Auf ihrem Weg durch die Großstadt werfen sich Frauen gegenseitig anerkennende Blicke zu. So unterschiedlich sie auch sind, haben sie doch viel gemeinsam: Sie sind selbstbewusst, stylisch und im urbanen Südafrika zuhause. Die Werbekampagne der Avatar-Agentur in Kapstadt ist eine Hommage an starke Frauen und die Vielfalt. Für den schwedischen Modekonzern, der sie vor ein paar Jahren in Auftrag gab, war sie ein Wendepunkt. Denn ein Foto einer vorhergehenden, in Europa ersannten Kampagne hatte rassistische Stereotype bedient und für wütende Proteste gesorgt. „Es war eine Herausforderung, das Image wiederherzustellen, aber letztlich auch eine sehr dankbare Aufgabe“, erinnert sich Veli Ngubane, Co-Gründer und Chief Creative Officer der Avatar-Gruppe, zu der Agenturen in Kapstadt, Johannesburg und Durban gehören. Bei der Kundschaft kam die Kampagne so gut an, dass der Konzern neue Läden eröffnete, statt den Standort Südafrika zu verlassen.
Das ist ein drastisches Beispiel dafür, dass man nur erfolgreich in einem Markt werben könne, den man auch verstehe, sagt Ngubane. „Man muss die Menschen lieben, für die man diese Kampagnen macht. Sie müssen einem am Herzen liegen“. Angesichts der Geschichte Südafrikas, der Rassentrennung während der Apartheid und der bis heute bestehenden massiven sozialen Ungleichheit, sind vielfältige Werbeteams besonders wichtig. Sie müssen die multikulturelle Bevölkerung mit ihren elf offiziellen Landessprachen, unterschiedlichen Glaubensrichtungen, Lebenswirklichkeiten und Subkulturen bestmöglich repräsentieren. „Wenn alle im Kreativteam einen ähnlichen Hintergrund haben, dann übersehen sie im Zweifelsfall auch, was für andere Gruppen beleidigend sein könnte“, so Ngubane.
Die größte Agenturgruppe, die Schwarzen gehört
Avatar wirbt damit, die größte Agenturgruppe Südafrikas zu sein, die „zu 100 Prozent Schwarzen gehört“. Die Transformation der Werbeindustrie sei auch fast 30 Jahre nach der demokratischen Wende noch ein großes Thema, sagt Thabang Skwambane, Vorstandsmitglied des Branchenverbands Association for Communications and Advertising. Zwar würden Agenturen schwarze Vertreter*innen in den Vorstand des Verbands entsenden, aber das bedeute nicht, dass „die Agenturen selbst wirklich transformiert sind“, so Skwambane. Früher sei er selbst vom weißen Management losgeschickt worden, um beispielsweise Statements abzugeben. Heute gebe es in der Branche die ganze Bandbreite von Unternehmen, von solchen die sich in der Struktur gar nicht verändert hätten zu solchen, die komplett transformiert seien.
Für ihn geht dieser Veränderungsprozess über die gesetzlich vorgeschriebenen Quoten für die Beteiligung schwarzer Südafrikaner*innen und Frauen hinaus. Demografische Vorgaben zu erfüllen sei nur der erste Schritt, danach komme es darauf an, „ganz bewusst marginalisierte Bevölkerungsgruppen einzubeziehen“. Also beispielsweise Angehörige der LGBTIQ-Community oder Menschen mit Behinderungen. Die Absicht und der Wille, Offenheit und Neugierde seien dabei zentral.
Skwambane ist der CEO der Nahana Communications Group, der mehrere führende Agenturen in Südafrika angehören und die 2022 mit dem Transformation Award ausgezeichnet wurde. Ein Preis für Vielfalt, Gleichberechtigung und Inklusion (DEI) in der südafrikanischen Werbeindustrie. Das zeige zwar, was seine Agenturgruppe im Vergleich zu anderen erreicht habe, sagt Skwambane. Aber letztlich sei DEI kein Wettbewerb, sondern eine Einstellung, die sich in der Unternehmensphilosophie widerspiegele. Im Kern ginge es darum, dass sich jede*r angesprochen und niemand ausgegrenzt fühle. Dazu müsse auch das eigene Team stets seinen individuellen Bias, seine Ansichten und Stereotype hinterfragen.
