KI und Jobverlust: „Agenturen müssen sich neu aufstellen“

Viele in der Marketingbranche fürchten angesichts der Entwicklungen beim Thema KI den Jobverlust. Zurecht? Ein Gespräch mit Christina Schehl, Executive Vice President von Capgemini Invent.
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Christina Schehl, Head of frog, part of Capgemini Invent, in Deutschland. (© Frog)

Frau Schehl, Klarna hat seine Marketingkosten im ersten Quartal 2024 mit KI um knapp 40 Prozent gesenkt, vor allem Agenturen sind davon betroffen. Auch das interne Marketingteam hat Klarna „stark abgebaut“. Befürchten Sie eine Massenarbeitslosigkeit von Kreativen in der Werbebranche?

Nein, ich glaube nicht an eine Massenarbeitslosigkeit. Die KI ist noch nicht in der Lage, alle kreativen Aufgaben zu übernehmen, insbesondere in Bereichen wie der Content-Visualisierung. Es wird eher zu einer Veränderung der Rollen kommen. Kreative müssen lernen, KI-Tools zu nutzen, um ihre Arbeit effizienter zu gestalten. Es wird eine verstärkte Nachfrage nach neuen Fähigkeiten geben, insbesondere in der Datenanalyse und Interpretation. Beispielsweise müssen Marketingfachleute lernen, wie sie Datenmodelle aufbauen und nutzen, um personalisierte Kundenerlebnisse zu schaffen.

Glauben Sie nicht, dass Unternehmen in der Zukunft eher bereit sein werden, Personalkosten zu sparen und auf KI zu setzen, wenn die Technologie und ethische Richtlinien ausgereift sind?

Unternehmen werden sicherlich versuchen, Kosten zu sparen, aber es wird nicht nur um Einsparungen gehen. Die Nutzung von KI wird eher als Hebel für Innovation und Effizienz gesehen. Es wird zu einer Umstrukturierung kommen, bei der neue Jobprofile entstehen und bestehende Rollen sich verändern. Die Kreativität und menschliche Intelligenz werden weiterhin entscheidend sein, um innovative und effektive Marketingstrategien zu entwickeln.

Was bedeutet das für Agenturen?

Kreativagenturen müssen sich neu aufstellen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Das bedeutet, dass sie sich von reinen Kreativleistungen hin zu KI-basierten Geschäftsmodellen entwickeln müssen. Die Rolle der Agenturen wird sich verändern, sie müssen stärker integrativ mit KI arbeiten und die neuen Technologien nutzen, um effizienter und innovativer zu werden. Ich sehe KI als Hebel für Innovation, nicht als Bedrohung. Agenturen, die diese Veränderung annehmen, können ihre Relevanz und ihren Wert steigern. Es geht darum, schneller und intelligenter zu arbeiten und gleichzeitig die menschliche Kreativität und Intelligenz zu bewahren.

Wie werden sich die Anforderungen an die Qualifikationen und Fähigkeiten von Kreativen durch den Einsatz von Generative AI verändern?

Es wird eine verstärkte Nachfrage nach Datenkompetenzen geben. Marketing und Kreativarbeit basieren heute stark auf Daten. Die Fähigkeit, diese Daten zu interpretieren und für personalisierte Marketingstrategien zu nutzen, wird entscheidend sein. Zudem müssen Kreativagenturen lernen, generative KI-Tools zu integrieren und zu nutzen, um relevant zu bleiben. Ein Beispiel dafür ist die Automatisierung von Bildmaterial für Produktkataloge, was früher sehr teuer und zeitaufwendig war.

Gibt es konkrete Beispiele dafür, wie Frog Generative AI bereits erfolgreich in Projekten eingesetzt hat?

In unseren Projekten unterstützen wir Unternehmen aller Industrien dabei, KI entlang der Customer Experience einzusetzen: Beispielsweise implementieren wir mit einem Automobilhersteller KI in dessen Kundenservice und automatisieren mit einem Produzenten im Maschinenbau die Content-Generierung für seinen Produktkatalog. Auch in der Personalisierung von Kundenerlebnissen und der Optimierung von Kommunikationsstrategien bringen wir KI zum Einsatz.

Capgemini will „das Potenzial des Menschen durch den Einsatz von Technologie entfalten“, wie es auf der Homepage heißt. Was bedeutet das konkret für Ihre Arbeit?

Dieses Ziel bedeutet für uns, Technologie als Enabler für menschliches Potenzial zu sehen. Unsere Aufgabe ist es, Technologie so zu integrieren, dass sie Menschen unterstützt und ihnen hilft, ihre Fähigkeiten zu erweitern. Dabei legen wir großen Wert auf Diversität und Inklusion, sowohl in unseren Teams als auch in den Lösungen, die wir entwickeln. Integrative und nachhaltige Zukunft bedeutet für uns, dass wir technologische Lösungen schaffen, die allen Menschen zugutekommen und auf Nachhaltigkeit einzahlen.

Welche Rolle spielt dabei die ethische Verantwortung bei der Implementierung von Generative AI?

Ethik ist ein zentrales Thema für uns. Es gibt noch viele Unsicherheiten und Herausforderungen, insbesondere was den Vertrauensaspekt betrifft. Wir achten darauf, ethische Standards sicherzustellen und Richtlinien umzusetzen, damit unsere KI-Implementierungen fair und transparent sind. Wir arbeiten eng mit unseren Kunden zusammen, um dies zu gewährleisten. Unsere ethischen Überlegungen beinhalten auch die Frage, wie KI-basierte Entscheidungen nachvollziehbar und gerecht gestaltet werden können. Es ist wichtig, dass Unternehmen ihre Verantwortung wahrnehmen und KI umsichtig nach hohen ethischen Standards einsetzen.

(amx, Jahrgang 1989) ist seit Juli 2022 Redakteur bei der absatzwirtschaft. Er ist weder Native noch Immigrant, doch auf jeden Fall Digital. Der Wahlberliner mit einem Faible für Nischenthemen verfügt über ein breites Interessenspektrum, was sich bei ihm auch beruflich niederschlägt: So hat er bereits beim Playboy, in der Agentur C3 sowie beim Branchendienst Meedia gearbeitet.