Fragen wurde von der absatzwirtschaft-Redaktion gestellt
Herr Strauß, Herr Göttert, welche Rolle muss das Marketing in Zukunft einnehmen?
RALF STRAUß: In den Bereichen Supply Chain und Logistics ist man spätestens seit der Einführung von Just-in- Time Mitte der 80er Jahre daran gewöhnt, alle möglichen Technologien, neue Applikationen und technische Plattformen einzusetzen. In Marketing und Vertrieb hinkt man hier oftmals noch hinterher. Häufig wurden Customer-Relationship- Management (CRM) nicht durchgehend oder nur unzureichend eingeführt und Marketing-Resource- Management, Kampagnen-Management, Kundensegmentierung sowie -datenbanken nicht konsolidiert. Doch im Rahmen der digitalen Transformation kommen jetzt bereits die nächsten Evolutionsschritte mit Programmatischer Werbung und künstlicher Intelligenz. Es gibt immer mehr Tools, die eine saubere IT-Plattform und Business Architecture voraussetzen. In diesem Digitalkonzert muss Marketing Vorreiter für alle Kundeninteraktionen werden.
GERHARD GÖTTERT: Genau darüber sprechen wir auch beim nächsten DSAG-Marketingleiter- Forum in Frankfurt im April. Welche aktuellen Hypes das Marketing der Zukunft tatsächlich prägen werden, kann heute kaum jemand vorhersagen. Fest steht jedoch, dass es datengetrieben sein wird. Es gibt schon heute viele neue Technologien, um Marketing zielgerichteter und effizienter zu betreiben. Die Durchdringung dieser Technologien in den Unternehmen ist aber überschaubar. Das Marketing der Zukunft muss personalisiert und situationsbezogen gestaltet sein. Die klassischen Marketinginstrumente von heute reichen dazu nicht mehr aus. Zudem werden die Marketers mehr Einfluss auf die Unternehmensentwicklung bekommen. Sie erhalten die Möglichkeit, eine entscheidende und zentrale Rolle zu übernehmen: Die des Konsumenten- Verstehers, der mit seinem Wissen innen und außen treibt.
Welche Herausforderungen gehen damit einher?
GÖTTERT: Marketing wird stärker zum Customer-Relationship- Management und der Marketer zum Manager der Orchestrierung von Services. Dabei muss er das Produkt in den Hintergrund stellen. Das alles zusammen wird die große Herausforderung für das Marketing.
STRAUß: Eine weitere Herausforderung ist, dass Marketing oft auf Kommunikation und klassische Medien reduziert wird. Wir müssen es aber schaffen, im Marketing alle neuen Digitalplattformen zu erschließen. Dafür braucht es zunächst Organisationsstrukturen und Prozesse. Wir müssen uns mit IT-Plattformen und Anwendungen auseinandersetzen. Aktuell treffe ich jedoch vermehrt auf Aussagen wie: Konzeptionell alles verstanden … die große Herausforderung ist und bleibt aber die Umsetzung. Hier fehlt es an Know-how und erfahrenen Projektmanagern.
Welche Trends gewinnen vor diesem Hintergrund an Bedeutung und warum?
STRAUß: Als Trends lassen sich Marketing-Automatisierung vom Lead-Management und der Lead- Qualifikation bis hin zur Programmatischen Werbung und das gesamte Thema digitale Transformation und Omni-Channel herauspicken, wie auch die neueste Studie der European Marketing Confederation in „Marketing Agenda 2018“ zeigt.
GÖTTERT: Immer wichtiger wird bei all diesen Trends die Frage: Wie schaffe ich es, individualisiert und kontextbezogen Botschaften auszuspielen?
Welche Rolle werden neue Technologien dabei spielen?
STRAUß: Es gibt bereits zahlreiche Data-Management- Plattformen, auf denen ich meine Daten mit gekauften Daten abgleichen und anreichern kann. Zudem existieren Demand-Site- Plattformen, über die ich programmatisch massenhaft individualisiert und in Echtzeit Anzeigen aussteuern kann.
GÖTTERT: Neue Technologien können aber erst dann eine wirkliche Rolle spielen, wenn ich eine technologische Grundlage geschaffen habe. Es braucht eine „Digital Foundation“, die es mir ermöglicht, neue Technologien schnell und effizient zu integrieren. Ein Beispiel: Um effizient Multi-Channel zu betreiben, brauche ich neben einer Konnektivität zu den verschiedenen Kanälen auch Zugriff auf schnell verfügbare und qualitativ hochwertige Daten. In vielen Unternehmen liegen diese aber immer noch sauber nach Abteilungen getrennt in Datensilos. Es führt kein Weg daran vorbei, diese Daten zu strukturieren und einen schnellen Zugriff, auch über Abteilungsgrenzen hinweg, zu ermöglichen. IoT, künstliche Intelligenz und Bots sind Hypes, die erst an Fahrt gewinnen. Um sie zu nutzen, fehlen in vielen Fällen heute aber noch die kulturellen, strukturellen und technologischen Voraussetzungen.
STRAUß: Das sehe ich auch so. Neben einer Konsolidierung der IT-Plattformen muss im Prozessmanagement erst Einiges passieren. Hier ist nicht nur die IT gefragt. Ich brauche nicht über künstliche Intelligenz zu sprechen, wenn ich meine Multi-Attribut- Kundensegmentierung oder meine automatische Lead-Qualifizierung nicht etabliert habe. Die Gefahr: abermals einem „heiligen Gral“ hinterherzulaufen, ohne dass die grundlegenden Anwendungsvoraussetzungen geschaffen worden sind.
