Auch nach über 20 Jahren: Die Marke Rammstein strotzt vor Kraft

Im Mai 2019 geht die Kult-Band Rammstein auf ihre Station-Tour, 800.000 Tickets waren in vier Stunden verkauft. Die Server des Ticketshops Eventim brachen unter dem Ansturm zusammen. Zur Marketing-Maschinerie gehört nicht zuletzt ein Merchandise-Universum. Was macht die Marke Rammstein aus?

Wer im nächsten Frühjahr Rammstein live erleben will, muss schon den weiten Weg nach Moskau, St. Petersburg oder Riga auf sich nehmen – alle anderen Termine der großen Europa-Tournee waren nach Vorverkaufsbeginn am 8. November blitzschnell ausverkauft. Die Server des Ticketshops Eventim brachen unter dem Ansturm zusammen, innerhalb von wenigen Stunden waren 800.000 Eintrittskarten abgesetzt, in Deutschland zu Preisen zwischen 55 und 105 Euro. Elf Konzerte gibt es hierzulande, in Gelsenkirchen, München, Dresden, Rostock, Hannover, Berlin und Frankfurt. Sie finden allesamt in großen Arenen statt, für Rammstein ein Novum. „Wer die dramatischen, perfekt inszenierten Liveshows der Band kennt, mag zwar gedacht haben, es ginge nicht mehr größer“, verkündet die Konzertagentur MCT. „Aber bei Rammstein kann man sicher sein, dass die Band auch für diese, nun noch gewaltigeren Bühnen, Außergewöhnliches geplant hat!“

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Die Rammstein-Manie hält also an – oder wird noch größer -, obwohl die Band seit fast zehn Jahren kein reguläres Studioalbum mehr veröffentlicht hat. Die siebte Platte soll aber im Frühjahr kommen, sehnlichst von den Fans erwartet.

Was ist da los? Warum hat die Marke Rammstein immer noch so viel Strahlkraft? Natürlich: Insbesondere die deutschen Musikfans neigen allgemein zur Nibelungen-Treue, wenn sie sich einmal einer Band verschrieben habe, das ist im schnelllebigen, trendorientierten Großbritannien ganz anders. Aber das allein erklärt den Kult um Rammstein nicht, und auch nicht die international mittlerweile über 20 Millionen verkauften Tonträger. Ein Blick auf…

Die Bausteine der Marke Rammstein

Ein echter USP: Rammstein, 1994 in Berlin gegründet, waren von Anfang an unverwechselbar. Deutsche, provokative Texte über sexuellen Missbrauch, Sado-Maso, Inzest, Nekrophilie und Kannibalismus, gesungen mit gruselig gerolltem „r“, dazu harte Rhythmen, eine Mischung aus Heavy Metal und Techno, das war neu. „Tanzmetall“ nannte es die Band selbst, später wurde daraus ein ganzes Genre, die „Neue Deutsche Härte“, aber Rammstein blieben immer das Original.

Wirksame Polarisierung: Je lauter in den Medien die Kritik an den vermeintlich gewaltverherrlichenden Texten („Ich tu dir weh“) und den an allen Tabus rüttelnden Videos wurde, desto enger rückten die Fans im Trotz zusammen. So entstand ein sehr starkes Gemeinschaftsgefühl. Der Rammstein-Fanclub heißt LIFAD – die Abkürzung für den Albumtitel „Liebe ist für alle da“, und das gleichnamige Lied, in dem es heißt: „Ich mach’ die Augen zu, wir sind allein. Ich halt’ sie fest und keiner sieht sie weinen. Sie macht die Augen zu, sie wehrt sich nicht. Liebe ist für alle da, auch für mich.“ Entweder man liebt diese Band oder man hasst sie.

Umfassende Markenwelt: Rammstein ist nicht nur eine Musikband. Sie steht mittlerweile für eine komplette Ästhetik, die vor allem in den spektakulären Liveshows mit dem Schwerpunkt auf aufwendiger Pyrotechnik basiert – in den Anfangsjahren zündete sich Sänger Till Lindemann, durch einen Asbestmantel geschützt, sogar auf der Bühne  an. Selbst wer Rammsteins Musik nicht mag, kann bei diesem Gesamtkunstwerk auf seine Kosten kommen.

Konsequente Markenpflege: Natürlich hat sich Rammstein über die Jahre weiterentwickelt – aber behutsam. Wo Rammstein draufsteht, da ist auch Rammstein drin.

Und es gibt ziemlich viele Dinge, auf denen Rammstein draufsteht. Zur Marketing-Maschinerie gehört nicht zuletzt ein Merchandise-Universum. Im Rammstein-Shop kann man ein ganzes Arsenal an gebrandeten Artikeln erstehen, Klamotten, Schuhe, Kappen, Schmuck, Rasierklingen, Frühstücksbretter, Toaster, Wodka und Tequila.

Meister im Social Media Marketing

Rammstein verstehen es zudem, die sozialen Medien einzusetzen. Auf Facebook zählt die Rammstein-Community mittlerweile 8,8 Millionen Fans. Der Youtube-Kanal „Rammstein Official“ verzeichnet 2,5 Millionen Abonnenten. Er lag nach einer Auswertung der Hamburger PR-Agentur Faktenkontor 2017 auf Platz 7 der Youtube-Kanäle mit den meisten Werbeeinnahmen. Immerhin knapp 410.000 Euro sollen Rammstein dort im vergangenen Jahr umgesetzt haben. Eine Case-Study zu den digitalen Aktivitäten rund um den Konzert-Film „Rammstein: Paris“, der 2017 in 46 Ländern veröffentlicht wurde, präsentiert die Berliner Agentur Ease auf ihrer Website (https://www.ease-agency.com/casestudy-rammstein/).  Die Kampagne erreichte 20 Millionen Kontakte.

(kj, Jahrgang 1964), ewiger Soul- und Paul-Weller-Fan, hat schon für Tageszeitungen und Stadtmagazine gearbeitet, Bücher über Jugendkultur und das Frankfurter Bahnhofsviertel geschrieben und eine eigene PR-Agentur betrieben. 1999 zog es ihn aus dem Ruhrgebiet nach Frankfurt, wo er seitdem über Marketing-, Medien- und Internetthemen schreibt, zunächst als Ressortleiter bei „Horizont“, seit 2008 als freier Journalist und Autor. In der Woche meist online, am Wochenende im Schrebergarten.