Rückkehr zur vermeintlichen Normalität in China, weitgehende Quarantäne in Italien, erste Anzeichen von panischen Reaktionen in Deutschland: Die Corona-Krise äußert sich derzeit weltweit in unterschiedlichsten Formen.
Das Marktforschungsinstitut Concept M Research + Consulting hat in der ersten globalen psychologischen Studie in den Ländern China, Italien, Deutschland und USA untersucht, welche emotionalen Auswirkungen die Corona-Krise mit sich bringt. Die Anfang März durchgeführte, auf Tiefeninterviews mit Konsumenten in Peking, Rom, Berlin, Köln und New York basierende Studie ist zu folgendem zentralen Ergebnis gekommen: Weltweit folge der Umgang mit der Pandemie den gleichen Mustern im Rahmen von fünf Phasen (detaillierte Beschreibungen der Phasen lesen Sie weiter unten):
- Inkubation
- Panik
- Isolation
- Neubesinnung
- Normalisierung
Coronavirus: In welcher Phase ist Deutschland?
Die unterschiedlichen Länder stehen – abhängig vom Erstauftreten der Infektion – an unterschiedlichen Stellen des Trauma-Prozesses. Stand Anfang März habe China den gesamten Phasen-Zyklus laut Concept M bereits fast durchschritten und steuert auf eine Normalisierung zu. Italien befinde sich in der Phase Drei „Isolation und Depression“. Deutschland steuere von der zweiten Phase „Panik und Agieren“ auf die Phase Drei „Isolation“ zu. Die USA bewegen sich laut den Forschern in extrem schnellem Tempo von der ersten Phase „Inkubation“ in die Phase Zwei „Panik und Agieren“ sowie in Teilen des Landes bereits in Phase Drei „Isolation“.
Der weitere Ausblick für den Prozess der Traumabearbeitung hängt laut Concept M im Wesentlichen von dem Eigenleben der Virus-Pandemie ab. Das heißt: Im positiven Fall wird sich die Normalisierung in China fortsetzen und bei Abklingen der Pandemie in Italien bald einsetzen. Und im Worst Case kommt es ab Frühsommer zu einem Wieder-Aufflackern der Pandemie in beiden Ländern. Dann könnte der Phasenzyklus von vorne losgehen.
Psychologische Entlastung für Deutschland
Der Ländervergleich zeichnet gemäß der Studie von Concept M eine entlastende Perspektive für Deutschland auf, denn er gebe einen Überblick, wie sich die weitere psychologische Befindlichkeit hierzulande aller Voraussicht nach entwickeln wird. Dirk Ziems, Managing Partner von Concept M, beschreibt die aktuelle Lage wie folgt: „Für die nächsten vier bis fünf Wochen ist mit einer Zuspitzung zu rechnen. Es wird weiter Panik und Depression vorherrschen. Zugleich kann das Verständnis dafür weiterhelfen, welche Werte in der Panik- und Isolationsphase in China und Italien erfolgreich waren und sind: schonungslose Transparenz, besonnene und entschlossene Entscheidungskonsequenz, diszipliniertes Durchhaltevermögen, Offenheit für neue Perspektiven wie die Wiederentdeckung solidarischer Werte und das Bewusstsein, in einer globalen Schicksalsgemeinschaft zusammengeschweißt zu sein und gemeinsam bestehen zu können.“
Das Coronavirus und die konkreten Auswirkungen auf den Konsum
Klar ist: Das Konsumklima ist durch die Corona-Krise nachhaltig beeinflusst. Die Beeinträchtigungen fallen dabei in den unterschiedlichen Phasen der kulturellen Infizierung ganz unterschiedlich aus, wie die Studie von Concept M zeigt.
So stehen in der Panik-Phase Hamsterkäufe von haltbaren Lebensmitteln, Hygieneartikeln und Putz- und Desinfektionsmitteln im Mittelpunkt. Die Nachfrage nach Anschaffungen wie Automobile, Möbel oder teure Elektronik geht erwartungsgemäß zurück. Ebenso besteht weniger Bedarf für Mode und Beauty-Produkte: „Wer braucht sich für die Krise noch hübsch zu machen?“, fragt Autor Ziems. In der Phase der Isolation steige derweil der Medienkonsum beträchtlich. Netflix mache aktuell in Italien Rekordumsätze, und in China werde im Online-Gaming die Community aktiviert. Darüber hinaus wird E-Commerce zur wichtigeren Bezugsquelle.
Die fünf Phasen im Detail
Die psychologische Infizierung der Kultur mit dem Coronavirus ist laut Concept M wie ein Erkrankungsgeschehen zu verstehen, das in einer Abfolge von Phasen verläuft.
