Von Peter Hanser
Was waren es doch früher für „gemütliche“ Marketingzeiten: Da machte man seine Marketingplanung für die nächsten ein bis drei Jahre und arbeitete den Plan entsprechend ab. Heute stellt sich die Welt durch die Digitalisierung ganz anders dar: Die Kommunikationskanäle sind explodiert, eine Fülle von Daten steht in Echtzeit zur Verfügung, Lebenszyklen der Produkte verkürzen sich ebenso wie Kampagnenzyklen, tradierte Geschäftsmodelle verändern sich, und die Macht der Konsumenten steigt durch die sozialen Netzwerke – um nur einige Herausforderungen zu nennen. Für Hornbach-Marketingvorstand Karsten Kühn schlagen sich diese Entwicklungen in einer Veränderung der Distanz zwischen Unternehmen und Kunden sowie in einer wesentlich erhöhten Geschwindigkeit in der Kommunikation als auch in der Kundenreaktion nieder.
Kommunikationsabteilungen müssen sich neu erfinden
In mehrere Richtungen gehen für Jochen Sengpiehl, Vice President Marketing by Hyundai Motor Europe, die Veränderungen. Er erwartet, dass die bisherigen Silostrukturen – hier Marketing und Werbung, dort klassische Produkt-PR und Corporate Communications – immer weiter zusammenwachsen werden. „Damit entstehen neue Strukturen: weg von vertikalen hin zu horizontalen Organisationsformen“, prognostiziert der Hyundai-CMO und folgert: „Die Kommunikationsabteilungen müssen sich also neu erfinden.“ Dabei werden für Sengpiehl große Hersteller und Marken zu ihren eigenen „Brand Publishern“, die immer stärker gemeinsam weltweit Inhalte kreieren und verteilen. Die Kundenansprache erfolgt infolgedessen immer weniger indirekt über Mittler. Das bedeutet: Bezahlte Inhalte – Paid Content also – dienen zukünftig ausschließlich der Generierung von Traffic in den digitalen Medien. Unternehmen werden dazu übergehen, Kunden sowohl über eigene digitale Kanäle („Owned Media“) als auch klassische Medien („Earned Media“) zu erreichen. „Ein erfolgreicher Ausbau beider Kommunikationswege kann dabei nur über qualitativ hochwertige Inhalte erfolgen. Ein wichtiges Werkzeug hierfür sind sogenannte Content-Hubs“, betont Sengpiehl.
Die Digitalisierung sollte nicht als eine Bedrohung gesehen werden, bietet sie doch Chancen, wie sie Robin Ruschke, Director Brand Strategy bei Sixt, sieht: „Die Digitalisierung erlaubt, Prozesse zu beschleunigen, Informationen schneller zu verteilen, zu individualisieren und sofortiges Feedback der Kunden zu erhalten.“ Um das Potenzial für das Marketing voll auszuschöpfen, ist es notwendig, sich in den Kunden hineinzuversetzen und ihn immer wieder an allen Touchpoints zu begeistern. „Der Kunde ist unser eigentlicher Boss, und er denkt nicht in unterschiedlichen Kanälen, also tun wir das auch nicht“, lautet eine Konsequenz für den Autovermieter.
