Ein Kommentar von Lothar Keite
Kunden werden in MRT’s gesteckt, damit deren tiefer liegende Befindlichkeiten im Hirnscanner erkannt und berücksichtigt werden. Der Erkenntnisraum wird erweitert zum Verständnis der mentalen Konzepte, denen Kunden folgen. Viele Unternehmen meinen es ernst mit ihren Kunden, um das vorab festzuhalten. Diese Unternehmen sind jeweils erfolgreich. Doch nichts ist von Dauer, auch bei den strahlendsten Markensternen gibt es mit neuen Vorständen mitunter ein Verlassen des Tugendpfades.
Bestes Beispiel für das Kundenproblem eines Vorstands liefert die Lufthansa. Der Aufstieg der Lufthansa in der Bundesrepublik ist ein Beispiel für beste Markenführung. Lufthansa wurde die vielleicht angesehenste Airline der Welt. Die Star Alliance-Kooperation wurde global zur Nummer Eins – zu einem hohen Anteil dank Lufthansa. Doch der Markt änderte sich: No frills-Airlines holten sich ein beachtliches Stück vom Flugkuchen. Wie sollte Lufthansa darauf reagieren? Zu Zeiten der Weltausstellung in Hannover ersann das Management die Strategie einer Günstig-Submarke: Germanwings. Allen Warnungen zum Trotz, dass dieses nicht das Geschäftsmodell der Lufthansa sei, wurde die Tochter etabliert – und dümpelte dahin. Sie war nie profitabel.
Mit Beginn des Jahres 2011 wurde der Traum von Christoph Franz wahr: Er wurde Vorstandsvorsitzender der Lufthansa. Die Freunde der Edelmarke Lufthansa wurden von ihm gleich zu Beginn irritiert: Die erste Äußerung, mit welcher der neue CEO Franz in die Medien gelangte, waren Überlegungen, die Beinfreiheit in der Economy-Class der Lufthansa weiter zu reduzieren. Im Jahre 2013 kommt es endlich zum großen Wurf: Die innerdeutschen Strecken werden überwiegend von Germanwings bedient, nicht mehr von Lufthansa. Endlich kann die Beinfreiheit der Kunden noch weiter reduziert werden! Was sagt das implizit: Herr Franz hält den Heimatmarkt nicht mehr für Lufthansa-wert.
Der nichtrelevante innerdeutsche Markt
Ein Lufthansa-Flug von Hamburg nach Stuttgart am 10. Juli wurde im März gebucht und bestätigt. Beim Versuch, zum Termin online einzuchecken, erschien ein Button mit etwa folgendem Wortlaut: Dieser Flug ist über unser System nicht buchbar. Bei Fragen wenden Sie sich an das Kundencenter. Was soll man dem Kunden auch die neue Strategie erklären, warum sollte man die Überleitung komfortabel gestalten, wenn es sich doch für die Zukunft um einen zweitklassigen Kunden handelt! Der Kunde wird vor vollendete Tatsachen gestellt, es wird ihm überlassen, sich weiter zu kümmern. Bei einem Anruf im Kundencenter wurde eine neue Buchungsnummer mitgeteilt. Fertig. Kunde – bitte schön, es werden keine Ansprüche gestellt. Der Kunde kann doch wohl mit der neuen Nummer einchecken.
Bei Ankunft am Flughafen fällt auf, dass auf der Bordkarte ein Gate angegeben ist, das weiter entfernt als bisher liegt. Vielleicht sollte es an diesem Tag besonders deutlich werden: Es war inzwischen schon nicht mehr das Gate, das auf der Online-Bordkarte angegeben war. Und dort am neuen Gate gibt es erst einmal die Information, dass der Flug eine gute Stunde Verspätung hat. Willkommen in der neuen Welt!
An Bord kommt es zur Erklärung des Personals, dass jetzt mit der Verpflegung begonnen wird: Die Smart-Bucher bekommen eine Schachtel mit einem Laugenbrötchen, die Basic-Bucher bekommen nichts; sie müssen bezahlen, wenn sie etwas wünschen. Der Umgebuchte von der Lufthansa wird als Smart-Bucher eingestuft. Der Purser hat eine Liste und sucht in den Sitzreihen die Smart-Bucher, fragt vorsichtig nach dem Namen; wenn der Name stimmt, erhält der Fluggast das kalte Schächtelchen mit einem Laugenbrötchen und einer kleinen Flasche Wasser. Das Mädchen, das neben dem Smart-Bucher sitzt – gerade 12 Jahre alt –, das von seinen Eltern Basic gebucht wurde, erhält nichts, hätte aber gerne auch ein Brötchen. Der Purser erklärt ihm, dass es bezahlen müsse, wenn es eines möchte. Dafür hat es kein Geld mit. Was ist zu tun? Kann der Smart-Gast nun sein Brötchen essen und das Mädchen zusehen lassen? Oder soll er dem Mädchen davon abgeben? Wie schön ist doch die neue Welt der Lufthansa / Germanwings! Kann eigentlich ein Vorstand deutlicher sagen, dass ihn die Kunden nicht interessieren?
Fehler wurden bereits gemacht
Strategisch muss gesehen werden, dass schon einmal ein Unternehmen technokratisch die Welt der Kunden regulieren wollte: Die Deutsche Bank gliederte die weniger interessante Kundschaft in die Bank 24 aus. Niemand bei der Deutschen Bank wird heute gerne daran erinnert, alle wissen, dass die implizite Missachtung einer Kundengruppe ein großer Fehler war. Jetzt wählt Herr Franz das gleiche Konzept. Der Heimatmarkt wird mit der Zweitmarke bedient, der internationale Markt mit der Erstmarke. Beim ersten Mal kann noch gesagt werden, man wusste es nicht. Doch solch einen Fehler zum zweiten Mal zu machen, ist nicht zu entschuldigen. Wer ist eigentlich der Wettbewerber? Ist es die Billigkonkurrenz oder ist es eher Emirates? Zugegeben: Der Wettbewerb mit der staatlichen Gesellschaft ist problematisch.
Der Ansatz „Alles für diesen Moment.“ als Positionierung der Lufthansa war sicher ein guter Weg; es gilt nur, ihn auch inhaltlich überzeugend zu füllen. Der neue Ansatz „Nonstop You.“ verrät schon Technokratie. Und er wird dadurch umgesetzt, dass die Kunden im Heimatmarkt zu zweitklassigen Kunden erklärt werden. So wird der Wettbewerb sicher nicht gewonnen. Es bleibt abzuwarten, wie Kunden und Aktionäre damit umgehen. Es ist einfach erschreckend, wie sehr sich Unternehmensspitze und Kunden voneinander entfernen können. Es ist noch mehr erschreckend, wie wenig Gefühl für die innewohnenden Wirkungen von Maßnahmen gegeben sind.
Die Erfahrung lehrt, dass Unternehmen die Missachtung der Kunden immer bezahlen mussten: mit der Abwanderung der Kunden. Wie lange die Erinnerungswirkung andauert, zeigt das Beispiel Bank 24. Noch heute erinnern sich viele daran und aus einer Edelmarke wurde eine Marke, der skeptisch begegnet wird. Jetzt geht die Lufthansa den gleichen Weg. Schade um die schöne Marke.
Autor:
Lothar Keite ist Inhaber der Managementberatung Institut effibrain in Hamburg.