„Es ist Wahnsinn.“ Dieser Satz fällt gleich zweimal bei der Recherche für diesen Artikel. Gemeint ist der Arbeitsmarkt für Marketer und alle, die es werden wollen. „Gute Marketer können sich aussuchen, wo sie arbeiten wollen“, sagt Silvia Eggenweiler, Partnerin bei der international tätigen Personalberatung Odgers Berndtson in Frankfurt.
Alle rangeln um dieselben Marketingtalente: Da sind zum einen die hippen Arbeitgebermarken wie Google, Facebook oder Start-ups, zum zweiten etablierte Unternehmen, die dringend gute Leute für den Aufbau ihrer internen Marketingkapazitäten brauchen, und zum dritten die Kreativwirtschaft, die neben klugen Köpfen rund um Text, Grafik und Design auch Nachwuchs aus dem Marketing sucht.
Das Anforderungsprofil ist nicht ohne: Selbstverständlich sollen sich Marketer heute mit Data Analytics, Marketing Automation und digitalen Tools auskennen. Wer seine Ergebnisse nicht messbar macht, hat heute im Marketing kaum noch eine längere Verweildauer.
Nicht viele erfüllen alle Anforderungen
„Die Marketer der bunten Bilder haben ausgedient“, bilanziert Silvia Eggenweiler, die lange im Marketing bei Procter & Gamble tätig war. Ihrer Erfahrung nach sucht keiner mehr nach 08/15-Leuten: Marketingprofis sollen – neben ihrer Daten- und Digitalkompetenz – lokal UND global gearbeitet haben, gern strategisch UND operativ, und als i-Tüpfelchen sollen sie auch noch Vertriebserfahrung mitbringen. Es gibt nicht viele Menschen, die all diese Anforderungen erfüllen. Und sie kommen naturgemäß auch nicht frisch von der Uni, sondern sind in aller Regel mindestens 40 Jahre alt.
Carola Wendt, Chefin der gleichnamigen Personalberatung in Hamburg, bringt die Entwicklung auf den Punkt: „Die eierlegende Wollmilchsau gibt es nicht, denn wir bilden sie noch nicht lange genug aus.“
Die Anforderungen auf Arbeitgeberseite beißen sich in einem weiteren Punkt mit der Realität: Geht es um Führungskräfte, werden Menschen gesucht, die das Marketing ganzheitlich beherrschen. Zugleich aber fächert sich die Disziplin immer weiter auf: „Vor zehn Jahren haben wir einen Social Media Manager gesucht. Heute gibt es zig Unterdisziplinen im Social Media Marketing – von Paid über Content bis zur Strategie“, berichtet Wendt. Die Zahl der Fachkarrieren steigt stetig und das ist verhängnisvoll, denn: Spezialisierung versperrt den Weg zu Top-Positionen.
Auch Generalisten-Know-how gefragt
Auch Tobias Jung, Geschäftsführer der Personalberatung Dwight Cribb in Hamburg, beobachtet die ausufernde Spezialisierung mit Skepsis. „Das technische Set-up und damit auch die Marketingansätze werden immer kleinteiliger. Wenn Sie aber eine Marke insgesamt nach vorne bringen wollen, müssen Sie einen Überblick sowie ein exzellentes Verständnis sowohl von ihrer Komplexität als auch der Diversität ihrer verfügbaren Marketinghebel haben“, sagt der Ex-Chef von TBWA Deutschland. Der gute Rat an den Nachwuchs muss also lauten, immer auch Generalisten-Know-how aufzubauen.
Junge Leute wollen höchste Flexibilität
Womit wir bei den begehrten jungen Leuten wären: Die wollen heute hochflexibel arbeiten. Sie wollen ortsunabhängig arbeiten. Sie wollen Gestaltungsspielraum und eine gute Unternehmenskultur. Sie wollen attraktive Aufgaben und eine gute Bezahlung. Und wenn etwas nicht stimmt, sind sie … weg.
„Die jungen Marketer haben immer mehr Wünsche. Sie machen sich viel früher Gedanken darüber, wie sie ihre Karriere gestalten und ihr Leben leben wollen. Ich finde das gut, denn sie führen ein selbstbestimmtes Leben“, sagt Silvia Eggenweiler. Ihre Erfahrung: Vorgesetzte, die diese Menschen fördern und unterstützen, bekommen viel zurück. Wem es also gelingt, die raren jungen Marketer für sich zu gewinnen, der sollte sie schon im eigenen Interesse gut führen.