Being Koi 

Prompt-Artist und Loved-COO Mieke Haase nutzt Künstliche Intelligenz für Kunst und Kommerz. Ihr KI-Geschöpf Koi zeigt den Sinn für Ästhetik, die Leidenschaft und Perfektion, mit der die Top-Kreative am Werk ist.
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Die Details und das Spiel mit dem Licht lassen die Bilder erschreckend echt wirken. (© Instagram, namae_koi)

Es ist eine eigene Welt. Auf Mieke Haases Instagram-Account @miekehaaseai tummeln sich gerade skurrile Pilze, Stillleben mit merkwürdigen Schnecken und quietschblaue Cookie-Monster. Aber auch immer wieder Koi, das rothaarige Mädchen, das wirkt wie eine japanische Pippi Langstrumpf, gleichwohl zerbrechlich und stark. Koi hat mit @namae_koi auch einen eigenen Kanal, auf dem man ihre Entwicklung nachverfolgen kann. Wie die Sommersprossen und ihre Haut immer realistischer wurden, die Gesichtszüge echter, das Mienenspiel ausgeprägter. Wie die Maschinen sich verbessern und der AI-Avatar zum Leben erwacht. 

Koi ist ein KI-Geschöpf und ihre Schöpferin Mieke Haase beherrscht die Programme, die für Kois Dasein verantwortlich sind, nahezu perfekt. Ihre Arbeiten zeigen, welche Wucht Midjourney entfalten kann, wenn eine vielfach ausgezeichnete Kreative wie Haase sich das Programm zu eigen macht. Die Kreativgeschäftsführerin und Mitgründerin der renommierten Design- und Brandingagentur Loved war schon Cannes-Jurorin, Juryvorsitzende bei den D&AD Awards und in diesem Jahr Chairwoman des ADC Talent Awards. 

Wie Mieke Haase zum Geheimtipp wurde 

Die Werbung haben ihr die Eltern nahegebracht, die ebenfalls in der Kreativindustrie tätig waren. Ihr eigener Weg ist ein Mäandern zwischen Kunst und Kommerz, auch wenn sie der Werbung immer wieder den Vorrang gibt, dort das „Spielen wollen“, besser ausleben kann, das Jagen nach der besten Idee und der perfekten Umsetzung, immer auch mit dem Zeitdruck im Nacken. Sie macht in Düsseldorf Abitur, studiert in nur einem Jahr an der privaten Technischen Kunsthochschule in Hamburg Kommunikationsdesign und fängt mit gerade mal 21 Jahren bei der damals renommiertesten Agentur und Kaderschmiede Springer & Jacoby an. Nach einem Jahr ist sie dort Junior Art Director und eine Art Geheimtipp: Sie wird für ihre Arbeit geschätzt, bleibt aber lieber im Hintergrund.  

Doch nach fünf Jahren entscheidet sie sich 1996 nach London zu gehen, um Kunst zu studieren. Die Voraussetzungen sind ideal. Sie hat sogar ein eigenes Atelier. Doch sie merkt: Es geht so nicht, allein für sich zu arbeiten, Vollzeit-Künstlerin zu sein, das passt irgendwie nicht so richtig zu ihr. „Die Ernsthaftigkeit der Kunst ist nicht meins“, sagt sie.  

Zurück in Hamburg: Lernen loszulassen

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Doch etwas anderes passt: „Ich habe eine Leidenschaft für Magazine und Fashion.“ In London beginnt sie als Freelancer mit einem Fotografen Fashion-Kampagnen zu realisieren. Als sie 1999 nach Hamburg zurückkehrt, heuert sie bei Kolle Rebbe an, bleibt aber nur neun Monate und gründet 2000 das Designbüro C-Feld. Sie launcht zwei Magazine: Zuerst „Sleek“, dann „Feld Hommes“ und wird für beide Kreativdirektorin. Eine moderne Bildsprache und ein eigenwilliger Themenmix zeichnen beide Titel aus. Was sie dort lernt, ist loslassen. Die Produktion wird geplant und umgesetzt, doch was am Ende herauskommt, kann immer wieder überraschen: „Ich glaube, deshalb fällt mir das Prompten leicht.“ 

2007 baute sie dann als Geschäftsführerin und Partnerin die auf Corporate Design, Corporate Identity, Corporate Publishing und Content Marketing spezialisierte Agentur Loved mit auf – so etwas wie das kreative Aushängeschild der zu WPP Holding gehörenden Thjnk-Gruppe. Mieke Haase ist so etwas wie das Herz von Loved. Sie prägt mit Sinn für Ästhetik und großer Leidenschaft nicht nur die Kreation, sondern auch die Kultur der Agentur. Storytelling, Branding, umfassende Kommunikationskonzepte entwickeln – der große Wurf, Marken ganzheitlich zu denken, das ist seit jeher ihr Ding. 