GÖTTERT: Wenn die Digital Foundation aber erst einmal geschaffen ist, kann der Konsument technologisch gesehen wie ein IoT-Device eingebunden werden. Er liefert Werte, die ich prozessual verarbeiten kann. Wenn das soweit ist, gewinnen Marketers für ihre Arbeit nicht nur an Effizienz sondern erhalten auch neue Möglichkeiten zur Einflussnahme.
Wie könnten vor diesem Hintergrund neue digitale Marketing-Strategien aussehen?
STRAUß: Fakt ist: Ich muss die Entwicklung zum digitalen Marketing mit dem bestehenden Personal stemmen und gleichzeitig die laufenden Projekte weiter vorantreiben.
GÖTTERT: Dabei darf ich nicht jedem Hype hinterherrennen, aber ich muss schauen, wie ich die Generationen Z und Y heute, aber vor allem in Zukunft erreiche. Dazu müssen neue Prozesse gestaltet und Organisation verändert werden. Junge, kreative Kräfte sind dabei sehr wichtig, die wissen, mit welchen technischen Instrumenten ich was machen kann. Ich brauche jemanden, der sich mit Themen wie künstlicher Intelligenz, Machine Learning, Internet of Things sowie Bots beschäftigt und herausfindet, was diese Technologien können. Strauß: Für die eigentliche Fleißarbeit, also für die anschließende Arbeit an den Prozessen, benötige ich dann wiederum erfahrene Projektleiter. Sie wissen, wie sie eine Applikationslandschaft und eine Business Architektur in Einklang bringen. Dafür brauche ich keinen „Jugend forscht-Club“ (lacht).
Sie haben die Stichworte, die im Marketing der Zukunft eine Rolle spielen könnten, bereits genannt: künstliche Intelligenz, Machine Learning und Bots. Wo ist der Einsatz dieser Technologien fruchtbar?
STRAUß: Ich kann mit künstlicher Intelligenz Daten anreichern, also Predictive Analytics auf die nächste Stufe heben. In Service-Szenarien kann ich Kundenanfragen in Echtzeit beantworten lassen. Und beim Social-Media- Monitoring kann ich mit künstlicher Intelligenz Sentiment- Analysen machen, die ganze Absätze analysieren und nicht nur einzelne Wörter. Es gibt zahlreiche Anwendungsszenarien. Doch ohne konsolidierte Datenbanken bleiben auch sie Zukunftsmusik.
GÖTTERT: Das stimmt. Deshalb ist künstliche Intelligenz auch nichts, was sofort bei der Marketing- Entwicklung weiterhilft. Sie wird langfristig helfen, um aus Daten Services zu schaffen, mit denen Unternehmen heute noch fremdeln. Mit künstlicher Intelligenz erhalte ich nicht nur das Instrument, um Kunden personalisiert und in einem Kontext anzusprechen. Ich werde ihm suggerieren können, dass das, was er jetzt tut, und was weitestgehend durch KI initiiert und gesteuert wurde, sein eigener Wille ist. Problematisch wird es, die Grenzen auszuloten. Es wird zur großen Herausforderung, den Bogen nicht zu überspannen. Kognition ist nun mal mehr als das Verarbeiten von Informationen.
Könnte künstliche Intelligenz zum Beispiel Influencer-Marketing ersetzen?
STRAUß: Als Mensch habe ich die Tendenz, mich an anderen Menschen zu orientieren. Mit künstlicher Intelligenz könnte ich Influencer noch intelligenter einsetzen und individualisierter ausspielen. Generell würde ich Influencer-Marketing allerdings nicht so hypen. In der Vergangenheit hatten Kunden ebenfalls Menschen wie Justin Bieber oder Brad Pitt, nach denen sie sich ausgerichtet haben. Heute sind es eben Influencer. Einziger Unterschied: Sie sind stärker in Sub-Zielsegmenten unterwegs. Deshalb würde ich Influencer für Sub-Themen nutzen, aber um meine Hausaufgaben für ein digitales Marketing komme ich dennoch nicht herum.
GÖTTERT: Interessant ist Influencer-Marketing jedoch insofern, dass ich Reichweite und Zielgruppen gut steuern und messen kann. Ich weiß, wenn ein Influencer zwei Millionen Follower hat, dass ich diese in der Regel auch erreiche.
Eine andere Methode, auf die schon jetzt verstärkt gesetzt wird, ist Mobile Marketing. Ist das die Zukunft oder ein überholter Trend?
GÖTTERT: Mit Mobile Marketing sind wir näher am Kunden. Viele Tätigkeiten, von der Banküberweisung bis zum Einkaufen, verlagern wir immer mehr „on the go“. Dabei nutzen wir mobile Endgeräte und sind wieder beim Thema IoT-Device. Ich habe heute schon viele technische Möglichkeiten, genau hier meine Marketing-Konzepte zu erweitern. Von WLAN- Access-Points über Beacon-Technologien bis hin zum Geofencing stehen mir Technologien zur Verfügung, die eine Kundenansprache personalisiert, lokationsbezogen und gegebenenfalls in einem kontextuellen Zusammenhang ermöglichen.
STRAUß: Per se ist Mobile Marketing jedoch ein Trend wie jeder andere. Alle nutzen es, aber es kann sein, dass Mobile Advertising, Website-Entwicklung und Apps wiederum von Spracherkennungs-Systemen überholt werden. Es wird mehr mobile Endgeräte geben, doch die Interfaces werden andere sein. Trotzdem brauche ich marketingseitig Leute, die Content im jeweiligen Kontext sauber definieren und ausspielen können. Und: Umso granularer es wird, desto höher sind auch wieder die Anforderungen an die neuen Prozesse. Mit anderen Worten: ich werde immer feingliedriger in Inhalten und Prozessen.
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