Seibert Media sieht Unternehmen als wandlungsfähige Organismen, in denen sich Mitarbeiter*innen selbst organisieren und im stetigen Austausch stehen. Dazu braucht es Software, welche die Kommunikation und Zusammenarbeit in Teams stärkt. So wird agiles Arbeiten ermöglicht, also die Fähigkeit, sich auch kurzfristig an neue Situationen anzupassen. Diese Software entwickelt und vertreibt Seibert Media. Doch das Unternehmen liefert seinen Kund*innen nicht nur die Software – es lebt Agilität selbst vor, und das auch im Leadership.
Paul Herwarth von Bittenfeld ist Partner bei dem Software-Unternehmen aus Wiesbaden und erklärt im Interview, welchen Führungsansatz Seibert Media verfolgt und wie agile Transformation gelingen kann.
Herr Herwarth von Bittenfeld, in Ihrem Weblog sprechen Sie davon, dass Führung bei Seibert Media anders gestaltet ist. Konkret heißt es: „Wer ein hierarchisches Führungsverständnis mit Weisungsbefugnis und Personalverantwortung in den Händen einzelner Führungskräfte sucht, wird es hier nicht finden.“ Wie sieht Führung in Ihrem Unternehmen aus und welche Vorteile bringt diese Leadership-Variante?
Die Art von Organisationsmodell, mit dem wir agieren, wird als Zellstrukturdesign bezeichnet. Es handelt sich um eine marktwirtschaftlich-dezentralisierte Organisationsform, die es uns ermöglicht, schnell auf am Markt wahrgenommene Veränderungen zu reagieren. Die Entscheidungen werden dabei nicht „oben“ getroffen, sondern „außen“ – bei den Teams, die direkt mit dem Markt interagieren. Diese Organisationsstruktur braucht die Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung an vielen Stellen der Organisation. Aufgaben wie strategische Ausrichtung, Gehaltsdefinitionen, Mentoring von Personal und vieles andere, verteilt sich dabei auf viele Köpfe.
Welche Herausforderungen haben sich in der Praxis aus diesem Ansatz ergeben – und wie haben Sie diese gelöst?
In der Regel haben Menschen, die neu zu uns kommen, noch nie in einem vergleichbaren Umfeld gearbeitet. Das bringt einige Fragen und Unsicherheiten mit sich. Dies haben wir in unserem umfangreichen Onboarding-Fahrplan besonders berücksichtigt. In den ersten Monaten bei uns leitet der Flugplan die neuen Mitarbeitenden dabei, sich selbst-organisiert durch Termine mit Menschen aus verschiedenen Bereichen des Unternehmens bei uns einzufinden. Dabei wird auch ein großer Schwerpunkt auf das Führungsverständnis gelegt. Unsere Organisationsstruktur, unser Führungsverständnis, z.B. aber auch unsere Ansätze für Organizational Change werden in dem Rahmen ausführlich besprochen. Ein Mentor – bei uns Fluglotse – begleitet unsere Newbies durch diesen Prozess. Aber auch fortlaufend wird der Austausch zum Führungsverständnis durch Impulsvorträge oder Diskussionsrunden gefördert.
Trotz aller Dynamik und Bewegung: An welchen Prinzipien, Werten und Normen hält Seibert Media im Bereich Leadership fest und warum?
Es geht viel um grundlegende Werte, die sich in unserem Handeln wiederfinden sollen. Es geht um Offenheit, Vertrauen, Teamwork und mehr. Die Ansätze, die wir verfolgen, mögen neu sein oder neue Namen tragen. Im Grunde geht es aber um die Frage: Wie können wir noch besser zusammenarbeiten? Diese Frage wird uns vermutlich auch in 100 Jahren noch umtreiben.
Sie bieten Produkte, die agile Zusammenarbeit ermöglichen. Wie kann nach Ihrer Erfahrung agile Transformation konkret aussehen? Oftmals besteht bei Unternehmen zwar der Wunsch nach agilem Arbeiten, aber wo man starten muss oder kann ist an vielen Stellen unklar und damit wohl die größte Hürde.
