Von Gastautor Hermann Simon, Simon-Kucher & Partners – Strategy & Marketing Consultants
Anton Wolfgang Graf Faber-Castell war ein Adliger, ein Graf. Und genau wie ihn stelle ich mir einen Adligen, einen Grafen der guten Sorte vor. Hochgewachsen, schlank, was auf hohe Selbstdisziplin, auf Sportlichkeit und ein gesundes Maß an Askese schließen lässt. Seine Ausbildung hat ihn bestens auf die Verantwortung als globaler Unternehmensführer vorbereitet. Jurastudium in Zürich, Management am IMEDE in Lausanne, Arbeit als Investmentbanker in New York und London. 1975 stieg er zunächst in London bei Faber-Castell ein und übernahm bereits ab 1978, im jungen Alter von 37 Jahren, die Unternehmensleitung.
Graf Faber-Castell war rastlos für sein Unternehmen und seine Marke unterwegs. „Wenn es um seine Marke geht, ist der Chef nicht weit“, schrieb die FAZ einmal. Graf Faber-Castell wirkte aber auch darüber hinaus, er hielt Vorträge, er interessierte sich für Kunst, er setzte sich für Nachhaltigkeit ein. Er hatte zahlreiche Ehrenämter inne und erhielt viele Ehrungen. Die Akademie der Bildenden Künste Nürnberg berief ihn zum Ehrensenator. 2008 wurde er zum Ökomanager des Jahres gewählt. Und im Jahre 2010 ehrte ihn die Bundesrepublik Deutschland mit dem Verdienstkreuz 1. Klasse.
Die Marke Faber-Castell und ihr „Hintermann“
2013 verlieh die Gesellschaft zur Erforschung des Markenwesens Faber-Castell den GEM-Award für seine erfolgreiche Arbeit auf dem Gebiet des Markenwesens. Die Marke Faber-Castell und ihr „Hintermann“ erfüllten alle Anforderungen, die Altmeister Hans Domizlaff an große Marken stellt. Qualität, ein Markenkern, der aus dem inneren Kern der Persönlichkeit erwächst, und vor allem Kontinuität.
Graf Faber-Castell führte sein Unternehmen 38 Jahre mit ruhiger Hand und entwickelte die Marke zu einer wahrlich globalen Marke. Das Erbe, das er antrat, war wohl zugleich leicht und schwer. Leicht, weil es ein Vergnügen sein muss, eine solch starke Marke zu übernehmen und in die Zukunft zu führen. Schwer, weil die lange Tradition der Marke Faber-Castell eine Verpflichtung beinhaltet, die mancher als erdrückende Last empfinden und vor der er zurückschrecken würde. Faber-Castell wurde 1761 gegründet und feierte vor fünf Jahren den 250. Geburtstag, ein für Unternehmen mehr als biblisches Alter. Tradition ist ein nicht imitierbarer Marken- und Wettbewerbsvorteil. Und welche Tradition! Bismarck schrieb mit Bleistiften von Faber-Castell. Vincent van Gogh pries ihr „berühmtes Schwarz“ und Max Liebermann nannte sie einfach „die Besten“. Kein Werbebudget kann solche Einzigartigkeit kaufen.
Wie hoch die Marke Faber-Castell trägt, beweist ihre Präsenz im absoluten Luxussegment. Ein Füllfederhalter der streng auf zehn Exemplare limitierten Diamond Edition aus dem Jahr 2012 kostet bei Harrod’s in London 60.000 Britische Pfund, nach aktuellem Wechselkurs sind das rund 79.000 Euro.
Wie schafft man es, mit einem solch scheinbar einfachen Produkt Weltmarktführer zu werden? Letztlich gibt es dafür nur ein Rezept. Der Beste zu sein und das Geschäft weltweit zu betreiben. Der Beste wird und bleibt man nur durch Qualität. Und hier treffen wir bei Faber-Castell auf ein für die Hidden Champions typisches Phänomen, das ich als Tiefe bezeichne. Ich meine damit tiefe Kenntnis, tiefes Commitment, und nicht zuletzt tiefe Fertigung, bis hin zu den Rohstoffen. Nur die tiefe und dauerhafte Beschäftigung mit einem Geschäft führt zu Weltklassekompetenz. Genau diese Weltklassekompetenz in der Wertschöpfung repräsentierte Anton Wolfgang Graf von Faber-Castell.
Faber-Castell ist ein Weltunternehmen
Bereits im Jahre 1849 wurde in den USA die erste Niederlassung errichtet. Graf Faber-Castell hat die Chancen der Globalisierung ab 1978 konsequent und beharrlich genutzt. Faber-Castell ist heute in 23 Ländern mit eigenen Vertriebsgesellschaften präsent und hat Handelsvertretungen in 120 Ländern. Produziert wird an neun Standorten weltweit. Globalisierung ist jedoch nicht nur ein organisatorisches Problem, bei dem es um Produktionsstandorte, Logistik und Vertrieb geht. Was bedeutet Globalisierung eigentlich für die Person an der Spitze? Sie fordert dem Chef ein schier unglaubliches Reisepensum ab. Graf von Faber-Castell zeigte überall in der Welt persönlich Flagge.
Warum ist diese persönliche globale Präsenz so wichtig? Graf Faber-Castell sagte dazu vor einigen Jahren: „Ich habe im Ausland die Erfahrung gemacht, dass es enorm geschätzt wird, wenn der Inhaber sich für die Kunden interessiert. Ich interessiere mich nicht nur lebhaft für unsere Produkte, sondern auch für unsere Kunden. Noch heute besuche ich bei jeder Gelegenheit Schreibwarengeschäfte. Als Unternehmensleiter nah am Kunden zu sein, ist meine Passion.“ Nah am Kunden in Globalia und das mit damals schon über 70 Jahren. Eine Leistung, die höchsten Respekt verdient.
Zum Autor: Hermann Simon ist Gründer und Chairman von Simon-Kucher & Partners. Simon ist Experte für Strategie, Marketing und Pricing.
Gekürzte Laudatio auf Anton Wolfgang Graf Faber-Castell anlässlich der Verleihung des »G·E·M Award 2013« von Prof. Dr. Hermann Simon; Vera Hermes, 25. Januar 2015