunde auf einen Link und baut so die Telefon- oder Videoverbindung zum Contact-Center auf.
KLOOS: Das magische Wort hier heißt WebRTC – Real-Time-Communication per Web. Es ist ein offener Standard, eine Technologie, die in den Browsern Google Chrome und Firefox heute schon fester Bestandteil ist. Jeder Browserhersteller kann diesen offenen Standard anbieten. Das ist vergleichbar mit einer klassischen Website, die ja auch technologieunabhängig ist. Einzige Voraussetzung auf Kundenseite ist eine aktuelle Browser-Version, was aber meist über die auto-update Funktion der Browser garantiert wird.
Welche Einsatzfelder für die Online-Beratung per Video sehen Sie?
KLOOS: Beim Auto beispielsweise beeinflusst – neben dem physischen Produkt – auch das umgebende Ökosystem die Kaufentscheidung, sprich: die Verkaufsniederlassung. Der Kunde wird ein Fahrzeug nicht in einem x-beliebigen Shop bestellen, sondern sehr genau überlegen, wie der Serviceprozess gestaltet ist. Hat er zur Konfiguration eine Frage, kann er per Video-Telefonat mit seinen Verkäufer oder auch dem Werkstattleiter sprechen. Gerade Unternehmen ohne großes Filialnetz haben mit WebRTC die Möglichkeit, eine größere persönliche Nähe über ihren Internetauftritt zu realisieren.
Für den Finanzsektor gilt, dass vielen Menschen der Aspekt des Vertrauens zu einer Bank oder einer Versicherung viel wichtiger ist als zum Beispiel die reinen Zinskonditionen. Sie möchten mit Menschen sprechen. Die Beratung zu Hause oder in der Filiale ist aber häufig eine hohe Hürde. Ein Beispiel: Wenn ich als potenzieller Kunde von einem Bank-Vergleichsportal komme und dann über die Homepage der Bank in die Filiale hineinsehen, per Video- oder Voice-Chat mit einem echten Mitarbeiter die letzten Fragen klären kann, dann werde ich mich für diesen Anbieter entscheiden. In unserer Service-Gesellschaft ist dies ein große Chance: Jenseits der großen Retailer können sich Unternehmen hier positionieren und mit hoher Service-Qualität punkten.
Welche besonderen Herausforderungen gibt es bei der Integration des Service-Centers in die Webseite?
KLOOS: Grundsätzlich sollten auch die Video-Anrufe auf dem Weg ins Service-Center vorab kategorisiert werden. Es muss darum eine Verzahnung zwischen dem Web-Server und der Contact-Center-Lösung des Anbieters geben, damit der Kunde aufgrund seiner Interaktionen auf der Webseite und seiner Historie dem passenden Agenten zugewiesen werden kann. Der Mitarbeiter im Service-Center sollte den bisherigen Weg des Kunden oder Interessenten kennen: Wie hat er sein Wunschauto konfiguriert? Für welches Smartphone interessiert er sich? Welches Möbelstück hat er sich im Webshop angeschaut? Damit er ihn schnell und zügig bedienen kann, muss er wissen welche Fragen den Kunden beschäftigt haben.
Eventuell ist auch Co-Browsing relevant, zum Beispiel bei Versicherungen, um gemeinsam Formulare und Verträge auszufüllen. Ansonsten gilt, dass die Video-Telefonie-Integration so vollständig wie möglich erfolgen sollte. Das heißt: Über alle Kanäle hinweg muss nahtloses und exaktes Reporting gewährleistet sein, damit die Ressourcen im Contact-Center entsprechend gesteuert werden können, und damit das Unternehmen erkennt, ob die Lösung erfolgreich im Einsatz ist.
Welche Fähigkeiten müssen Mitarbeiter mitbringen, um per Video zu beraten?
KLOOS: Beim Thema Video sind manche klassische Contact-Center-Agenten, die bislang „nur“ telefoniert haben, schlichtweg überfordert. Mitarbeiter für diesen Bereich müssen darum speziell ausgewählt und geschult werden, wobei Unternehmen grundsätzlich auf Freiwilligkeit im Contact-Center setzen sollten. So wie es Mitarbeiter gibt, die gerne Outbound machen, gibt es auch solche, die gerne in der Videoberatung arbeiten. Auf freiwilliger Basis können sich diese Mitarbeiter zum Video-Call-Agenten weiterentwickeln.
Im Rahmen einer Langfrist-Strategie können zum Beispiel auch die Berater aus Bankfilialen in das Routing der Contact-Center Agenten aufgenommen werden. Dementsprechend wird sich der Begriff des Contact-Centers verändern. Mitarbeiter, die heute in einer Filiale sitzen und auch einmal unproduktive Leerzeiten haben, können durch flexible Contact-Center-Strukturen besser eingebunden werden. Und weil sie ja schon in der Filiale für die Kunden sichtbar sind, sind sie auch besonders prädestiniert, in der Video-Telefonie zu glänzen.
Welche Kosten entstehen und wie effizient ist die Technologie?
KLOOS: Für Contact-Center gilt, dass die Kosten für neue Technologien leicht überschätzt werden. Die Kosten im laufenden Betrieb des Contact-Centers entstehen einerseits durch Aufwendungen für die Schulung des Personals und andererseits in Form von Aufwendungen für die technische Integration. Spare ich hier an der falschen Stelle, bleibt die Lösung auf halbem Wege stecken. Video-Telefonie mit WebRTC ist relativ kostengünstig: Es müssen keine Baugruppen in TK-Anlagen verbaut und keine neuen Kabel verlegt werden, daher ist der Hardwareaufwand vergleichsweise gering. Darüber hinaus muss die Video-Telefonie natürlich in die Infrastruktur und in die Sicherheitstechnologie integriert werden. Alternativ können solche Video-Telefonie-Lösungen aber heute natürlich auch Cloud-basiert sein.
WALTHER: Es ist das klare Ziel der Video-Kommunikation, mehr Verkaufsabschlüsse zu erzielen, indem das Unternehmen für einen besseren Kundenservice und eine bessere Betreuung sorgt. Sicher ist der Video-Kanal im Contact-Center noch Neuland und vergleichsweise jung. Erfahrungen sammeln, wie das Medium bei den Kunden ankommt, sollte man aber schon jetzt. Klar ist bereits, dass dieser neue Kanal die Kundenbindung erhöht und als Marketinginstrument neue Kontakte bringt. Und für die Unternehmen, die ihn nutzen, ist es ein innovativer Weg, um sich vom Wettbewerb positiv abzuheben.
Das Gespräch führte Bernhard Steimel.
Im Finale des Smarter Service Awards stehen zehn Unternehmen, die Jury wird in Kürze den diesjährigen Gewinner bekanntgeben. Ins Finale geschafft haben es die Unternehmen, die mit ihren Service-Innovationen die meisten Stimmen beim Community-Voting auf der Website www.smarter-service.com erhalten haben.