Auch Branding ist mausetot

Marketing als Denkhaltung des gesamten Unternehmens ist mausetot, lautete eine meiner Kolumnen. Nicht jedem hat diese Aussage gefallen. Und doch beweist sie sich selbst in der Realität genauso wie die nächste scheinbare Undenkbarkeit: Branding stirbt den Tod.
Malte W. Wilkes

Drei Aussagen hatte ich gemacht:

(1) MARKETING [ich schreibe es bewusst in Versalien] = ganzheitliche Unternehmensphilosophie, unternehmerische Denkhaltung ist mausetot.

(2) Marketing = Handwerkszeug ist in der Organisation oft fraktioniert und machtarm.

(3) Customer Centricity = das führende Leitsystem zur Unternehmenssteuerung, -strategie wird als Führungs- und Management-Überbau das gesamte Unternehmen nach Kundenprioritäten steuern und damit Marketing als Gesamtunternehmensstrategie „einsaugen“ (weder ablösen, noch das bisherige Marketing ersetzen).

Branding: Mehr Konvention als Erfolgsrealität

Vor diesem Hintergrund haben Customer-Centricity-Experten sich schon lange verwundert die Augen gerieben, dass das Branding einen publizistischen Hype hat und als Vortragsthema – ohne tiefe neue Erkenntnisse – auf Kongressen kaum noch wegzudenken ist.

Das hat etwas damit zu tun, dass die gute alte Technik der Soziologie und Sozialpsychologie, die konkrete Beobachtung, kaum noch angewandt wird und auch evidenz-basierte Studien zu selten Einzug in das Repertoire der Marken-Marktforschung genommen haben. So wird negiert, dass Branding sich auf eine Identifikationswelt stützt, die es so immer weniger gibt. Die Marktdynamik wandelt sich überall zur Handlungswelt. Brand und der Erfolg von Branding basieren somit auf Konvention.

Von der Identifikations- zur Handlungswelt

Kunden denken vieles, aber nicht alles systematisch durch und reagieren in Handlungen. Reale Kundenprozesse sind kleinzellig, auch situativ und selten so grob gestanzt, wie das Branding es postuliert. Der einzelne Kunde ist ein Selbstoptimierer und eine flüchtige, inkonsistente Gestalt mit hochdynamischem Micro-Verhalten. Der Kunde macht kleine Schritte, lässt sich ablenken, vergisst, macht einen Schritt, der mit dem Ausgangspunkt nichts mehr zu tun hat usw. Der Fokus ist nicht der Kaufakt, sondern Reizsituationen im Umfeld, Eingestimmtheit der Person(en), persönliche Erfahrungen.

Diese Aussagen werden weh tun

Wer dieses lange und ernsthaft durchdenkt, wird feststellen, dass sich nicht nur das Marketing drastisch verändern muss. Das Branding ist darin in dem Sinne mausetot, dass es kontraproduktiv das Geld des Unternehmens verbrennt. Oder deutlich zusammengefasst:

• Richtet sich die Mehrheit der Unternehmen (vielleicht etwa 95 Prozent der Anbieter) nach dem Prinzip, die Marke einzigartig zu initiieren, dann verschwendet sie ihr Geld.

• Marketing muss sich von der angestrebten Identifikation des Kunden durch Markenführung entfernen und sich nahe an den Micro-Kundenprozessen bewegen.

• Es gibt starke Marken, meistens sind sie aber durch Handlungen der Kunden entstanden und weniger durch gewitzte Auftritte: Handlung bewirkt Marke und nicht Marke bewirkt Handlung.

• Marken können selbst bei Prestigemarken mit klassischer Kommunikation allenfalls noch am Leben gehalten werden – Kundenhandlung greift tiefer als Kommunikation.

• In dem Maße, in dem die Faktoren der Kundensituationen (BtoB oder BtoC) überhandnehmen, tritt die Wirkung eines Brands zurück.

• Der Brand als Handlungsergebnis eigener Erfahrungen spielt nach wie vor eine Rolle, aber das Branding hat wohl zum Gutteil ausgedient.

Wie schön, wenn man mit seinen Marktbeobachtungen, Erkenntnissen und Schlüssen nicht alleine steht. Denn die sechs Formulierungen, die Markenleuten wehtun werden, sind allesamt im Kern aus dem brandneuen Buch „Reales Marketing“ von Marc Rutschmann und Christian Belz.

Sie passen nahtlos in die Einzelkundenbetrachtung des Customer Centricity. Weil der Kunde niemals Durchschnitt ist – auch kein Markendurchschnitt.

Über den Autor: Malte W. Wilkes ist Seniorpartner der Management Consultancy Erfolgsketten Management Wilkes Stange GbR in Hamburg, Redner, Moderator, Diskutant, zigfacher Buchautor, Pionierexperte in Customer Centricity sowie Ehrenpräsident des BDU Bundesverband Deutscher Unternehmensberater. www.maltewilkes.de