Phase 1: Inkubation – zwischen Erregung und Bagatellisierung
Im Erleben der Menschen hat die Corona-Epidemie zunächst als weit entferntes Medienthema stattgefunden. Die Einschätzungen zur Corona-Krise haben ständig geschwankt zwischen „Es wird alles viel zu leichtgenommen“ vs. „alles aufgebauscht und übertrieben“. Die Unfassbarkeit des Virus und seine Eigenheit, infektiös zu sein ohne sichtbare Krankheitszeichen, führen zur Ausbildung einer gespaltenen, fundamental verunsicherten Wahrnehmung: Die Gefahr ist weit weg und gleichzeitig schon mitten unter uns. Der schwelende Zustand der Inkubation hat in den Medien, in den Gesprächen untereinander und in den eigenen Gedanken immer mehr Raum eingenommen.
Phase 2: Panik und Agieren – Einsetzen von Kampf-Flucht Reflexen
Die schwelende Unruhe ist regelmäßig in Anflüge von Panik übergegangen, wenn erste Fälle das direkte lokale Umfeld erreichen, was in den Ländern sukzessive zwischen Mitte Januar und Ende Februar eintrat. Die Panik entspricht dem Rückfall auf Kampf-Flucht-Reflexe. Angst und Angststarre schlagen ständig in Ausagieren um.
Der Umgang mit der latenten Panik unterscheidet sich auf individueller und gesellschaftlicher Ebene in drei Formen: (1) Massives Ausagieren in Zwängen, Hamsterkäufen und Meidungsverhalten. (2) Wirtschaftliche Existenzängste schlagen um in Kurzschlussreaktionen (siehe Börsencrashs). (3) Panik nicht an sich ranlassen und duldsam aussitzen.
Phase 3: Isolation und Depression – zwischen Distanzgewinn und Ungewissheit
Das letzte Mittel gegen die komplett unkontrollierte Ausbreitung des Virus ist die soziale Distanzierung. Es gelingt, die Infektion zumindest zu verlangsamen, wenn einzelne Personen beziehungsweise Familien konsequent zu Hause bleiben. In China wird die Isolation durch den Staat gezielt mit digitaler Überwachungstechnologie organisiert, etwa mit Chip-Karten, die für den Zugang zu und Ausgang aus Apartment-Blocks erforderlich sind.
In den Interviews zeigen sich gemischte Reaktionen auf die staatlich angeordnete Isolation. Die häusliche Isolation wird als Übergang in den manifesten Krisen- und Kriegszustand erlebt. Man geht gewissermaßen in den Bunker und wartet ab, bis der Sturm beziehungsweise Angriff vorbei ist. Mit dem Rückzug ergreift man endlich konsequente Maßnahmen und kommt aus dem Panik-Modus heraus. Zugleich berichten die chinesischen und italienischen Testpersonen, dass die soziale Isolation bei fortbestehender Ungewissheit stark belastend ist.
Phase 4: Neubesinnung – unerwartete Freiräume und neue Perspektiven
Zugleich bietet die unfreiwillige Auszeit vom bisherigen sozialen Alltagsbetrieb neue Freiräume und Spielräume. Die Ruhe und Entschleunigung in den eigenen vier Wänden ist wohltuend. Familien rücken enger zusammen und stellen fest, dass man das erste Mal seit Jahren wieder „tiefe Gespräche“ führt. Aus China wird berichtet, dass man in der erzwungenen Home-Office-Situation erstmals eine neue Selbstständigkeit gegenüber seinem Arbeitgeber einübt. Während man bislang im Großraumbüro daran gewöhnt ist, dass der Chef alle halbe Stunde über die Schulter guckt, übernimmt man jetzt die Verantwortung für den eigenen Arbeitsfortschritt.
In lahm gelegten Kleinunternehmen, die von der einsetzenden Corona-Rezession betroffen sind, nutzt man die Zwangspause für liegengebliebene Inventuren oder das Überdenken der eigenen Geschäftsstrategie.
Phase 5: Erholung und Normalisierung – erleichternder Neubeginn
Bisher ist nur in China die Phase der Wiederherstellung erreicht. Nach dem Rückgang der Fallzahlen und der gelungenen Eindämmung der Pandemie kehren die Menschen auf die Straßen zurück und nehmen wieder am Alltagsaustausch teil. Die Wiederherstellung des normalen Betriebs geht nicht reibungslos vonstatten. Geschäftsverbindungen sind unterbrochen, im Lehrstoff der Schule klaffen Lücken. Dennoch herrscht in China aktuell Erleichterung. Das Schlimmste scheint überwunden zu sein. Der Rückweg zur Normalität ist frei.
Concept M Research + Consulting ist eine globale Forschungs- und Beratungsagentur, die für internationale Unternehmen aus verschiedenen Branchen sowie für öffentliche Träger und NGOs tiefenpsychologisch basierte Insight-Forschung durchführt. Die vorliegende Studie wurde von einem Forscherteam in Peking, Rom, Berlin, Köln und New York auf Basis von Desk-Research und von zweistündigen Tiefeninterviews mit Konsumenten aus verschiedenen Alters- und Bildungsschichten erstellt.