Spätestens seit der Dmexco ist klar: Alles wird programmatisch. Über kurz oder lang werden alle Formen der digitalen Werbung zumindest in Teilen über automatische Marktplätze oder direkt per Software gehandelt werden. Wir sprechen heute schon über Programmatic Radio, TV oder gar Print.
Für die Advertiser war der potentielle Effizienzgewinn solcher Lösungen schnell klar. Zu attraktiv ist die Chance, mehr Transparenz im Markt für die Buchung von Werbeflächen zu günstigeren Konditionen zu nutzen. Die Publisher-Seite tat sich zunächst schwer. Man wollte keinesfalls die guten direkten Beziehungen zu den großen Werbungtreibenden aufs Spiel setzen. Der persönliche Kontakt im Key-Account ist für die Upselling-Strategie der Publisher und deren Vermarkter zu wichtig. Gleichzeitig lockt die effiziente Vermarktung bisher gering ausgelasteter Werbeflächen der zweiten oder dritten Kategorie. Hier hat die Wirkungsbewertung im programmatischen Umfeld durchaus das Zeug, die früher als Restplätze verramschten Inventare vor allem im LongTail und in der Nische als leistungsfähig zu kennzeichnen und dadurch teurer zu verkaufen. Aber freilich droht auch der umgekehrte Fall: Bisher gut verkaufte Werbeflächen könnten sich als gar nicht so leistungsfähig erweisen.
Die Vordenker der Programmatic-Idee
Dieses Spannungsfeld führte zum aktuellen Status Quo. Die wertvolleren Inventare werden zwar auch für die Automatisierung angeboten, aber dann in privaten Marktplätzen, bei denen die Publisher und Vermarkter entscheiden, zu welchen Konditionen die Werbungtreibenden einbuchen können. Gleichzeitig sind massenhaft Marktteilnehmer am Start, die Entweder auf der Nachfrage- oder auf der Angebotsseite Technologien ins Spiel bringen, um Kampagnen automatisiert auszuspielen und zu optimieren. Durch dieses dynamische Marktwachstum ist inzwischen aber das Gegenteil von dem entstanden, was sich die Vordenker der Programmatic-Idee vor fünf Jahren erdachten. Statt ultimativer Transparenz im Markt herrscht ein enormer Wildwuchs. Keine Konferenz vergeht, in der nicht prominente Werbungtreibende mehr Transparenz im Markt einfordern. Richy Ugwu, der für die Metro-Gruppe neue Technologien evaluiert, sieht zum Beispiel das Problem der Datenqualität, speziell im mobilen Sektor: „Mit Facebook haben wir gute Erfahrungen gemacht, was die Datenqualität im mobilen Bereich angeht. In der Mobile Programmatic Szene gibt es aber auch Ansätze, deren Nutzen aus meiner Sicht fraglich sind“. Ugwu nennt zum Beispiel Zielgruppendefinitionen, die aus Panels hochgerechnet werden. „Wie genau können solche Modelle sein“, fragt der Düsseldorfer.
Für den Werbungtreibenden und seine Agentur wird es immer schwieriger, im Vorfeld zu erahnen, wie leistungsfähig dieser neue Kanal oder jener zusätzliche Datenpunkt im Targeting tatsächlich sind. „Gerade der Teil des programmatischen Eco-Systems, der zwischen Demand- und Sell-Side-Plattformen abgewickelt wird, lebt von seiner Vielfalt an Websites, Apps und Datenquellen, deren Qualität und Wertbeitrag kaum kontrollierbar scheint“, analysiert Oliver Busch, Head of Agency bei Facebook.
Mindeststandards und die Angst vor Fraud
Der BVDW greift mit seiner Initiative zum Code of Conduct genau hier an. Die Unterzeichner verpflichten sich dazu, die Standard-Terminologie aus einem Glossar des BVDW von 2014 weitgehend einzuhalten. Dies regelt zum Beispiel die Definition von Viewability. Standard bleibt hier die 50:1 Regel, nach der ein Werbemittel als sichtbar gilt, sobald es zur Hälfte für eine Sekunde im sichtbaren Bildschirmbereich beim Nutzer auftaucht. Eine Maßnahme, die zum Beispiel gegen die immer noch viel zu präsenten PopUnders gerichtet ist. Sollten sich die Marktteilnehmer auf strengere Standards wie zum Beispiel 50:2 einigen, bleibt das davon natürlich unberührt. Ein größerer Teil des Code of Conduct widmet sich dem Thema Daten. Hier sollen die Datenlieferanten in der Zukunft angehalten werden, klar Auskunft über die Datenquellen, die Methodik der Erhebung und die Cookie-Policy geben zu können. Vom Code of Conduct gewünscht ist, dass diese Informationen standardmäßig mitgeliefert werden. Verpflichtend ist, dass die Datenlieferanten auf Nachfrage darüber Auskunft geben können.
Das dritte große Segment ist den Themen Fraud und AdColission gewidmet. Die Supply-Side ist angehalten, präventiv entsprechende Sicherungsmechanismen einzurichten und Tools einzusetzen, die die Reichweite auf nichtmenschlichen Traffic überprüfen. Bis zu 30 Prozent des Kampagnentraffic ist aktuell Fraud-belastet, meint ein Brancheninsider. Das Anbieten von Traffic unbekannter Herkunft ist strikt verboten und die Angebotsseite verpflichtet sich, bei der Bewertung und anschließenden Vergütung einer Kampagne die Herkunft des Traffic nachvollziehbar zu machen. Außerdem enthält der Code weitere klare Abgrenzungen, die vor allem internationale Publisher vor interessante Herausforderungen stellen könnten. Enthalten ist etwa die Selbstverpflichtung keinerlei Inventare anzubieten, die nicht mit Brand-Safety-Tools überprüft werden und die inhaltlich oder beim Datenschutz gegen deutsches Recht verstoßen.