Bislang war die Beziehung zwischen Verlagen und Händlern klar: Die einen schaffen Raum für Werbung, die anderen füllen ihn mit Anzeigen. Beim Textilfilialisten C&A ist nun beides unter einem Dach vereint. Die Eigentümerfamilie Brenninkmeijer übernahm vor wenigen Wochen die niederländischen Tageszeitungen „NRC Handelsblad“ und „NCR Next“, die es zusammen auf eine Auflage von annähernd 300 000 Exemplaren bringen. Neben Hemden und Hosen will C&A nun auch Worte und Werbung verkaufen.
Der Einstieg branchenfremder Unternehmen ins Zeitungsgeschäft ist international längst normal geworden. Speziell in den USA wildern Finanzinvestoren und Hedgefonds im Gewerbe, etliche Zei-tungsverlage sind an der Börse notiert und wurden häufig zum Spielball von Spekulanten. Inzwischen sind Aktienkurse und Auflagen in den Keller gerauscht, mit Anzeigen ist kaum mehr Geld zu verdienen. „In der amerikanischen Zeitungsbranche herrscht Endzeitstimmung“, konstatiert Stephan Ruß-Mohl, Professor für Journalismus und Medienmanagement an der Universität Lugano. Den Niedergang der US-Zeitungsbranche, nebst Ansätzen für deren Neuerfindung, schildert er in seinem aktuellen Buch „Kreative Zerstörung“. Auch wenn es deutliche kulturelle und strukturelle Unterschiede – zum Beispiel fehlender Wettbewerb durch öffentlich-rechtlichen Rundfunk, geringere Bedeutung von Vertriebserlösen, abweichende Mediennutzungsgewohnheiten – gibt, so sind die technologischen Entwicklungen vergleichbar. „Anders als in den USA haben europäische Zeitungsverlage nicht so flächendeckend den Fehler begangen, alles gratis ins Netz zu stellen, was sie gedruckt noch verkaufen wollen“, so Ruß-Mohl. Daher sieht er größere Chancen, „eine Rolle rückwärts zu bezahltem Online-Journalismus zu schaffen“. Und die Ausgangsposition für die Zeitungen im deutschen Sprachraum sei besser als in Übersee. „Die journalistische Qualität bewegt sich auf einem hohen Niveau“, sagt der Wissenschaftler.
Ein Blick in die Verkaufsstatistik belegt diese Einschätzung. Speziell die Wochenzeitungen melden stabile bis leicht steigende Auflagen, allen voran „Die Zeit“. Sie entwickelt sich seit Jahren überdurchschnittlich gut und ist im Vertrieb, abgesehen von der boulevardesken „Bild am Sonntag“, klar die Nummer eins im Markt. Auch die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ (F.A.S.) legt zu. Zwei Beispiele dafür, wie der Spagat gelingt zwischen der Lust an permanenter Veränderung und verlässlicher Leidenschaft. Beide Titel bieten die gedruckten Inhalte übrigens dosiert und zeitversetzt im Internet an, folgen nicht der Losung „Online first“.
Problematisch für die überregionalen Zeitungen ist der Anzeigenmarkt. Die Werbezurückhaltung im Allgemeinen und die Budgetkürzungen von Schlüsselkunden wie Automobil und Finanzen im Besonderen haben dazu geführt, dass der Anzeigenumsatz 2009 um rund ein Fünftel gegenüber dem Vorjahr gesunken ist. Blätter mit einem gewohnt starken Anteil an Rubrikanzeigen wie „F.A.Z.“ und „Süddeutsche Zeitung“ leiden zusätzlich unter dem lahmenden Stellenmarkt. „Das Anzeigenvolumen ist dauerhaft und massiv abgeschmolzen“, behauptet Ogilvy-Chairman Lothar S. Leonhardt. Ein Trend, der sich nicht umkehren, sondern eher noch verstärken wird. Unternehmen haben im Vergleich zu früher mehr Kanäle zur Verfügung, können in den digitalen Medien ihre Investitionen gezielter steuern und kontrollieren. Außerdem haben Werbungtreibende festgestellt, so Leonhardt: „Betriebswirtschaftlich geht das alles mit viel weniger Geld.“ Das heißt: Künftig wird weniger Werbebudget für die Printmedien zur Verfügung stehen, das Gerangel unter den Zeitungen nimmt zu. Da die Umwegfinanzierung über Anzeigen brüchig ist, gewinnt der Verkauf von Inhalten an Bedeutung. „Spiegel“-Geschäftsführer Ove Saffe hat erst jüngst angekündigt, sich stärker auf die Spielräume im Vertrieb zu konzentrieren und die Frage zu stellen, ob sich Qualitätsmedien mit wenig oder gar ohne Werbung wirtschaftlich betreiben lassen.