Wir selbst sind die Transformation in verdaulichen Schritten angegangen. Kleine, kontinuierliche Veränderungen, die über die Jahre einen erheblichen Effekt haben. Wir haben ursprünglich auf der Team-Ebene angefangen mit Scrum agile Arbeitsweisen einzuführen. Immer dann, wenn unser Unternehmen vor einer Herausforderung stand, haben wir uns umgeschaut und umgehört, welche agilen Ansätze dabei helfen könnten. Dabei stößt man unweigerlich auf eine Diskussion rund um ein agiles Mindset.
Wenn kleine Veränderungen erfolgreich agil gemeistert wurden, schafft das die Zuversicht, auch nach und nach die größeren Blöcke anzugehen. Zu den größeren Veränderungen gehörten bei uns dann etwa die Abschaffung aller klassischen Führungsrollen aus unserer damaligen Linienorganisation, eine Open Books-Policy mit Offenlegung aller Unternehmens- und Projektzahlen, eine open by default-Einstellung zu allen Inhalten im Intranet oder auch kollegial bestimmte Gehälter. In Kurz: Welche Herausforderung möchte man gerade lösen, die bisher mit klassischen Instrumenten nicht überwunden werden konnten? Das kann ein guter Ausgangspunkt sein, sich einmal auf neue Ansätze einzulassen.
Welche Entwicklungen der letzten Jahre waren für agiles Arbeiten besonders förderlich, welche eher blockierend?
In den ersten Jahren ging es noch sehr stark um die Positionierung von agilen Vorgehensweisen gegenüber klassischen Vorgehensweisen. Leider gab es zu der Zeit viele schlecht durchgeführte Pilotierungen agiler Vorgehensweisen in Unternehmen, die dazu geführt haben, dass das Thema in vielen Organisationen für eine Weile verbrannt war. Über die Jahre konnten sich agile Methoden aber zunehmend etablieren, gefühlt auch viel aus kleineren und mittelständischen Unternehmen heraus gepusht, denen das agile Arbeiten näher lag.
Was ist Ihrer Meinung nach der entscheidende Punkt für diese gestiegene Offenheit gegenüber agilem Arbeiten?
Die Ansätze sind einfach besser darauf ausgerichtet, sich mit ändernden Rahmenbedingungen zurechtzufinden. Je mehr Menschen Erfahrungen mit agilen Vorgehensweisen einbringen konnten und die Erfolgsquoten der Projekte gestiegen sind, desto mehr kam der Ruf auch aus großen Organisationen, großflächig auf agile Methoden umzusteigen. Das hat neue Herausforderungen mit sich gebracht, da auf einmal große Unternehmenseinheiten mit vielen Menschen transformiert werden sollten. Hier kam nun die letzte Dekade das Thema agile Skalierung auf, bei dem sich Ansätze wie das Scaled Agile Framework (SAFe) zunehmend etabliert haben. Eine der großen Herausforderungen, an der dann auch gearbeitet wurde, war es, aus der IT und der Softwareentwicklung noch stärker in ganzheitliche Value Streams zu gehen und Soft- und Hardware integriert zu betrachten. Der nächste Schritt führt die Organisation dann hin zum Thema Business Agility, bei vom Strategieprozess bis hin zu den operativen Abläufen die Wandlungsfähigkeit des Unternehmens forciert wird.
In Ihrem Podcast haben Sie dem Intranet mehrere Folgen gewidmet. Wie hilft Social Intranet heute, ein Unternehmen agiler zu machen und welche Rolle spielt das Intranet für Ihren Führungsstil?
Intranets sind heute keine reine top-down-Kommunikationsmaschine mehr, in der geschönte Nachrichten der Unternehmenskommunikation geteilt werden. Es geht darum, Systeme bereitzustellen, die den offenen Austausch im Unternehmen ermöglichen. Die Meinungsbildungsprozesse im Unternehmen unterstützen können. Die Transparenz schaffen.
Entscheidungsfindung hinter verschlossenen Türen in holzvertäfelten Räumen war gestern. Bereits in der Entwicklung der Unternehmensstrategie spielt das Intranet daher eine wichtige Rolle, um Gedanken zu teilen, Ideen zu diskutieren und Feedbacks in den Prozess einfließen zu lassen. Das kann auch gerne einmal sehr kontrovers sein. Daher ist es wichtig, Ambiguitätstoleranz aufzubauen, also vielfältige Signale empfangen und konstruktiv verarbeiten zu können. Wenn das gelingt, sitzt das ganze Team mit im Boot, auch ohne Hochglanz-Kommunikationskampagne ins Unternehmen rein.