Vor fünf Tagen hat das Europäische Parlament nach jahrelangem Ringen den AI Act zur Regelung des Umgangs mit Artificial Intelligence (AI), also Künstlicher Intelligenz, beschlossen. Auch für das HR-Management wird dies massive Folgen haben. Doch dazu später mehr. Zunächst möchte ich den Blick auf ein Interview richten, in dem Bayer-Chef Bill Anderson jetzt verblüffend offen über die Führungskräfte im eigenen Laden herzog.
Dass Führungsarbeit in diesen volatilen Zeiten kein Zuckerschlecken ist, darüber habe ich an dieser Stelle schon öfter geschrieben. Auch dass vor allem das mittlere Management sich in vielen Unternehmen gerade ernsthaft Sorgen vor Degradierung oder gar Jobverlust machen muss, ist nicht neu. Dennoch hat mich überrascht, was Bayer-CEO Bill Anderson jetzt gegenüber der “Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung” bekannte.
„Es wird weniger Bosse geben. Und mit der Zahl der Führungskräfte reduziert sich auch die Zahl hochbezahlter Stellen“, so Anderson. Das dafür aufgelegte Programm des Konzerns klingt – wie das meist bei solchen Programmen der Fall ist – ziemlich harmlos: „Dynamic Shared Ownership“. Dahinter aber stecken Botschaften, die es in sich haben: Personalkosten sollen künftig vor allem beim mittleren Management eingespart werden und sehr viele Teams funktionieren offenbar ohnehin ohne Führung viel besser. „Unsere Leute wollen Krankheiten bekämpfen“, so der CEO des Pharmakonzerns, „und dafür muss man doch keine Führungskraft sein, die die Reisekostenabrechnungen anderer Leute abzeichnet“.
Sollte das Bild, das Anderson da von Teilen seiner Führungscrew zeichnet, stimmen, kann es dafür eigentlich nur zwei Gründe geben: Entweder hatte Bayer bislang ein echtes Problem mit der Definition von echtem Leadership, wenn es dabei nur um Dinge wie Reisekostenabzeichnungen ging. Oder der Konzernchef hat eine besorgniserregend schlechte Meinung über seine eigenen Führungskräfte.
Gender Pay Gap ist keine Verhandlungssache
Ganz anders Axel Springer. Der Medienkonzern hat vergangene Woche seinen ersten konzernweiten Diversity & Inclusion (D&I)-Bericht vorgelegt und will damit laut eigenem Bekunden „sein Engagement, D&I als zentralen Bestandteil der Unternehmenskultur zu verankern“ dokumentieren. Auf 36 Seiten zählt der Konzern allerhand Absichtserklärungen, Statements und sogar ein paar Zahlen auf, wobei mir ehrlicherweise nicht ganz klar ist, nach welchen Kriterien welche Zahlen genannt beziehungsweise welche Zahlen nicht genannt werden. Denn für unterschiedliche Medienmarken werden unterschiedliche Kennziffern hervorgehoben. Für die “Welt”-Gruppe beispielsweise nennt der Bericht die Gender Balance (42 Prozent Frauen über alle MitarbeiterInnen, 35 Prozent auf Managementebene) und für die “Bild” den Gender Pay Gap.
Auf letzteren sind die Springer-Leute offenbar besonders stolz, weil das Gender Pay Gap bei “Bild” nur 3,7 Prozent beträgt, während die bereinigte Lohnlücke zwischen Männern und Frauen über alle deutschen Unternehmen hinweg noch immer bei durchschnittlich sieben Prozent liegt. Vielleicht hat “Bild”-Chefredakteurin Marion Horn vor gut einem Jahr bei ihrem Wiedereinstieg als Vorsitzende der Chefredaktion der “Bild”-Gruppe einfach super gut verhandelt, mögen viele jetzt vielleicht denken. Und wenn es so war, dann sei es ihr von Herzen gegönnt.
