„Als Love Brand muss man sich immer wieder neu erfinden“

Zur Love Brand zu werden, bezeichnet Tabea Höllger als „Königsdisziplin der Markenführung“. Im Interview erklärt die Markenexpertin, welchen Gefahren Marken ausgesetzt sind, die es in diesen erlesenen Kreis geschafft haben.
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Love Brands sprechen ihre Fans emotional an. Die Bindung zwischen beiden hält oft ein Leben lang an. (© Unsplash)

Frau Höllger, wie wird eine Marke zur Love Brand?

Eine Marke kann nur zur Love Brand werden, wenn sie eine sehr hohe Attraktivität für ihre Kunden erzielt. Wichtig ist, es geht hier nicht allein um Bekanntheit. Sie muss eine Relevanz im Leben ihrer Fans aufbauen, und das gelingt nicht allein über funktionale Werttreiber. Es braucht eine höhere Ebene, eine stärkere Emotionalität.

Und wie erreichen Marken diese Ebene?

Bei Love Brands wie Haribo oder Nutella reicht der Geschmack allein nicht aus – er ist der Hygienefaktor, der funktionale Wert. Die emotionale Bindung entsteht durch Werte wie Fröhlichkeit und Spaß (Haribo) oder Geborgenheit und Nostalgie (Nutella). Authentische Wertevermittlung zieht Menschen an. Bei Love Brands matchen diese Werte besonders mit den tiefen, emotionalen Bedürfnissen ihrer Fans, man fühlt sich einer Gemeinschaft aus Gleichgesinnten zugehörig und dadurch entsteht diese starke Bindung, die oft ein Leben lang hält.

„Love Brands können durch besonders hohe Attraktivität und Bekanntheit objektiviert werden.“

Was, bei dieser doch eher subjektiven Betrachtung, sind objektivierbare Kriterien?

Die emotionale Verbindung zu messen und zu objektivieren ist herausfordernd, doch es gibt Kennzahlen, die dabei helfen können und die Marken im Blick behalten sollten. Love Brands zeichnen sich durch ihre hohe Attraktivität aus, daher sind Kennzahlen wie Wiederkaufrate, Cross-Selling-Rate, Preispremium, Weiterempfehlung und Loyalität hilfreich. Klassische Love Brands sind keine Nischenmarken, sie erreichen eine kritische Masse und sind für viele Menschen attraktiv, wie Apple oder Coca-Cola. Love Brands können durch besonders hohe Attraktivität und Bekanntheit objektiviert werden. Bei BrandTrust arbeiten wir dem BrandTrust Performance Monitor, der das Spannungsfeld zwischen Attraktivität und Bekanntheit misst und strategische Erkenntnisse liefert.

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Zur Person: Tabea Höllger, Markenexpertin und Partner bei der Unternehmensberatung BrandTrust, entwickelt und implementiert zukunftsorientierte Markenstrategien für Kunden im gesamten deutschsprachigen Raum. Ihre Branchenschwerpunkte liegen in den Bereichen Sustainability, FMCG und Retail. (© BrandTrust)

Wie gelingt es Marken über Jahrzehnte hoch in der Gunst der Kund*innen zu bleiben?

Dies ist die Königsdisziplin der Markenführung. Hat man einmal Attraktivität aufgebaut, bedeutet das nicht automatisch, dass diese für immer bleibt. Fans gewöhnen sich schnell an Leistungen, und die Attraktivität unterliegt einer gewissen Gravitationskraft. Als Love Brand muss man sich immer wieder neu erfinden, aber auf dem gleichen Kern basierend. Es braucht Stabilität und Stimulanz für die Markenführung. Coca-Cola arbeitet hier mit Produktinnovationen wie Coke Zero und mit der klaren Positionierung auf den Wert „Happiness“. Dieses Jahr wurde „Happiness“ in Kampagnen für eine jüngere Zielgruppe inszeniert. Es gab Festival-Tickets zu gewinnen – für die Happiness in deinem Sommer.

Coca-Cola, aber auch Adidas oder Mercedes fallen einem sofort ein, wenn man an klassische Love Brands denkt. Sind solche „Old School“-Love Brands eigentlich unantastbar?

Von außen betrachtet, entsteht schnell das Bild, dass Love Brands unangreifbar sind. Dieser Eindruck täuscht jedoch. Marken müssen aktiv geführt werden, und das ist anstrengender, als man denkt. Im Erfolg – oder auch in der Panik – tendieren Marken dazu, sich unnötig aufzublähen und den eigenen Kern zu verwässern. Ich glaube nicht, dass Marken durch Krisen, das Wirtschaftsgeschehen, Trends oder aktuell durch Inflation und Konsumklima zerstört werden. Marken zerstören sich immer von innen heraus.