Ein Thema, das in unterschiedlicher Intensität auch die nationalen Zeitungen beschäftigt. „Wenn es die Verlage schaffen, Paid Content durchzusetzen, dann stehen sie wieder vor rosigeren Zeiten“, sagt Ruß-Mohl. Denn die Weiten des World Wide Web und die digitalen Suchmaschinen ersetzen nicht den Qualitätsjournalismus. „Die Elite ist vermutlich bereit, dafür weiterhin Geld zu bezahlen. Ob sie allerdings auch in Zukunft ihre Information bevorzugt und mehrheitlich auf Papier konsumieren wird, das bezweifle ich“, meint der Medienforscher.
Umso mehr sind die Zeitungsmacher gefordert, darauf zu reagieren. Zu einer der sichtbarsten Veränderungen im deutschen Zeitungsmarkt entschlossen sich im vergangenen Jahr die Verant-wortlichen des „Handelsblatts“, als sie das Format des seit 63 Jahren bestehenden Traditionsblatts auf Tabloid-Größe schrumpften. Dadurch werden „die Informationsbedürfnisse der Entscheider in einer immer globaleren, flexibleren und mobileren Welt befriedigt“, sagt Chefredakteur Bernd Ziesemer und verspricht „schnellere Orientierung, aber keinen Häppchen-Journalismus“. Zeitgleich starteten neue digitale Angebote, vom Newsletter bis zur iPhone-Applikation. Dahinter steht die Überzeugung, dass eine moderne Medienmarke auf allen Kanälen präsent sein muss. „Wir glauben an den Grundsatz: Differenzier dich – oder stirb“, sagt Ziesemer.
Von Branchenmagazinen wurde der Chefredakteur 2009 als „Journalist des Jahres“ ausgezeichnet, das „Handelsblatt“ darf sich „Redaktion des Jahres“ nennen. Das Lob schmückt, doch entscheidend sind die Leser. Wenn sich Zeitungen radikal verändern, führt das meist zu einer stattlichen Zahl von Protesten und Abbestellungen. „Eine überwältigende Mehrheit unserer Leser findet das Business-Format hervorragend“, berichtet der stellvertretende Chefredakteur Hermann-Josef Knipper. Durchgängiges Doppelseiten-Prinzip, Heftklammerung und Inhaltsverzeichnis auf der letzten Seite sind weitere Neuerungen. „Wir bringen noch mehr Hintergründe und exklusive Aufmacher. Wir bewegen uns bewusst weg vom Mainstream und setzen stärker eigene Themen“, betont Knipper. Womöglich wird das „Handelsblatt“ zum Schrittmacher der Branche. „Ich sehe in der Umstellung auf Tabloid und der Einführung zusätzlicher Tabloid-Titel einen allgemeinen Trend“, sagt Frank-Peter Lortz, CEO der Düsseldorfer Agentur Zenithmedia. Zuvor hatte schon „Die Welt“ den Ableger „Welt kompakt“ im Kleinformat herausgebracht und die „Frankfurter Rundschau“ komplett umgestellt. „Bild“ und „F.A.Z.“ testen gerade Tabloids für jüngere Zielgruppen.
