Von Diana Michnay
Beim Outdoor-Ausrüster Vaude in Obereisenbach/Tettnang (Bodenseeregion) ist das Sahnehäubchen der Unternehmenskultur: An der Spitze sitzt eine Frau, eine Mutter von vier Kindern.
Die 42-Jährige Antje von Dewitz ist frei von Attitüden und Chefgehabe. Schlank, durchtrainiert, in verwaschener Jeans und T-Shirt könnte sie mit jedem Posten ihrer Firma in Verbindung gebracht werden. Was Umweltschutz und Frauenförderung angeht, ist sie sicherlich Idealistin, hinzu kommen Pragmatismus und eiserner Wille: Ob es um einen firmeneigenen Kindergarten geht, um Umweltfreundlichkeit oder um Nachhaltigkeit – von Dewitz lässt nicht locker. 1998 stieg sie in die Firma ihres Vaters Albrecht ein (Vaude ist das lautmalerische Kürzel der Anfangsbuchstaben von Dewitz), baute als Praktikantin den damals neuen Produktbereich „Packs’n Bags“ auf – und war schwanger. „Als ich ins Unternehmen kam, kannte ich keine anderen Frauen mit Kindern in Führungspositionen“, sagt von Dewitz im Gespräch mit der absatzwirtschaft. „Damals hatte ich Zweifel, ob das gut geht, hatte immer das Fanal der Rabenmutter im Kopf.“ So griff sie die alten Pläne des Vaters über ein Vaude-Kinderhaus wieder auf. So kam eines zum anderen.
Unternehmerische Balance
Als die promovierte Wirtschaftswissenschaftlerin dann 2009 Geschäftsführerin wurde, war Vaude schon auf dem besten Weg zu dem Vorzeigeunternehmen, das es heute noch ist. Vergleichbare Firmen muss man mit der Lupe suchen. Warum das so ist? „Die unternehmerische Balance zwischen sozialer, ökologischer und wirtschaftlicher Verantwortung macht Spaß, ist aber schon eine Herausforderung“, sagt von Dewitz, „man wächst ja im Glauben auf, dass so etwas eigentlich gar nicht profitabel sein kann. Und es ist zum Teil schwierig und anstrengend, den damit verbundenen Ansprüchen gerecht zu werden.“ Die Probleme sind vielfältig und ein täglicher Kampf: „Umweltfreundliches Material kostet das Doppelte wie eines mit PVC. Oder es kann sein, dass es umweltfreundliche Alternativen gibt, die aber dann nicht unseren funktionellen Anforderungen entsprechen. Das sind dann moralische Dilemmas, die wir intern lösen müssen.“ Nicht lockerlassen.
Wenn die Chefin mit im Großraumbüro sitzt
Der gerade eingeweihte Firmenneubau wurde nach ökologischen Standards gestaltet. Großraumbüros, dazwischen verglaste Besprechungsräume. Die Chefin selbst hat einen Schreibtisch im Großraumbüro wie jeder andere auch. Die Mitarbeiter haben viel Freiheiten, es gibt zig Teilzeitmodelle, auch Home-Office ist möglich. 38 Prozent der Führungskräfte bei Vaude sind weiblich. Von Dewitz hat es geschafft, Frauen in Führungspositionen zu bringen – ohne Frauenquote. Trotzdem bezeichnet sie sich als „vorsichtige Befürworterin“ der Quote: „Was ich sehe, ist, dass die Bereitschaft von Unternehmen, mehr Frauen in Führungspositionen zu bringen, allein nicht ausreicht. Es braucht eine tiefgehende Beschäftigung mit dem Thema und einen internen Kulturwandel. Von daher sehe ich die Quote positiv, um hier den richtigen Impuls zu geben.“
Alles ist möglich, wenn es die Unternehmenskultur möglich macht
„In den meisten Unternehmen ist die Kultur noch eher männerdominiert. Meiner Erfahrung nach haben aber gerade Frauen noch andere Interessen als Karriere. Bei Männern hat die oft oberste Priorität. Anwesenheit in der Firma bis in den späten Abend wird in einer klassischen Unternehmenskultur dann häufig mit Leistung gleichgesetzt. Bei uns nicht. Besprechungen sind nicht open end, sie müssen zu einem bestimmten Zeitpunkt fertig sein. Und auch nicht abends stattfinden. Das klingt jetzt nach Kleinkram, aber solche Dinge waren sicher mitverantwortlich, dass wir ohne eine spezielle Förderung mehr Frauen in Führungspositionen gebracht haben.“ Klingt nach Kleinkram? Nein, eher nach einer Revolution. Anwesenheit bedeutet für von Dewitz nicht direkt gute Leistung. Nicht bei „normalen“ Angestellten, nicht bei Führungskräften und auch nicht bei Antje von Dewitz: „Manchmal arbeite ich schon bis 19 oder 20 Uhr. Oft genug bin ich aber schon um 17 Uhr daheim. Ich persönlich bin sehr zufrieden mit meiner Work-Life-Balance.“
„Wir sind ein Wirtschaftsunternehmen, kein Sozialverein“
Auch mit dem Umsatz? Die Vaude-Unternehmensphilosophie kostet viel Geld. Da kommt Antje von Dewitz in Fahrt. „Wir sind ein Wirtschaftsunternehmen, kein Sozialverein und keine NGO. Aber es stimmt, wir haben höhere Kosten als andere. Teilzeitarbeitsplätze kosten mehr, genauso verhält es sich mit Audits, ökologischen Materialien und Zertifizierungen. Trotzdem rechnet sich unser Modell: Beispielsweise über die höhere Effizienz, geringere Fluktuation oder den niedrigen Krankenstand.“ Als inhabergeführtes Unternehmen muss Vaude seine Zahlen nicht veröffentlichen, von Dewitz sagt: „Unser Umsatz liegt über dem europäischen Outdoor-Durchschnitt.“
Bleibt die Frage: Warum gibt es nicht mehr Vaudes in Deutschland? Das kann auch die Unternehmerin nicht beantworten. Vielleicht liegt es daran, dass selbst eine willensstarke Frau wie Antje von Dewitz bestimmte Voraussetzungen braucht, um ihre Vorstellungen zu verwirklichen. Natürlich hat sie ein beratendes Team um sich, doch im Ernstfall kann sie alleine entscheiden. Auch ist es ein Vorteil, Outdoor-Bekleidung herzustellen. Denn Outdoor-Fans haben eine große Affinität zu Umwelt- und Nachhaltigkeitsthemen. Antje von Dewitz wird auch in Zukunft nicht lockerlassen und denkt positiv: „Ich sehe Vaude an der Speerspitze einer neuen gesellschaftlichen Entwicklung.