Bereinigter Pay Gap stagniert
Apropos. Pünktlich zum Equal Pay Day, also jenem Tag im Jahr, der symbolisch die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen markiert und der 2024 erneut auf den 7. März fiel, zeigt sich: Seit vier Jahren stagniert der bereinigte Pay Gap bei den gerade genannten sieben Prozent, der unbereinigte liegt sogar weiterhin bei 18 Prozent. Spannend ist dabei vor allem ein internationaler Vergleich. Denn beim unbereinigten Pay Gap, also jener Zahl, die die absolute Lohnlücke ohne Berücksichtigung von Job, Arbeitsmodell und Rolle nennt, wird ja gerne das Argument vorgebracht, Frauen würden eben einfach lieber schlechter bezahlte Berufe, mehr Teilzeit und weniger Verantwortung suchen. Kurzum: Dass Frauen durch ihre Jobwahl in weiten Teilen selbst schuld an der unbereinigten Lohnlücke trügen.
Wer dieser Argumentation anhängt, dem sei ein Blick auf die EU-weite Pay Gap Statistik empfohlen, die zweierlei zeigt: In anderen europäischen Ländern liegt der unbereinigte Pay Gap weitaus niedriger, Deutschland liegt weit über dem EU-Durchschnitt. Und ich glaube nicht, dass beispielsweise italienische und rumänische Frauen ihre Jobwahl so viel anders treffen als deutsche Frauen.
Ob und wann die im Sommer 2023 in Kraft getretene europäische Entgelttransparenzrichtlinie in diesem Punkt für nachhaltige Änderungen sorgen wird, bleibt abzuwarten. Bekanntlich muss die Richtlinie erst bis Sommer 2026 in deutsches Recht umgesetzt werden.
AI Act der EU: HR birgt Hochrisikosysteme
Ebenfalls bis 2026 soll der vor wenigen Tagen beschlossene AI Act der EU in nationales Recht umgesetzt sein. Das Gesetz sieht schärfere Regeln für den Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) in unterschiedlichsten Bereichen vor, die dafür in unterschiedlichste Risikogruppen eingeteilt werden. Mit entsprechenden Konsequenzen – auch und gerade im HR-Management.
Schon jetzt warnen Experten, dass viele KI-Tools und Anwendungen in HR künftig als „Hochrisikosysteme“ eingestuft werden. Die Juristen Christoph Seidler und Jens Schefzig schreiben dazu in der aktuellen Ausgabe des Human Resources Managers: „Eine in dem EU AI Act definierte Gruppe derartiger Hochrisikosysteme sind nämlich KI-Systeme in den Bereichen Beschäftigung, Personalmanagement und Zugang zur Selbstständigkeit. Hochrisikosysteme sollen alle Systeme sein, die entweder die Einstellung oder die Auswahl von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen oder deren Bewertung, Überwachung, Beförderung oder Kündigung betreffen.“ Naturgemäß würde das also im HR-Bereich zahlreiche KI-Systeme betreffen, so die beiden Juristen.
Gerrit Külper, Director People and Employee Relations Central Europe beim Softwareanbieter Sage, dröselt in einem lesenswerten Beitrag die künftigen Auswirkungen des AI Act schlüssig auf und kommt dann zu dem Schluss: „Es ist wichtig zu betonen, dass KI das menschliche Urteilsvermögen und die Intuition nicht ersetzen kann und sollte.“ HR-Mitarbeitende würden weiterhin benötigt, um eine persönliche Betreuung sicherzustellen, strategische Entscheidungen zu treffen und komplexe Probleme anzugehen, die nicht durch eine KI automatisiert werden können. „Daher ist es wichtig, ein Gleichgewicht zwischen der Nutzung von KI und menschlichem Fachwissen zu finden“, so Külper.
Unternehmen setzen auf veraltete Bewerbungsverfahren
Ehrlicherweise habe ich keine Ahnung, ob ich angesichts dessen über eine Meldung, die der Bitkom Anfang Januar verschickte, eher lachen oder weinen soll. Seinerzeit hatte der Digitalverband nämlich herausgefunden, dass hierzulande noch immer drei Viertel aller Unternehmen auf „Bewerbungsmappen aus Papier“ setzen und nur 17 Prozent auf „Online-Bewerbungen mit einem Klick“. Das ernüchternde Fazit lieferte Bitkom-Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder gleich mit: „Zu viele Unternehmen setzen noch auf Bewerbungsverfahren wie vor 20 Jahren.“
So gesehen dürfte der AI Act der EU momentan für viele HR-Managerinnen und Manager noch weiter weg sein als der Mars für Elon Musk.
In diesem Sinne: Eine zukunftsgewandte Woche – und bleiben Sie gut drauf!