Von Gastautor Autor Dr. Dr. mult. Hermann Simon, Gründer und Honorary Chairman von Simon, Kucher & Partners
Um die enorme Herausforderung einzuschätzen, muss man in die letzten Jahrzehnte zurückschauen. Wo kommt China her? Wirtschaftlich betrachtet quasi aus dem Nichts. Erst mit den von Deng Xiaoping in den 1980er Jahren eingeleiteten Reformen änderte sich das.
Allerdings ging es über viele Jahre nur sehr langsam voran. Der einzige Wettbewerbsvorteil chinesischer Produkte waren die extrem niedrigen Preise,
die auf genauso niedrigen Kosten basierten. „Made in China“ stand für Billigware, hatte ein dubioses Umweltimage, eigene internationale Vertriebsorganisationen wurden nicht aufgebaut, geschweige denn, internationale Marken.
Ein typisches Beispiel dieser Aufbauphase ist eine Firma aus der chinesischen Industrieprovinz Guangdong. Dem Gründer gelang es tatsächlich, mit seinen Nail Clippern mengenmäßiger Weltmarktführer zu werden. Er betrieb sechs Fabriken und produzierte gigantische Stückzahlen. Er hatte zwar formal eine Marke, die aber weder bekannt war noch nennenswerte Reputation besaß. Gelegentlich besuchte er Messen in den Industrieländern. Im Wesentlichen lief sein Vertrieb jedoch über ein Büro in Hongkong, wo ihn die Einkäufer der großen Händler aufsuchten. Etwa um 2014 war es mit seiner Erfolgsgeschichte vorbei. Die Lohnkosten in Guangdong explodierten, höhere Preise konnte er nicht durchsetzen, die Einkäufer kamen nicht mehr. Seine Firma ging den Weg alles Irdischen. Vorbei!
Noch spielen chinesische Marken keine große Rolle
In Produktion und Qualität haben die überlebenden chinesischen Unternehmen seither enorme Fortschritte gemacht. Aber chinesische Marken spielen nach wie vor in der globalen Liga keine große Rolle. Unter den globalen Top-100-Marken sind lediglich zwei chinesische und diese liegen nicht auf vorderen Plätzen. Der Telekommunikationsausrüster Huawei rangiert auf Platz 70, der PC-und Smartphone-Hersteller Lenovo hält mit Platz 100 die rote Laterne. That’s it.
Doch Qualität alleine genügt nicht. Das weiß jeder Marketer. Vielen chinesischen Unternehmern wird das erst allmählich klar, wie folgende Diskussion mit dem Vorstandsvorsitzenden eines chinesischen Autoherstellers belegt. Dieser CEO sagte mir: „Wir machen gute Qualität. Ich will aber mehr. Ich will eine globale Marke schaffen.“ Als ich seine Autos inspizierte, fiel mir die Ähnlichkeit zu BMW ins Auge. Ich kommentierte: „Solange du BMW imitierst, wirst du keine globale Marke kreieren.“ Er entgegnete: „Aber BMW ist doch erfolgreich.“ Wieder ich: „Du musst was Neues, etwas Originelles, schaffen. Sonst bleibst du immer nur der Imitator.“ Er musste schlucken, aber ich glaube, dass er es verstanden hat.
Interesse am Markenthema
Jedenfalls hat es die Regierung mit dem Ausrufen der „China-Brand-Initiative“ verstanden. Und wenn in Peking etwas angeordnet wird, dann springen alle. Am 10. Mai 2018 wurde in vielen großen Städten der „China Brands Day“ veranstaltet. Ich durfte in Schanghai, in der Sechsmillionenstadt Ningbo und in Jinan, Hauptstadt der Industrieprovinz Schandong, zu diesem Thema vortragen. In Shanghai stand stärker die internationale Markenpolitik im Vordergrund. Am Hightech-Standort Ningbo ging es vor allem um Technologie und Markenpolitik. Die Provinz Schandong, mit 100 Millionen Einwohnern größer als die Bundesrepublik Deutschland, hatte sich hingegen traditionelle chinesische Marken vorgenommen. Ja, es gibt in China zahlreiche Marken, die teilweise mehr als 100 Jahre alt sind und sogar die Kulturrevolution unter Mao Zedong überstanden haben.
Das Interesse am Markenthema war enorm, das gilt sowohl für die Konferenzen als auch für anschließende Presse- und Fernsehinterviews. In Technologie und auch im internationalem Vertrieb kommen die Chinesen schnell voran. Mittlerweile sind 2000 chinesische Firmen auf dem deutschen Markt präsent. In der umgekehrten Richtung ist die Zahl allerdings mit 8200 noch deutlich höher. Das Schaffen von Marken bildet allerdings für die Chinesen eine weit schwierigere Herausforderung. Starke westliche Marken wurden oft von sozialen Außenseitern geschaffen. Das gilt für Steve Jobs von Apple genauso wie für Dr. Hans Riegel von Haribo oder die Gebrüder Albrecht bei ALDI. Soziales Außenseitertum wird aber in der chinesischen Gesellschaft nur schwer akzeptiert. Es gibt Ausnahmen wie Jack Ma, den Gründer von Alibaba. Als ich ihn vor einigen Jahren in Peking kennenlernte, erschien er in Pullover und Freizeithose, obwohl der chinesische Wirtschaftsminister Wan Gang und die amerikanische Ministerin Elaine Chao präsent waren. Doch solche Extravaganz kann man sich nur erlauben, wenn man so erfolgreich ist wie Jack Ma.
Der Aufbau einer globalen Marke erfordert zudem Geduld. Man braucht eher Jahrzehnte als Jahre. Und Geduld in wirtschaftlichen Dingen ist nicht gerade eine Stärke der Chinesen, denn sie sind ein ungeheures Tempo gewohnt. Doch es gibt bereits erste Erfolge, wobei die Regierung ausdrücklich auch Wert darauf legt, dass mittelständische Unternehmen nach dem Vorbild der deutschen Hidden Champions globale Marken schaffen. Die Modekette Schanghai Tang (Motto: „Modern Chinese Chic“) wurde sogar vom schweizerischen Richemont, dem zweitgrößten Luxusgüterkonzern der Welt, übernommen, was einem Ritterschlag in Sachen Marke gleichkommt. Die kleine Marke Sandriver („Luxury Cashmere“) versucht, eine Nische zu besetzen und hat es sogar zu einer amerikanischen Fallstudie vom Harvard-Typ zum Thema globaler Markenaufbau geschafft. Die auch in Deutschland vertretene Chemiefirma Moris liefert ein Beispiel für eine Industriegütermarke. Sie ist Weltmarktführer bei mehreren Spezialchemikalien.
Die „China-Brand-Initiative“ ist ernst zu nehmen. Die Idee einer nationalen Initiative ist neu. Die Konsequenz in der Umsetzung solcher Initiativen ist in China hoch (siehe das Projekt „Neue Seidenstraße“). Die inhaltliche Herausforderung bleibt.