„Anderssein soll endlich normal werden“

LGBTQI+-Kommunikation fordert die Unternehmen heraus. Um Haltung und Glaubwürdigkeit zu zeigen, müssen sie vor allem intern ihre Hausaufgaben machen. So die einhellige Meinung von Kommunikationsprofis, die selbst Teil der Community sind.
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Bis LGBTQI+ auch in der Berufswelt an allen Tagen im Jahr eine akzeptierte Selbstverständlichkeit wird, ist es ein langer Weg. (© Stocksy)

Kommunikation mit und für Mitglieder der LGBTQI+-Community ist nicht leicht. „Die meisten Unternehmen haben Angst davor, etwas falsch zu machen, des „Pink­washings“ bezichtigt zu werden und in einen Shitstorm zu geraten“, sagt Christiane Schulz, CEO Edelman Deutschland. In den Gesprächen mit Kunden erkenne sie „deutlich die German Angst“. Viele Unternehmen machten zwar intern schon einiges, hätten jedoch das Gefühl, es sei nicht genug, und wollten dann extern lieber nicht kommunizieren.

Die Edelman-Chefin selbst macht aus ihrer Liebe zu Frauen auch im Business kein Geheimnis, sie sieht sich als Führungskraft sogar in der Pflicht. „CEOs und Führungspersönlichkeiten sind in der Verantwortung, etwas zu bewegen und in ihrem Handeln Haltung zu zeigen“, sagt Schulz. Sei es als Straight Ally (Heterosexuelle, die LGBTQI+-Anliegen öffentlich unterstützen), sei es durch Fördern einer inklusiven Unternehmenskultur, durch aktive Unterstützung der Community oder mit dem eigenen Outing.

LGBTQI+-Community soll in Kommunikation involviert sein

Für Schulz ist die LGBTQI+-Community „eine Iden­titätsgruppe, die für gleiche Rechte kämpft und möchte, dass Anderssein endlich normal wird.“ Dennoch oder gerade deshalb ist es der Edelman-CEO wichtig, dass die queere Community nicht so homogen ist, wie es einige vielleicht meinen. Sie persönlich etwa finde jedes glaubhafte externe Engagement gut, das zu mehr Sichtbarkeit des Themas führt. „Es gibt jedoch andere aus der Community, die in der Tat superkritisch sind und das anders sehen“, so Schulz. Generell sollten Unternehmen oder Marken deshalb bei allem, was sie in dem Bereich tun, sicherstellen, dass jemand aus der Community bei der Entwicklung der Kommunikation involviert ist.

Genau deshalb kommen in diesem Beitrag ausschließlich Branchenprofis zu Wort, die selbst Teil der LGBTQI+-Community sind und damit in Job und Privatleben offen umgehen. In diesen Tagen ist das Zuhören wieder besonders wichtig. Denn im Juni, dem weltweiten ­Pride Month, schmücken erneut Zigtausende Regenbogenflaggen ebenso viele Firmenwebsites, Logos, Social-Media-Profile, TV-Sendungen und Podiumsdiskussionen. Unternehmen werben für mehr Toleranz und Gleich­be­rechtigung in Arbeitswelt und Gesellschaft – und feiern die Vielfalt der queeren Gemeinschaft. So weit, so gut gemeint.

Aber reicht das? Und ist das überhaupt der rich­tige Weg? Wie schmal ist der Grat zwischen relevantem Engagement und dem Vorwurf des Rainbow Washing?

Pride-Kommunikation muss nachhaltig sein

Marcus Prosch, lange Zeit Leiter Kommunikation Sales & Digital bei ProSiebenSat.1 Media und seit 2019 selbstständig mit der PR-Agentur Prosch Communications, findet: „Natürlich ist das Engagement von Unternehmen im Rahmen der ­Pride Season zunächst einmal begrüßenswert, denn es schafft Aufmerksamkeit für die Belange der queeren Community.“ Allerdings: Wer sich mit dem Regenbogen schmücke, gehe auch eine Verpflichtung ein und trage der queeren Community gegenüber Verantwortung. Prosch sagt: „Glaubwürdig ist das Einfärben von Logos und Produkten in den Spektralfarben nur dann, wenn sich Unternehmen das ganze Jahr über für die LGBTQI+-Community und ihre Belange einsetzen. Mein größter Kritikpunkt ist, dass die meisten Werbe- und PR-Maßnahmen nach der CSD-Saison genauso schnell wieder verschwinden wie der Regenbogen vom Himmel.“

Prosch wünscht sich zudem mehr Vielfalt in der LGBTQI+-Kommunikation. „Bitte nicht noch mehr Dragqueens“, so der Agenturchef. Natürlich sei es völlig in Ordnung, wenn Unternehmen die queere Community in ihrer Kommunikation mit Dragqueens ansprächen. Nur gebe es davon mittlerweile schlicht zu viele. Außerdem: „Queer ist viel breiter als das“, so Prosch. Deshalb sei es falsch, Schwulsein immer wieder mit Dragqueens gleichzusetzen. Stattdessen sollten Unternehmen lieber öfter schwule Paare in der Kommunikation zeigen.