Von der Faszination Dall-E zum Kunstprojekt Koi 

Mieke Haase ist ein unruhiger Geist, immer offen für Neues, interessiert sich für Interior Design, töpfert und liebt Japan. Unter #miekebana postet sie kunstvolle Blumenarrangements. Dann kommt der November 2022. Sie hatte schon mal von einem Kollegen von Dall-E gehört, war jedoch enttäuscht über die ersten Ergebnisse. Sie wird krank und probiert Midjourney. „Mein Kopf ging und alles andere nicht.“ Ganz naiv sei sie an das Programm herangegangen, schaut Tutorials, probiert aus. Am 22. November startete sie mit AI, schon am 24. November geht der Instagram-Kanal online. „Ich war total fasziniert und sofort addicted.“  

Und stolpert gleich in der Anfangszeit über Koi, ihr Alter Ego, schüchtern, das japanisch Zurückhaltende und die ästhetische Ordnung liebende einerseits und das rebellische Mädchen andererseits. Koi wird ein Kunstprojekt, bekommt einen eigenen Kanal, erlebt die Welt. Und Mieke Haase eine Prompt Artist, eine Künstlerin, die ihre Werke mit KI erschafft. 

KI als Kreativpartner und Muse 

Midjourney hat immer Zeit. Zeit zu spielen. Zeit Impulse zu geben. Zeit Ideen weiterzuentwickeln. In den erste Monaten promptet sie die Nächte durch. „Ich bin Teamplayer. Nachts ist kein Team da“, sagt sie über den Austausch mit der Maschine, die unendlich viel liefert, was sie weiterentwickelt, bis dann die vielen Bilder da sind, aus denen sie das eine, das Beste, auswählt. Rund 90.000 Bilder hat sie mittlerweile erstellt. „Ich sehe KI als Kreativpartner und Muse. Es ist wie ein Dialog“, sagt sie und grenzt sich damit von den „Technologieverliebten“ ab, „die in den Workflow verliebt sind“.  

Sie wird zur KI-Expertin, vernetzt sich mit anderen, spricht intern und extern. Gehört dem AI Circle der WPP an, versucht das Demokratisieren der Tools in die Firma zu bringen. Die Maschinen nur als Möglichkeit zu sehen, um effizienter zu werden, hält sie für einen Fehler. „KI ist gut für Ideen und die Konzeptphase. Und für unseren Job braucht man eine gute Idee, auf der man lange arbeiten kann.“ 

Sie spricht im Moment viel mit Kunden, ermutigt sie, auszuprobieren und ebenfalls Spaß an den Programmen zu entwickeln und an den Möglichkeiten, die diese bieten. Storytelling und Authentizität werden wichtiger, glaubt sie, auch der Kundenservice wird besser werden.  

Als Weltenwanderin liegt ihr Fokus derzeit wieder mehr auf der Arbeit. Aber Kois Entwicklung geht weiter. „The Mess“, zu Deutsch „Das Chaos“, heißt das neueste Bild auf @namae_koi. Kois Augen sind bedeckt von lilafarbigen Scherben, die roten Haare gelockt, eine grüne Schlange räkelt sich, Blut klebt am Mund. Die deutsche Übersetzung des Textes lautet „Tumult unserer Zeit, Verlust prägt uns, neue Wege entstehen – Entscheidungen definieren uns.“ Es liest sich wie der Subtext zu KI.

Juliane Paperlein (pap) ist Fachjournalistin und Moderatorin, war Ressortleiterin bei Horizont und Leiterin der Unternehmenskommunikation der AGF Videoforschung. Es sind vor allem die wirtschaftlichen Zusammenhänge in der bunten und niemals langweiligen Marketing- und Medienwelt, die sie interessieren, und sie ist sehr froh darüber, sich von Frankfurt aus mit immer neuen Themen beschäftigen zu können.