„Marken zerstören sich immer von innen heraus.“

Geben Sie uns ein Beispiel?

Die Marke Adidas hat in den letzten Jahren an Profil verloren, indem sie sich in jede Sportart ausdehnte und parallel als Lifestyle- und Streetwear-Marke brillieren wollte. Der neue CEO Bjørn Gulden hat klare Fokus-Sportarten definiert und wieder Grenzen gezogen. Bis diese Strategie wirkt, wird es dauern. Eine gute Markenführung braucht beides – eine ruhige Hand und Mut. Starke Marken haben starke Grenzen, die sie bewusst managen müssen. Ein regelmäßiger Abgleich, was wirklich zum Kern passt und wie das mit den Bedürfnissen der Fans matcht, ist ein unaufhörlicher Kreislauf. Nur so können markenspezifische Maßnahmen und Erlebnisse entstehen, die wirken und die Fans begeistern.

Adidas hat viele seiner Fans auch in anderer Weise enttäuscht und etwa durch eine unrühmliche Partnerschaft mit dem Skandalrapper Kanye West oder die aktuelle Olympia-Kampagne mit dem Topmodell Bella Hadid am eigenen Image gekratzt. Gefährdet so etwas auch den Love-Brand-Status?

Wie bereits oben erwähnt, ziehen Marken Menschen durch ihre Werte an. Nehmen Fans diesen Werte-Fit nicht mehr wahr, wenden Sie sich von der Marke ab. Loyale Fans verzeihen gerade ihren Love-Brands auch einmal den einen oder anderen Fehler – besonders wenn es eine authentische Begründung gibt. Deshalb sind echte Fans das höchste Gut für Marken: Sie sind loyal, sie empfehlen aktiv, sie verzeihen und geben Feedback. Doch häufen sich die „Vorfälle“ und die eigenen Werte werden verletzt, gefährden solche Skandale natürlich das Image.

Prinzipiell gilt für Marken, dass sie bei jeglicher Zusammenarbeit mit Partnern, sei es als Kollaboration, als Sponsoring, mit Influencern oder auch bei Lizenzierungen immer einen Werte-Abgleich machen sollten. Passen meine Markenwerte zu denen des potenziellen Partners? Nehmen meine Fans diese Zusammenarbeit als glaubwürdig und stimmig wahr? Wer diese Fragen nicht eindeutig und klar mit ja beantworten kann, sollte die Partnerschaft nicht eingehen – das gilt auch für starke Love Brands.

„Marken müssen identifizieren, in welchem Bereich der Nachhaltigkeit sie den größten Hebel haben.“

Welche Rolle spielt Nachhaltigkeit im Zusammenhang mit Love Brands?

Richtig umgesetzt, können Nachhaltigkeitsmaßnahmen emotionale Werttreiber für Kunden sein. Wichtig ist, dass die Marke das Thema ernsthaft angeht, prüft, was zu ihren eigenen Werten und der Positionierung passt, und welche Bedürfnisse ihre Kunden in Bezug auf Nachhaltigkeit haben. Marken müssen identifizieren, in welchem Bereich der Nachhaltigkeit sie den größten Hebel haben. Spenden für Baumpflanzaktionen oder LED-Birnen im Headquarter sind schnell gemacht, aber interessiert das wirklich meine Fans oder stärkt es die emotionale Verbindung?

Nicht wirklich. Aber wie gelingt es dann?

Love Brands in der Lebensmittelindustrie könnten spezifischere Maßnahmen ergreifen und dabei stärker auf die soziale Säule der Nachhaltigkeit setzen. Was tue ich zum Beispiel gegen Lebensmittelverschwendung bei meinen Produkten? Wie kann ich dazu beitragen, dass Kinder eine Bildung in Sachen Ernährung erhalten? Maßnahmen, die im direkten Umfeld der Menschen spürbar werden, können eine Love Brand auch im Bereich Nachhaltigkeit differenzieren.

(tht, Jahrgang 1980) ist seit 2019 Redakteur bei der absatzwirtschaft. Davor war er zehn Jahre lang Politik- bzw. Wirtschaftsredakteur bei der Stuttgarter Zeitung. Der Familienvater hat eine Leidenschaft für Krimis aller Art, vom Tatort über den True-Crime-Podcast bis zum Pokalfinale.