Viele erfahren Diskriminierung am Arbeitsplatz

Ein weiterer Kritikpunkt von Prosch ist, dass viele international agierende Unternehmen ihr Engagement „auf westlich-liberale Gesellschaften beschränken, weil es ihnen anderswo offensichtlich zu heikel ist, Flagge zu zeigen“. Dabei hätte die Community gerade in solchen Ländern den Support von Wirt­schafts­unternehmen bitter nötig, zumal er dort auch von der Politik ausbliebe.

Für Prosch selbst spielte das Outing im Job nach eigenem Bekunden übrigens keine Rolle. Bei ProSiebenSat.1 Media war er, wie er selbst sagt, in einem „sehr gay entspannten Konzern“ tätig. Prosch: „Ganz ehrlich: In der Medienbranche interessiert das doch keinen.“

So weit sind aber längst nicht alle – weder Unternehmen noch Menschen. Bis LGBTQI+ auch in der Berufswelt an allen Tagen im Jahr eine akzeptierte Selbstverständlichkeit wird, ist es ein langer Weg. Noch immer gehört Diskriminierung am Arbeitsplatz für viele Menschen der Community zum Alltag. Laut einer Studie des DIW haben rund 30 Prozent der queeren Menschen bereits Diskriminierung im Job erfahren müssen. Ähnlich viele, knapp 33 Prozent, entscheiden sich deshalb dafür, am Arbeits­platz auf ein Outing zu verzichten, und nehmen stattdes­sen ein erzwungenes Doppelleben in Kauf.

Der offene Dialog mit Mitarbeitenden ist essenziell

„Gelebte Diversity ist kein Hygiene­faktor und auch kein Marketing-Tool“, sagt Edelman-Chefin Schulz. Aus vielen Gründen müssten Unternehmen heute aktiv werden. „Weil sie Verantwortung als Arbeitge­ben­de tragen und als wirtschaftliche Akteure in unserer Gesellschaft. Und weil sie im viel zitierten War for Talents vor allem von jüngeren Generationen mit Fragen nach Werten wie Toleranz und Gleichbe­rechtigung immer vehementer konfrontiert werden“, so Schulz. Sie ist überzeugt, dass Arbeitgebende durch gelebte Haltung, wie auch bei der echten Unterstützung der LGBTQI+-Community, im War for Talents nur profitieren könnten.

Werte entstehen von innen nach außen.

Frank Van De Koppel, Strategy Director Rethink

Fragt man Frank Van De Koppel, Strategy Director bei der Social-Media-Agentur Rethink und offen schwul lebend, nach den Do’s und Don’ts der LGBTQI+-Kommunikation, gibt auch er den Rat, zunächst das eigene Haus zu bestellen: „Werte und authentischer Wandel entstehen von innen nach außen. Marken müssen deshalb zunächst intern Fortschritte in Bezug auf Richtlinien, Kultur, Akzeptanz, Sicherheit, Inklusion, Vielfalt und Marketing- sowie Kommunikations­richtlinien erzielen.“ Erst dann sollten Unternehmen der Außenwelt mitteilen, wie wichtig ihnen die LGBTQI+-Community ist. „Die eigenen Fortschritte zu kommunizieren, ist dann eine sehr authentische und effektive Möglichkeit, die Marke zu stärken und gleichzeitig Wert zu schaffen“, so Van De Koppel.

Auch deshalb kommt statt der externen Kommunikation beim Zugang auf die Community vor allem der internen Kommunikation eine wachsende Bedeutung zu. Denn der offene Dialog mit den Mitarbeitenden ist essenziell beim Aufbau von Transparenz und Vertrauen. Für Edelman-Managerin Schulz liegen hier große Chancen für Unternehmen auch in der LGBTQI+-Kommunikation. 76 Prozent der im Edelman Trust Barometer 2023 befragten Arbeitnehmenden vertrauen ihren eigenen Arbeitgebenden. Das sei ein Vertrauensvorschuss, dessen sich jedes Unternehmen bewusst sein sollte, glaubt Schulz.

Erfahrung hilft

Fazit: Unternehmen, die LGBTQI+-Engagement im eigenen Haus glaubhaft leben und dies vertrauensvoll und transparent kommunizieren, haben schon mal vieles richtig gemacht. Und für alles weitere schadet es nicht, externen Rat einzuholen. Social-Media-Experte Van De Koppel: „Sehr wichtig ist es, spezifische Begriffe richtig zu verwenden. Subkultur-Referenzen dürfen nicht aus dem Kontext gerissen werden.“ Marken sollten sich deshalb kontinuierlich weiterbilden, um zu wissen, wovon sie sprechen. Und im Zweifel sollte man sich Rat für die externe Kommunikation bei Agenturen suchen, die in LGBTQI+-Marketing erfahren sind. Van De Koppel: „Erfahrung hilft in diesem Bereich tatsächlich.“

ist seit mehr als 20 Jahren Journalistin, spezialisiert auf Marketing, Medien, New Work und Diversity. Sie war stellvertretende Chefredakteurin bei “Horizont”, schreibt seit 2014 als freie Autorin für diverse Wirtschafts- und Fachmedien und liebt es, als Dozentin für Fachjournalismus und Kommunikation junge Menschen für die Branche zu begeistern. Privat muss es bei ihr sportlich zugehen – am besten beim Windsurfen oder Snowboarden.