Angebot und Nachfrage

SAP verschärft den Ton, Stepstone-Studie zeigt Wechselwünsche der Arbeitnehmenden und Sarah Hoare spricht über Haltungskommunikation.
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73 Prozent der Arbeitnehmer*innen denkt „mindestens einmal im Monat“ über einen Jobwechsel nach. (© Adobe Stock)

Selten wurden die Unterschiede zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmermarkt so deutlich wie in diesen Tagen. Unternehmen, die händeringend neue Leute suchen, überbieten sich mit Benefits aller Art. Jene Arbeitgebende aber, die gerade eher zu viele Menschen auf der Pay Roll haben, ziehen die Schrauben wieder an. Schön zu sehen ist das beispielsweise bei SAP. Eine Studie von Stepstone kommt da wie gerufen, denn sie zeigt, dass die Wechselbereitschaft von Arbeitnehmenden in diesem Jahr so hoch wie nie liegt. So hoch wie nie ist derzeit auch der Anspruch an eine klare politische Haltung von Unternehmen. Darüber habe ich deshalb mit Beraterin Sarah Hoare gesprochen.

Doch der Reihe nach. SAP macht als Arbeitgeber in den vergangenen Wochen immer wieder von sich reden. Erst kündigte der Konzern einen ziemlich deutlichen Stellenabbau an, dann verabschiedete er sich von einem bereits angekündigten Angebot eines extra Vaterschaftsurlaub für seine Mitarbeiter, und vor ein paar Tagen kassierte CEO Christian Klein in einem SZ-Interview nun weitere Nettigkeiten. „Ich könnte natürlich sagen, wir machen 100 Prozent Home-Office, wir machen kein Performance-Feedback, jeder bekommt das gleiche Gehalt. Aber davon hätte ich nichts, und auch die SAP nicht“, so Klein.

Wenn alle sich gegenseitig auf die Schulter klopften, bringe das aber niemanden weiter. Sollte Klein sich damit als harter Durchgreifer positionieren wollen, ist das natürlich legitim. Mich verwundert allerdings, die muntere Mischung, die Klein da aufzeigt. Denn was 100 Prozent Home Office, gleiches Gehalt für alle, Schulterklopfen für jeden und Feedback-Verzicht für immer gemeinsam haben, ist mir ehrlicherweise schleierhaft. Ein bisschen mehr Differenzierung täte an dieser Stelle sicher gut. Aber wie gesagt: SAP will derzeit ja den einen oder anderen Mitarbeitenden offenbar loswerden, da kann man auch mal einen öffentlichen Rundumschlag wagen.

Jobwechsel? Gerne

Ob Stepstone für seine neue Studie auch SAP-Mitarbeitende befragt hat, ist mir leider nicht bekannt. Deutlich sind die neuen Zahlen aber auf jeden Fall. Denn laut Studie denken 73 Prozent der Befragten „mindestens einmal im Monat“ über einen Jobwechsel nach. Im vergangenen Jahr lag dieser Wert noch bei 64 Prozent. Die wichtigsten Gründe für einen Wechsel sind der Wunsch nach höherem Gehalt (35 Prozent), Unzufriedenheit mit der Tätigkeit (34 Prozent) und zu viel Stress (33 Prozent).

Ein attraktiveres Angebot eines anderen Arbeitgebers liegt indes mit 26 Prozent ziemlich weit hinten auf der Wechselwunschliste. Böse Zungen könnten nun den Schluss ziehen: Solange die Konkurrenz nur selten Besseres bietet, kann Arbeitgebenden die Wechselwilligkeit der eigenen Leute herzlich egal sein. Tobias Zimmermann, Arbeitsmarktexperte von The Stepstone Group, aber formuliert es in der Studie lieber so: „Jobwechsel gehören für immer mehr Menschen zum normalen Arbeitsleben. Der Grund liegt auf der Hand: Die Arbeiterlosigkeit ist fest in unserem Jobmarkt angekommen. Der Arbeitnehmermarkt hat eine neue Dimension erreicht.“ Nun ja.

Und für alle, die sich tatsächlich ernsthaft um Arbeitnehmende bemühen wollen oder müssen, hier noch die laut Studie wichtigsten Faktoren, die Jobsuchende bei der Wahl des passenden Arbeitgebers zugrunde legen: Urlaubstage (70 Prozent), Gehalt (66 Prozent) und Jobsicherheit (63 Prozent), gefolgt von einer sinnhaften Tätigkeit (58 Prozent) und interessanten Arbeitsinhalten (55 Prozent)

„Haltungskommunikation macht man nicht mal zwischendurch“

Sarah Hoare ist Associate Director bei Advice Partners. In einem Gastbeitrag hat sie kürzlich sinngemäß geschrieben, dass es Neutralität für Unternehmen und Organisationen in der heutigen Zeit nicht mehr geben könne. Das finde ich spannend und habe deshalb nochmal bei ihr nachgefragt. Hier ihre Antworten.

Warum können Unternehmen und Organisationen heute nicht mehr neutral sein?

„In den vergangenen Monaten und Jahren ist einfach zu viel passiert. Neutralität impliziert ja, sich für keine Seite zu entscheiden, also unparteiisch zu sein, manchmal liest man gar den Begriff „wertfrei“. Doch wie kann ein Unternehmen beispielsweise in einer aufgeheizten Stimmung wie Anfang des Jahres überzeugend dafür argumentieren, sich neutral, unparteiisch oder gar wertfrei zu verhalten? Ich glaube, es funktioniert schon seit einigen Jahren nicht mehr, sich auf Neutralität zu berufen – weder intern noch extern. Viele Unternehmen und Organisationen hatten einfach nur Glück, dass ihnen die Gretchenfrage noch nicht gestellt wurde, und sei es von ihren eigenen Mitarbeitenden.“

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Sarah Hoare ist Associate Director bei Advice Partners (Credit: Die Hoffotografen GmbH).

