Verbrauchern in Deutschland soll der Autokauf mit deutlich aufgestockten Kaufprämien für Elektrofahrzeuge und einer Senkung der Mehrwertsteuer schmackhaft gemacht werden. So will die Bundesregierung auch die eingebrochene Nachfrage wieder ankurbeln und drohenden Jobverlusten in der Schlüsselindustrie vorbeugen.
Die große Koalition in Berlin hatte sich am Mittwochabend nach langen Verhandlungen auf ein Konjunkturpaket zur Stützung der Wirtschaft in der Corona-Krise geeinigt. Es hat einen Gesamtumfang von 130 Milliarden Euro. Aus dem Verband der Automobilindustrie (VDA) hieß es am Donnerstag, die Hersteller wollten den Preisvorteil aus der darin vorgesehenen Mehrwertsteuersenkung voll an ihre Kunden weitergeben. Im Übrigen bedauere man aber, dass der Bund „die Vorschläge für einen breit angelegten und unmittelbar wirksamen Konjunkturimpuls nur zum Teil aufgenommen“ habe. Die Branche hatte zusätzliche Kaufanreize auch für Wagen mit modernen, abgasarmen Verbrennungsmotoren verlangt.
Bonus für E-Auto-Kauf auf 6000 Euro verdoppelt
Union und SPD beschlossen höhere Prämien nur für Alternativantriebe. Die Förderung des Bundes für die bestehende „Umweltprämie“ soll befristet bis Ende 2021 für E-Autos mit einem Nettolistenpreis von bis zu 40.000 Euro von 3000 auf 6000 Euro steigen. Dazu kommt eine Förderung der Hersteller. Zudem sollen weitere 2,5 Milliarden Euro in den Ausbau des Ladenetzes gesteckt sowie Forschung und Entwicklung etwa bei der Batteriezellfertigung stärker unterstützt werden. Der Branchenverband erklärte, aus seiner Sicht setzten die auf ein halbes Jahr beschränkte Senkung der Mehrwertsteuer und die Verdopplung des staatlichen Anteils am „Umweltbonus“ immerhin ein positives Zeichen.
Die großen deutschen Hersteller begrüßten die Beschlüsse: Die deutlichste Zustimmung kam dabei aus Bayern: „Die beschlossenen Maßnahmen sind ein wertvoller Transformationsbeschleuniger, um noch mehr Kunden für nachhaltige Mobilität zu begeistern“, sagte BMW-Vorstandschef Oliver Zipse am Donnerstag. Daimler sieht in dem Konjunkturpaket einen „guten, überparteilichen Kompromiss“. Die Absenkung der Mehrwertsteuer sei ein wichtiges Signal zur Stärkung der Binnennachfrage. Ähnliche Töne kamen aus Wolfsburg: „Wir halten das für einen guten, wichtigen Impuls“, teile die VW-Konzernführung mit.
Daimler-Betriebsrat befürchtet Jobverluste
Kritischer äußerte sich Daimler-Gesamtbetriebsratschef Michael Brecht: „Ich bin enttäuscht darüber, dass die Kaufprämie für Neufahrzeuge mit der neuesten Technologie für Verbrenner nicht kommt“, sagte er der „Automobilwoche“. Wie stark der Corona-Schock den Konzern treffe, werde die Bilanz des zweiten Quartals schonungslos offenlegen. „Wir werden Arbeitsplätze dauerhaft verlieren. Nun geht es darum, diese Zahl so gering wie möglich zu halten“, sagte Brecht.
Bei Umweltschützern traf der Ausschluss von Dieseln und Benzinern aus der Förderung im Kern auf Zustimmung. „Die Entscheidung gegen Autokaufprämien für klimaschädliche Verbrenner und die Förderung von E-Autos ist der richtige Weg hin zur dringend nötigen Mobilitätswende in Deutschland“, meinte etwa Naturschutzbund-Geschäftsführer Leif Miller.
BUND-Verkehrsexperte Jens Hilgenberg sieht jedoch auch Schlupflöcher. Er bemängelte, die Berücksichtigung von Plug-in-Hybriden komme einer „Kaufprämie für Verbrenner durch die Hintertür“ gleich. Wenn nicht mindestens 70 bis 80 Prozent der Strecke elektrisch gefahren würden, sei das Auto de facto ein Verbrenner. Höhere Prämien für E-Autos im bestehenden System schließen auch Plug-ins in den „Umweltbonus“ ein. Die Frage „des optimierten Nutzungsgrades des elektrischen Antriebs bei Plug-in- Hybridfahrzeugen“ soll aber noch diskutiert werden.
Greenpeace bemängelt „blassgrünes“ Konjunkturprogramm
Greenpeace nannte das Konjunkturprogramm „bestenfalls blassgrün“ und die Aufstockung der Prämie auch für Hybridautos ökologisch unsinnig. Der Verbrennungsmotor sei aber der große Verlierer der Entscheidung, sagte Klimaexperte Tobias Austrup: „Dem technologischen Auslaufmodell ist die politische Unterstützung abhanden gekommen.“ Die Senkung der Mehrwertsteuer sei allerdings ein Geldverteilen „mit der Gießkanne“.
Im Mai blieben die Auto-Neuzulassungen in Deutschland wegen der starken Kaufzurückhaltung durch die Viruskrise im Sturzflug. Im Vergleich zum Vorjahresmonat sackten sie um fast die Hälfte ab. Der Marktanteil alternativer Antriebe ist weiter relativ gering – aber das Wachstum zieht inzwischen spürbar an. Bei reinen E-Autos betrug das Zulassungsplus im Mai 20,5 Prozent, bei Hybriden 18,3 Prozent.
Autohändler befürchten „Bürokratiemonster“
Der Autohandel sieht die Beschlüsse der Koalition sehr kritisch. Die Senkung der Mehrwertsteuer und damit des Autopreises um ein paar hundert Euro sei kein wesentlicher Kaufanreiz – aber die zeitliche Befristung „schafft uns ein Bürokratiemonster“, sagte Thomas Peckruhn, Sprecher der Markenhändler und Vizepräsident des Zentralverbands Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe (ZDK). Denn bis Juli nehme kein Kunde mehr sein Auto ab, und wenn ein im zweiten Halbjahr bestelltes Auto erst im Januar geliefert werde, schaffe das Ärger und Verdruss. Für den Autohandel sei das „welt- und realitätsfremd“. Die Aufstockung der Prämie für Elektro- und Hybridautos helfe dem Handel auch nicht, seine Lagerbestände abzubauen. Im Handel stünden vor allem Benziner und Diesel, die auch den Großteil der Autoproduktion ausmachten.
Aus der Wissenschaft kamen unterschiedliche Einschätzungen zu dem neuen Prämienmodell. Der Präsident des Ifo-Instituts, Clemens Fuest, hält den Verzicht auf generelle Kaufzuschüsse für alle Antriebe für richtig. Eine Gesamtwirkung für die Branche lasse sich anders besser erzielen: „Die zeitweise Mehrwertsteuersenkung wird auch Autokäufe anregen, die Hilfen für die Autoindustrie konzentrieren sich auf Investitionen für die Zukunft.“
Die Branchenexpertin Ellen Enkel sagte, eine Konzentration der Förderung auf E-Fahrzeuge bringe den deutschen Herstellern eher wenig: „Davon profitieren in erster Linie ausländische Hersteller.“ Nur ein Viertel der förderfähigen E-Autos seien deutsche Modelle. Die Prämienerhöhung bringe vor allem etwas für Kleinwagen der Importeure.
tht/dpa