Frau Nagel, im August ist das Zweite Führungspositionen-Gesetz in Kraft getreten. In großen Unternehmen sollen künftig mehr Frauen in Spitzenpositionen arbeiten. Ist damit die Geschlechtergerechtigkeit in Führungsetagen erreicht?
KATJA NAGEL: Wir stehen da doch noch ziemlich am Anfang: Frauen erreichen Führungspositionen nicht automatisch durch Quoten. Das Gesetz unterstützt in meinen Augen eher Formalismen als das Streben nach einem nachhaltigen Umdenken. Wichtiger und zielführender als eine solche Quotenregelung sind die kontinuierliche Verbesserung der Rahmenbedingungen, eine objektive Einstellungspolitik, offene Arbeitsmodelle und das richtige Mindset in unserer Gesellschaft für dieses Thema.
Wo sehen Sie konkret die Vor- und Nachteile der neuen Frauenquote?
Für mich überwiegen da schon eher die Nachteile. Obwohl zahlreiche Studien darauf hindeuten, dass vielfältige Teams bessere Entscheidungen treffen, ist es für viele Unternehmen mehr Pflichterfüllung als alles andere. Damit Diversity wirklich gelebt und in der Unternehmenskultur verankert wird, muss die Pflicht der Überzeugung weichen. Das Managen von Vielfalt in Organisationen muss einen höheren Stellenwert erlangen – mit dem Verständnis, dass diverse Teams leistungsstärker sind, kreativer und vielfältiger in den Lösungsfindungen.
Sie fordern eine „Verbesserung der Rahmenbedingungen“. Was meinen Sie damit?
Bei der Unterstützung von Seiten des Staates gibt es zum Beispiel hinsichtlich der Betreuungsmöglichkeiten für Kinder noch Luft nach oben. Die Lücken stopfen die Frauen, die dafür zu Hause bleiben. Aber auch innerhalb der Unternehmen sind es vor allem die gesellschaftlichen Aspekte, die die Aufstiegschancen von Frauen einschränken.
Inwiefern?
Viele Konzerne sind in ihrer Organisation und Kultur, in ihren Regeln und Normen, noch immer sehr männlich geprägt. Entsprechend orientiert sich die Suche nach Managementgrößen häufig am Paradigma vom starken Mann und der weichen Frau. Diese Vorurteile begleiten eine Organisation ganz unbewusst und prägen das Einstellungsverhalten – und zwar gleichermaßen bei Männern und bei Frauen.
Wo braucht es sonst noch ein Umdenken auf dem Weg zu diverseren Führungsetagen?
Vielen weiblichen Talenten fehlt ein Vorbild. Die wenigen Frauen, die sich auf der Führungsebene bewegen, gefallen sich leider noch zu häufig in der Rolle der Einzelkämpferin und bieten sich nicht als Rollenvorbild an. Unternehmen brauchen aber dringend Frauen in Führungspositionen, die kraftvolle, souveräne und inspirierende Vorbilder sind. Im Übrigen fehlt vielen männlichen Talenten das weibliche Vorbild ebenfalls, um Frauen in Führungspositionen als etwas ganz Selbstverständliches zu begreifen.
Woran liegt es Ihrer Meinung nach, dass Frauen in Führungsetagen bislang so unterrepräsentiert waren?
Viele Frauen trauen sich nach wie vor nicht genug zu. Sie bewerben sich schlicht nicht auf Top-Positionen, trotz bester Qualifikation, haben oft die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zur eigenen Mission erklärt und scheitern am eigenen Anspruch, alles gleichzeitig und im gleichen Umfang machen zu wollen. Doch genau dort sollten sie ansetzen. Nur wer selbst von sich überzeugt ist, kann andere davon überzeugen, dass er oder sie die richtige Person für die Besetzung einer Top-Position ist.
Einige Unternehmen argumentieren, dass sie zwar Frauen für Führungspositionen suchen, aber keine finden. Was denken Sie darüber?
Das mag bei dem ein oder anderen Unternehmen zutreffen und insbesondere in den letzten zwanzig Jahren so gewesen sein, lasse ich aber nicht gerne gelten. Häufig ist es so, dass die einstellenden, meist männlichen Manager am Ende zu oft ihresgleichen suchen und auswählen. Menschen stellen gern Menschen ein, die sie zu verstehen glauben und denen sie vertrauen wollen.
Mit Blick auf die heutige Situation – glauben Sie an einen echten, nachhaltigen Wandel in den deutschen Führungsetagen?
Ich bleibe da optimistisch. Es wird zwar noch eine Weile dauern, aber am Ende werden die meisten Unternehmen die Vorteile gemischter Teams ganz sicher erkennen – und umsetzen.
Katja Nagel ist Gründerin und Inhaberin der Unternehmensberatung cetacea aus München. Sie berät in dieser Funktion Top-Manager und -Managerinnen in Sondersituationen und befasst sich intensiv mit den Chancen und Herausforderungen von Diversity für die Organisationsstruktur von Unternehmen. Sie hat mehr als zwanzig Jahre Erfahrung in Unternehmen und Beratung, insbesondere in den Bereichen Unternehmensentwicklung, Strategie, Marketing und Kommunikation.