Lange schon ringen Unternehmen um Themen wie etwa Diversität und Gendersprache. Erst in jüngerer Zeit aber geht es vielen auch um politische Haltung. Was raten Sie: Finger weg von allzu deutlicher politischer Haltung?

„Mit Blick nach innen gibt es aus arbeitsrechtlicher Sicht eine klare rote Linie: Auf Mitarbeitende darf kein Druck ausgeübt werden, eine bestimmte Partei zu wählen oder nicht zu wählen. Öffentliche Arbeitgeber dürfen gar keine Wahlempfehlungen aussprechen. Aus meiner Sicht gibt es davon abgesehen selten ein zu viel an Haltung, insbesondere im Hinblick auf die positiv formulierte Frage: Wofür stehen wir? Entscheidend ist, wovon ein Unternehmen diese Haltung ableitet, wie glaubwürdig, authentisch und überzeugend die Argumentation aufgesetzt wurde und letztlich, ob die Fahne auch bei Gegenwind hochgehalten wird. Das ist hundertmal souveräner als ein bisschen Haltungskommunikation hier und da.“

Was macht es mit der Arbeits- und Unternehmenskultur, wenn sich Unternehmen und Organisationen zu einer klaren politischen Haltung bekennen?

„Gesellschaftspolitische Diskurse nutzen der Unternehmenskultur immer. Denn wenn es Konflikte oder gar Gräben in der Belegschaft gibt, dann gab es die auch vor dem Diskurs schon – nur dass man sie nun kennt und in die Konfliktlösung gehen kann. Strategische interne Kommunikation wird immer einen und nicht spalten. Auch bei härteren Haltungsthemen schaffen ein strukturierter interner Diskurs und eine durchdachte Argumentation, wenn nicht stärkeren Zusammenhalt, so doch zumindest klare Verhältnisse. Alle Beschäftigten haben dann die Chance, sich ebenfalls dazu zu verhalten und ihre Schlüsse daraus zu ziehen. Und übrigens ist politisch nicht gleichzusetzen mit parteipolitisch. Eine politische Haltung erwächst aus Werten, nicht aus Parteipräferenzen.“

Wie sollte man umgehen mit Mitarbeitenden, die eine bestimmte politische Haltung des Arbeitgebers nicht mittragen wollen?

„Wenn sich eine Unternehmensführung für Toleranz und Vielfalt bekennen möchte, egal ob intern oder extern, und es Mitarbeitende gibt, die diese Werte nicht mittragen, kann man diese Stimmen zwar registrieren, aber sie sollten kein Grund für die Aufweichung der eigenen Haltung sein. Durchregieren meint hier, gerade mit Blick auf vulnerable Gruppen und Minderheiten im Unternehmen, an einer Strategie festzuhalten, die das Zusammengehörigkeitsgefühl stärkt. Gleichzeitig herrscht auch in Unternehmen freie Meinungsäußerung und manche Kommentare, Posts und E-Mails wird man aushalten müssen. Anders sieht es aus bei arbeitsrechtlich relevanten Vergehen, die konsequent verfolgt werden müssen.“

Sie verorten Haltungskommunikation im Spannungsfeld zwischen Gratismut, Übergriffigkeit und Belanglosigkeit. Was genau meinen Sie damit?

„Haltungskommunikation macht man nicht mal zwischendurch. Es gibt Dinge, die beachtet werden müssen. Wenn ein Unternehmen einmalig an einer Kampagne gegen rechts teilnimmt, ist das eine Sache. Wenn es sich damit brüstet und öffentlich damit hausieren geht, kann es schnell in die Gratismut-Falle tappen. Denn das Unternehmen muss keine Konsequenzen für sein Verhalten in Kauf nehmen – es ist Teil einer großen Gruppe. Wenn ein Unternehmen zu viel will und seinen Mitarbeitenden zu viel abverlangt, und beispielsweise Wahlempfehlungen ausspricht, wird das von vielen als übergriffig empfunden werden. Und wenn es zu wenig will, generische Botschaften zu einem Thema sendet mit wenig Bezug zum eigenen Unternehmen und den Mitarbeitenden, wird die Haltungskommunikation belanglos. Dann kann man es (fast) auch sein lassen. Das positive Gegenstück ist eine Haltungskommunikation, die souverän, authentisch und angemessen ist, weil sie zum Unternehmen passt.“

Soweit die Einschätzung von Beraterin Hoare. Und weil das Thema Haltung gerade angesichts der vielen bevorstehenden Wahlen in diesem und in anderen Ländern ein ziemlich ernstes ist, verzichte ich heute auf eine leichte Nachricht zum Schluss.

In diesem Sinne: Eine souveräne Woche und bleiben Sie gut drauf.

ist seit mehr als 20 Jahren Journalistin, spezialisiert auf Marketing, Medien, New Work und Diversity. Sie war stellvertretende Chefredakteurin bei “Horizont”, schreibt seit 2014 als freie Autorin für diverse Wirtschafts- und Fachmedien und liebt es, als Dozentin für Fachjournalismus und Kommunikation junge Menschen für die Branche zu begeistern. Privat muss es bei ihr sportlich zugehen – am besten beim Windsurfen oder Snowboarden.