Den Kampagnen sei das nicht unbedingt „anzusehen“, es gehe eher darum, wie sie „erlebt“ würden. „Wenn möglichst viele unterschiedliche Menschen auf eine Kampagne ansprechen, dann wissen wir, dass wir etwas gefunden haben, das alle verbindet“, sagt Skwambane. Als Beispiel dafür nennt er die mehrfach ausgezeichnete Kampagne Beatnation, an der die Agentur FCB in Johannesburg beteiligt war.
„Sie ging davon aus, dass Musik uns alle verbindet, egal aus welcher Kultur man kommt oder wer man ist“, sagt Skwambane. Am meisten freute ihn der Kommentar eines Gehörlosen, der schrieb, er habe diese Musik „fühlen“ können. Verbindungen zu schaffen und Gemeinsamkeiten aufzuzeigen, sei in der zunehmend polarisierten und von Algorithmen bestimmten Welt ebenso wichtig, wie die eigene Komfortzone zu verlassen und Neugier auf Neues zu wecken, betont Skwambane.
Avatar-Kreativchef: „Wir müssen den Fokus mehr auf Afrika richten“
Dazu allerdings muss die Werbebranche mit alten Mustern brechen. Agenturen auf dem afrikanischen Kontinent würden sich zu stark an Europa und den USA orientieren und ihre Kampagnen nach dem Geschmack internationaler Jurys in Cannes oder New York ausrichten, kritisiert Avatar-Kreativchef Veli Ngubane. „Wir müssen den Fokus mehr auf Afrika richten, authentische Einblicke schaffen und die unterschiedlichen Märkte des Kontinents besser verstehen“. Er selbst reist daher gern in andere Regionen des Kontinents, nutzt soziale Medien, um ein panafrikanisches Netzwerk auszubauen und stellt in seinem Blog kreative Köpfe aus Afrikas Marketing- und Werbebranche vor. Der Kontinent sei eine noch zu wenig genutzte Inspirationsquelle und trotz aller Vielfalt gebe es etliche Gemeinsamkeiten. „Wir müssen ein stärkeres Vertrauen in unsere eigene Kreativität, die Art unserer Arbeit und unsere Kultur entwickeln“, sagt Ngubane.
Damit zielt er sowohl auf ein selbstbewussteres Auftreten gegenüber internationalen Kund*innen ab, als auch auf eine Lokalisierung von Kampagnen. In Nigeria wurde 2022 beispielsweise ein Gesetz verabschiedet, nachdem für lokale Werbung nur noch nigerianische Models und Synchronsprecher*innen engagiert werden dürfen. Derartige Interventionen seien wichtig, sagt Ngubane. „Die Konsument*innen wollen Kampagnen mit Leuten, die aussehen wie sie selbst“. Sie wünschen sich mehr Authentizität in der Werbung, Kreativteams, die ihre Kultur und Lebenswirklichkeit wirklich begreifen, statt sie holzschnittartig darzustellen.
Auch deshalb fördert Avatar in Südafrika aufstrebende schwarze Firmen. Deren größte Hürde sei finanzieller Natur, sagt Ngubane. „Wie überall braucht man Kapital und das Vertrauen der Kund*innen, um wachsen zu können. Wir vergeben daher so viele Aufträge wie möglich an kleinere, jüngere Teams“. Auch die Nahana Communications Group hat sich der Nachwuchsförderung in der südafrikanischen Werbebranche verschrieben, mit umfangreichen Mentoren-, Weiterbildungs- und Stipendienprogrammen. In Kooperation mit einer Universität finanziert die Unternehmensgruppe ein vierjähriges Bachelor-Studium für junge schwarze Frauen aus unterprivilegierten Bevölkerungsschichten. Schließlich braucht eine wachsende Branche auch die entsprechenden Fachkräfte. Und natürlich wirkt sich das auch auf die Inhalte der Kampagnen aus. Die Branche brauche „dringend neue Stimmen“, frische Perspektiven aus der Sicht junger Leute und mehr Frauen in der Werbebranche, bilanziert Veli Ngubane. „Es ist sehr wichtig, dass die nächste Generation ihre eigenen Geschichten erzählen kann“. Nur so kann der angestrebte Bewusstseinswandel auch tatsächlich Fuß fassen.