Keine Gedanken in diese Richtung macht sich Steffen Klusmann. „Das ist für uns keine Option“, sagt der Chefredakteur der „Financial Times Deutschland“, die 2010 auf ihr zehnjähriges Bestehen zurückblickt. Im Frühjahr wird die „FTD“ in frischem Design erscheinen, soll „noch ein Stück weit eleganter und magaziniger werden“, so Klusmann. „Alle paar Jahre muss man in einem Blatt einfach wieder aufräumen.“ Die bis heute defizitäre Tageszeitung wird seit vergangenem Frühjahr von der zentralen G+J-Wirtschaftsredaktion in Hamburg gemacht. Begleitet von lautem öffentlichen Echo und teilweise scharfer Kritik, hat sich das Konzept laut Klusmann bewährt: „Die Zusammenarbeit über die verschiedenen Titel klappt wirklich gut, die Kollegen verstehen sich als Team. Dennoch hat jedes Blatt seine Identität behalten.“
Gewinnen gegen den Trend
„Die Zeit“ wächst auch in der Krise. Was ihren Erfolg ausmacht:
Redaktionelle Qualität:
110 Journalisten arbeiten bei der „Zeit“, hinzu kommen zehn Magazin- und 40 Online-Redakteure. „Die starke Redaktion ist unser größtes Pfund“, sagt Geschäftsführer Rainer Esser. Im Durchschnitt wurden im Jahr 2009 jede Woche mehr als 500 000 Exemplare verkauft. „So viele wie noch nie in der Geschichte der ,Zeit‘. Unser Streben nach Qualität und fortwährender Weiterentwicklung wird belohnt“, betont Esser. Zugleich sei der Anzeigenumsatz des „Zeit Magazins“ um rund zehn Prozent gestiegen, das Verlagsergebnis bewege sich auf Vorjahresniveau.
Enge Zusammenarbeit:
Gerade bei größeren Projekten bewährt sich die enge Kooperation zwischen Redaktion und Verlagsabteilungen. Jüngstes Beispiel: die Einführung der „Sachsen“-Regionalseiten in der „Zeit“. Esser: „Der Vorschlag kam aus der Redaktion. Am runden Tisch haben wir uns ausgetauscht. Dann haben wir das Konzept gemeinsam mit Lesern, Anzeigenkunden und Multiplikatoren in sächsischen Städten diskutiert und mit Veranstaltungen und Werbung zum Erscheinen begleitet.“
Permanente Erneuerung:
„Bei uns arbeiten viele aufgeschlossene, ehrgeizige Mitarbeiter. Sie haben immer wieder spannende Ideen“, sagt Esser. So wurden zum Beispiel die Kinder-Seiten in der „Zeit“ geboren. Das anfängliche Experiment hat sich zu einer festen Rubrik entwickelt, zudem gibt es nun zweimal im Jahr ein „Zeit“-Kinderheft und in jedem Jahr eine neue Kinderbuch-Edition. Der bundesweite Vorlesetag und die Verleihung des Zeit-Kinderbuchpreises „Luchs“ runden die Aktivitäten für junge Leser ab.
Zügige Entscheidungen:
Im Mai 2007 wurde das „Zeit Magazin“ als eigenständiges Supplement wiederbelebt. „Von der Idee bis zur ersten Ausgabe dauerte es gerade sechs Monate“, betont Esser. „Wenn wir von einem Thema überzeugt sind, dann schicken wir es nicht bis zum Abwinken in die Marktforschung, sondern setzen es zügig und mit aller Kraft um.“
Direkter Kontakt:
Lesungen, Konferenzen, Vorträge, Matineen – bei rund 100 Veranstaltungen trifft die „Zeit“-Medien-familie ihre Leser, Kunden und Interessierte. Esser: „Hier kommen wir mit unseren Lesern ganz nah zusammen, erfahren aus erster Quelle, was sie interessiert.“