Kleidung bestellen war bei Amazon bisher, nun ja, zum Teil etwas nervig. Bekam man doch manches Teil einzeln vom jeweiligen Händler zugesandt und musste es dann mühevoll an diesen zurücksenden. Das will der Handelsriese jetzt ändern und testet in den USA „Prime Wardrobe“ – eine Box, die alle im Netz ausgewählten Kleidungsstücke enthält. Ab drei Artikeln ist der Spaß kostenlos, bezahlt wird nur, was behalten wird. Beim Kauf mehrerer Stücke lockt Amazon zusätzlich mit Rabatten.
Erst Lebensmittel, jetzt Textilien
Erst vor Kurzem sorgte Amazon noch mit der Übernahme der Bio-Kette Whole Foods für Unruhe in der Lebensmittelbranche – jetzt wühlt Amazon also auch noch den Textil-Markt auf. Prime Wardrobe startet zwar derzeit erst als Beta-Version in den USA, ob der Service zu uns kommt, ist noch unklar. Dennoch fragt man sich unweigerlich: Was, wenn es Amazon es tatsächlich tut? Als Amazon seinen Frischedienst Amazon Fresh zuerst in den USA „ausprobierte“, war Experten und Branchenkennern doch ebenfalls schnell klar: Ein Markeintritt in Deutschland kann nicht mehr in weiter Ferne liegen. Das bewahrheite sich schnell, betrat Amazon Fresh zuerst britisches Terrain, um dann im Anschluss in Berlin seine Lager aufzuschlagen. „Amazon Prime Wardrobe startet in den USA zunächst als Beta-Version und wird noch weiterentwickelt. Amazon nennt sowas gerne immer ‚Testphase oder Lernphase‘. Erst das Endprodukt wird dann auf andere Märkte ausgerollt. Entsprechend ist mit der Etablierung auf dem deutschen Markt nicht vor 2018 zu rechnen“, schätzt Jörg Walbaum, Senior Rating Analyst bei Euler Hermes Rating. Amazon Wardrobe sei aus seiner Sicht aber erst der Anfang und Teil eines „Strategie Puzzles“. Dazu gehöre auch Amazon Echo Look, eine Kamera, die Kunden Stil-Tipps geben soll. „Ich glaube die Endversion ist ein datengetriebener Curated Shopping Ansatz, der künstliche Intelligenz nutzt und auch Daten von Alexa integriert, um Kunden die perfekten Modeprodukte zu empfehlen“, so Walbaum.
Wie bedrohlich ist der „fahrende Kleiderschrank“ für Zalando & Co.?
Sollte Amazon sich zu einem echten Fashion-Berater entwickeln, sollten sich Anbieter wie Zalando und Otto dann schon mal in Deckung begeben? „Amazon zählt ja bereits heute zu den wichtigsten Fashion-Anbietern im Internet. Während Mode bei Amazon zunächst den gleichen Stellenwert wie alle anderen Produkte hatte und auch so verkauft wurde, setzt der Onlineriese mittlerweile auf individuellere Ansätze und arbeitet beispielsweise mit großen Marken und Bloggern zusammen. Wardrobe ist vor diesem Hintergrund die konsequente Weiterführung und ein weiterer Angriff auf den Fashion-Markt“, sagt Kai Hudetz, Geschäftsführer des IFH Köln. Wichtig sei aber vor allem, das Amazon Prime als zentrales Kundenbindungsinstrument weiter aufgeladen und attraktiv ausgestaltet wird. „Andere Fashion-Anbieter haben Amazon mit Sicherheit bereits als Konkurrenten auf dem Schirm“, meint Hudetz.
Seit Jahren ein starker Mitbewerber
Auch Walbaum ist sich sicher, dass Zalando und Otto Amazon längst als starken Mitbewerber, der den Fashionbereich zuletzt deutlich weiterentwickelte, auf dem Radar haben. „Zalando und Otto müssen sich also nicht erst jetzt wegen des Amazon Services Prime Wardrobe fürchten. Amazon ist seit 2002 im Mode- beziehungsweise Fashionbereich aktiv und hat seitdem die Aktivitäten und Sortimente sukzessive ausgebaut. Das langfristige Ziel ist die Marktführerschaft, wie in allen anderen Segmenten auch, in denen Amazon aktiv ist. Seit 2009 wurde massiv in den Fashionbereich investiert, insbesondere in den USA, wo man mittlerweile Macy’s und Co das Leben sehr schwer macht. Aber auch der europäische Fashionmarkt rückt für Amazon immer stärker in den Fokus. Zuletzt wurde die Strategie überarbeitet. So langsam stellt sich auch der Erfolg ein. Ende 2016 gehörte der Fashion Bereich mit über 60 Millionen verkauften Produkten im letzten Quartal zu den schnellst wachsenden Kategorien bei Amazon. Amazon Fashion Europe sieht sich selbst aber erst in der Anfangsphase einer sehr langfristigen Investition, also wird da noch einiges auf den On- und Offline-Fashionmarkt in Europa zukommen. Nach aktuellen Studien kauft jetzt schon fast jeder zweite deutsche Online-Shopper Mode bei Amazon“, führt Walbaum aus.
Was ist Amazons Strategie?
Insgesamt gesehen greift Amazon nach immer Segmenten – startet Gründer Jeff Bezos jetzt also richtig durch und entwickelt seinen Online-Versand zum Vollsortimenter? Schließlich investierte Bezos mit der Übernahme der Bio-Kette Whole Foods ja auch gerade in den Einzelhandel. Was erhofft sich Amazon? Und liegt der Online-Versand im Lebensmittel-Segment nun auf Eis? „Amazon ist bereits heute ein Vollsortimenter und allein in Deutschland mit mehreren hundert Millionen Produkten kategorieübergreifend im Netz aktiv. Laut eigener Aussage ist es Amazons Ziel, „alle Produkte weltweit online verfügbar zu machen’ (Ralf Kleber). Um die Kunden über alle Kanäle ansprechen zu können, sind auch stationäre Touchpoints sinnvoll – Amazon experimentiert diesbezüglich ja bereits seit einiger Zeit mit unterschiedlichen stationären Formaten“, so Hudetz. Und auch für einen weiteren Einstieg in den Lebensmittelhandel sei dies konsequent: So betrage der Offline-Anteil selbst in den Vorreiternationen über 90 Prozent – in Deutschland sogar über 98 Prozent – und letztlich seien stationäre Outlets allein vor dem Hintergrund logistischer Herausforderungen beim Onlinevertrieb von Lebensmitteln sinnvoll. „Ich gehe davon aus, dass die Bemühungen im Onlineversand weitergehen werden – zumindest in den Metropolen. Doch auch hierbei wird zunächst die Verknüpfung mit Amazon Prime im Vordergrund stehen“, schätzt Hudetz. Auch Walbaum ist überzeugt, dass Amazon schon seit Längerem richtig durchstartet und seine Wachstumsstrategie konsequent umsetzt. Sukzessive würden nahezu alle Konsumbereiche erschlossen. „Amazon weiß aber auch, dass die Zukunft des Handels in der intelligenten Verknüpfung zwischen On- und Offlinehandel liegen wird. Daher testet Amazon zunehmend auch offline beziehungsweise stationäre Formate. Amazon erhofft sich davon seine Wachstumsstory fortzusetzen, seine Datenbasis um stationäres Kaufverhalten auszuweiten und diese Daten am Ende des Tages wieder konsequent zu monetarisieren“, sagt Walbaum.