In Landlust wird das Hohelied der praktizierten Nachhaltigkeit gesungen, und die Zeitschrift entsagt allem, was es an moderner Technik so gibt, so konsequent, dass die Abbildung einer rostigen Gartenschere bereits den Gipfel des technischen Fortschritts darstellt.
Dass der Erfolg dieses Genres viel mit Realitätsflucht zu tun hat, liegt auf der Hand. Das, was wir jeden Tag in der Arbeitswelt oder in den Fernsehnachrichten erleben, erscheint undurchschaubar, unberechenbar, unwirklich, unsinnlich. Doch was haben die gedruckten Gartenidyllen an sich, dass sie das Unbehagen darüber so perfekt artikulieren, dass sie geradezu ein Gegengift für die erlebte, völlig aus den Fugen geratene Kulturentwicklung zu sein scheinen?
Drei Grundmuster lassen sich ausmachen: Landlust & Co. agieren in einem überschaubaren Entwicklungskreis (die Scholle), sie unterwerfen sich verlässlichen Zyklen (die Jahreszeiten), und sie propagieren intakte Ordnungen (Hegen & Pflegen), die Fantasien des Behütetseins Raum geben, beispielhaft verwirklicht in der Geschichte eines Schafhirten. Vor diesem Hintergrund gewinnen die unter klassischen journalistischen Gesichtspunkten eher langweiligen Geschichten über die Rückkehr von Zugvögeln und das Sprießen von Gartenkräutern ihren eigentümlichen Reiz.
Wenn man Landlust als das Lifestyle-Magazin der 2010er-Jahre begreift, offenbart dies auf eine verblüffende Weise die gegenwärtige Wendung unseres Weltempfindens, denn dann lässt sich eine geheime Verwandtschaft zur Zeitschrift Tempo erkennen, der Zeitgeistbibel der achtziger Jahre. Damals ging es darum, Grenzen zu überschreiten („Was geht ab in LA?“) – heute geht es darum, das Glück hinterm eigenen Jägerzaun zu finden („Narzissenleidenschaft“). Was früher Ecstasy war, ist heute der gedeckte Apfelkuchen.
In dieser Weltanschauung liegt gewissermaßen das Lob traditioneller Beschaulichkeit, die Kreise zusammenbringt, die vor einer Generation noch entgegengesetzte Pole der politischen Landschaft bildeten – die Synthese von CSU und Grünen ist erreicht. Ausgerechnet diejenigen, die früher als „Müsli“ verspottet wurden, entdecken nun den Wert des Provinziellen. „Unser Dorf soll schöner werden“, jener Wettbewerb, der einst der Inbegriff der Spießigkeit war, erfährt seine postmoderne Rehabilitation, indem die einstige Avantgarde des ökologischen Fortschritts damit flirtet.
Wohnen wir noch oder landleben wir schon? Wer heute durch die Regalreihen von Einrichtern wie Strauss Innovation stöbert oder sich das Land-Deko-Arsenal einer Kamps-Filiale zu Gemüte führt, erkennt schnell, wie sehr sich die allgemeine Urtümlichkeitsästhetik in unserem Alltag breitgemacht hat. Dieser Trend birgt damit möglicherweise bereits den Keim in sich, der dessen Ende bedeuten könnte. Die Überkommerzialisierung könnte dazu führen, dass auch die scheinbar so bodenständige Landlust-Welle als das entlarvt wird, was sie vermutlich ist – wieder nur eine andere Ästhetik, die durch ihren Overkill zu einer neuen Gegenbewegung herausfordert. Welche das sein wird? Vielleicht Designer-Chrom? Abwarten…
Über den Autor: Dirk Ziems ist Managing Partner beim Marktforschungsinstitut Concept M. Darüber hinaus hält er Lehraufträge unter anderem an der Hochschule für Wirtschaft Berlin, UMC Potsdam, International Film School Cologne und Hochschule für Design in Zürich.