Agilität stärkt die Rolle des Marketings
Das ist eine Entwicklung, die dem Marketing in einer Phase des Zweifelns am eigenen Stellenwert im Unternehmen wieder neues Selbstvertrauen einhauchen könnte. In der Vergangenheit hatte sich Marketing genauso statisch organisiert und zum Silo entwickelt wie die anderen Unternehmensfunktionen. Die Folge: Marketing degenerierte häufig zur Kommunikationsabteilung, entwickelte sich zum Synonym für Werbung und war viel mit sich selbst beschäftigt. „Nun jedoch bildet Marketing wieder mehr die Membran nach außen zu den Märkten“, konstatiert Udo Klein-Bölting, Managing Partner und CEO von Batten & Company und Schüler von Marketingguru Heribert Meffert. Denn Agilität setzt beim Kunden an, indem sie die Befriedigung seiner Bedürfnisse in den Vordergrund rückt und versucht das Kundenerlebnis über alle Kanäle zu optimieren. So könnte die erforderliche Agilität dem Marketing dazu verhelfen, wieder seinem ursprünglichen Anspruch, nämlich der Führung des Unternehmens vom Markt her, gerecht zu werden – ganz im Meffertschen Sinn. „Die Unternehmen wissen ja eigentlich sehr genau, dass es keine Alternative zum Marketing gibt“, stellt Klein-Bölting fest. Aber eine agile Marketingorganisation allein reicht dafür noch nicht aus. Denn um das Kundenerlebnis optimal gestalten zu können, braucht das Marketing das Zusammenspiel mit anderen Funktionen wie dem Vertrieb, dem Kundenservice oder der Logistik ebenso wie der IT, der Produktentwicklung oder Forschung und Entwicklung, dem Finanzbereich oder dem Controlling. „Echte Agilität funktioniert nur, wenn alle Bereiche eines Unternehmens vernetzt und die Prozesse aufeinander abgestimmt sind. Das Marketing ist nur ein Teilprozess im Bekanntmachen und Verkaufen der Produkte“, verortet Ruschke das Marketing im Unternehmensgefüge. Voraussetzung dafür seien gute Produkte, die zum Unternehmen und zu den Anforderungen der Kunden passen. Dabei geht es nicht um die Frage, ob der eine oder andere Bereich führend sein sollte. Für Kühn ist es bei den verschiedensten Herausforderungen vielmehr wichtig, die Mitarbeiter aus den unterschiedlichsten Bereichen enger zusammenarbeiten zu lassen und ihnen eine hohe Verantwortung sowie Freiheit – und damit ein hohes Vertrauen in ihre Entscheidungskompetenz – zu geben, damit sie handlungsfähig sind.
Abschied vom vertikalen Denken
Agilität wird extrem wichtig für den Markterfolg. „Nur wenn ein Unternehmen agil ist, kann es optimal auf Situationen und die wandelnden Anforderungen des Kunden eingehen“, betont Brand-Manager Ruschke. Die Kundenbedürfnisse stehen deshalb bei Sixt im Zentrum des Handelns, die der Autovermieter nur mit einer gewissen Agilität glaubhaft erfüllen kann. „Agilität ist zwingend notwendig, Agilität sollte deshalb ein Dauerzustand sein“, empfiehlt Berater Klein-Bölting. Welche Eigenschaften eine agile Organisation auszeichnen, listet Christian Kortmann, Leiter Brand- und Launchmanagement der Freenet AG, auf: „Schnelligkeit, Flexibilität, Entscheidungsfreude, Mut, Neugierde, Innovations- und Anpassungsfähigkeit, Dialog- und Teamfähigkeit, Konsequenz.“ Für den Sixt-Manager Ruschke ist zudem eine starke Vernetzung innerhalb des Unternehmens wichtig ebenso wie ein echtes Interesse am Kunden. „Ziel muss es sein, laufend neu gesammelte Erkenntnisse sinnvoll zu nutzen, um ständig zu optimieren“, formuliert Ruschke die Herausforderung für die agile Marketingorganisation. Eine neue Offenheit, ein stärkeres Miteinander, flache Hierarchien und die Demokratisierung der Inhalte sind für Hyundai-Manager Sengpiehl die Zutaten für eine agile Marketingorganisation. „Alle Abteilungen entlang der Customer Journey müssen weg vom vertikalen hin zum horizontalen Denken und Handeln kommen“, lautet seine Forderung. Für CMO Kühn ist es aber auch auf der anderen Seite wichtig, bei all dieser Flexibilität, Anpassungsfähigkeit und Geschwindigkeit eine gewisse Ruhe und Gelassenheit zu bewahren, damit Marketing nicht zu einer Hyperaktivität ausartet.