Herr Dietrich, 2020 haben Sie und Yaël Meier die Agentur Zeam gegründet. Woher kannten Sie einander und wie sind Sie zum Gründen zusammengekommen?
Jo Dietrich: Yaël und ich waren zu dem Zeitpunkt bereits privat ein Paar. Im Sommer 2019 fiel uns auf, dass viele Produkte und Kampagnen auf unsere Altersgruppe abzielten, aber nicht funktionierten. Wir wurden damals von unserem Umfeld oft um unsere Meinung gebeten, einfach weil wir jung waren: Ich aus der Investment-Perspektive – ob sich ein bestimmtes Produkt für junge Leute lohnen würde – und Yaël aus journalistischer Sicht, etwa für Instagram-Magazine, um jüngere Leute zu erreichen. Wir merkten schnell, dass in Unternehmen zwar erkannt wurde, wie wichtig die Zielgruppe 14 bis 30 ist, aber niemand unter 30 tatsächlich am Tisch saß, um mitzureden.
Und Sie wollten diese Lücke schließen?
Genau. Ende 2019 testeten wir das, indem Yaël ein LinkedIn-Profil erstellte und über unsere Vision schrieb. Unsere Regel war: Wenn das Anklang findet, gründen wir in meinen Semesterferien – wenn nicht, reisen wir nach Brasilien. Schon im Januar 2020 war das Feedback überwältigend. Also entschieden wir uns, loszulegen, und gründeten im Februar 2020 Zeam – ziemlich genau fünf Jahre ist das jetzt her.
Sie haben im Februar angefangen – das heißt, im Corona-Jahr zu gründen war keine bewusste Entscheidung?
Richtig, wir haben noch kurz vor Covid gegründet, es war also keine bewusste Entscheidung, im Corona-Jahr zu starten. Rückblickend war das aber eine spannende Herausforderung.
Inwiefern?
Agenturen sind ein klassisches People-Business: Ein großer Teil des Umsatzes kommt über Kontakte – sei es von der Geschäftsführung oder Mitarbeitenden mit Erfahrung in anderen Agenturen oder Konzernen. Das hatten wir im Alter von 19 und 23 Jahren alles nicht. Wir mussten also von Anfang an einen anderen Ansatz finden. Dazu kam, dass ich für meinen Master in Lissabon war und wir kein Büro hatten. Remote-Arbeit war damals noch ungewohnt, und Kunden ein Zoom-Meeting vorzuschlagen, klang fast seltsam. In diesem Punkt hat uns Covid geholfen, weil Remote-Arbeit plötzlich normal wurde. Unser Netzwerk haben wir dann konsequent über LinkedIn aufgebaut. Wir waren überzeugt, dass man dort – ähnlich wie auf Instagram im B2C-Bereich – im B2B-Kontext eine Reichweite aufbauen und daraus ein Business entwickeln kann.
Läuft heute bei Zeam immer noch alles ohne Büro?
Heute haben wir ein Büro – aber das war nicht immer so. Anfangs arbeiteten wir lange komplett remote – wir waren ja auch nur zu zweit. Unser „Büro“ war meine Uni, Cafés oder wo auch immer wir gerade waren. Selbst als das Team wuchs, blieben wir drei Jahre lang remote. Dann kam von den Mitarbeitenden der Wunsch nach einem festen Arbeitsplatz. Also haben wir es getestet: Wir sind mit dem ganzen Team für einen Monat in ein Hotel in Zürich gezogen, um zu sehen, wie es sich anfühlt, physisch zusammenzuarbeiten. Das hat sehr gut funktioniert. Seit einem Jahr haben wir nun ein fixes Büro, das genau auf unsere Bedürfnisse zugeschnitten ist.
Gibt es eine Anwesenheitspflicht?
Nein, alle können frei entscheiden, ob und wann sie ins Office kommt. Und weil uns der Team-Zusammenhalt wichtig ist, investieren wir weiterhin viel in unsere Unternehmenskultur: Wir organisieren Team-Events und Workations, waren gemeinsam in Berlin, New York und letztes Jahr zwei Wochen mit 25 Leuten in Kapstadt. Unser Ansatz ist also: Dezentral arbeiten, aber wenn wir zusammenkommen, dann intensiv.
Sie haben gesagt, Sie haben sich über LinkedIn ein Netzwerk aufgebaut. Wie kam es, dass die Plattform für Sie und Yaël Meier so gut funktioniert?
Wir kommen beide aus dem Journalismus und können beide gut schreiben – das hilft enorm, denn LinkedIn ist eine textlastige Plattform. 2020 gab es dort kaum Bild-Content, also war es essenziell, sich klar und pointiert auszudrücken. Zudem teilen wir unser Wissen konsequent und bleiben thematisch fokussiert: Es geht immer um junge Menschen. Wer sich für das Thema interessiert, folgt uns – insbesondere Yaël, die heute den mit Abstand größten LinkedIn-Account der Schweiz hat.
Und welche Kunden haben sich zuerst bei Ihnen gemeldet?
Von Anfang an war uns klar, dass wir mit Konzernen arbeiten wollen – nicht mit Start-ups, weil dort junge Menschen ohnehin stärker eingebunden sind. Einer unserer ersten Aufträge kam von einem großen Baukonzern in der Schweiz, genauer gesagt vom Head of HR. Das hat uns überrascht, weil wir anfangs dachten, es würde vor allem um Marketing und Produkte gehen. Tatsächlich machte Recruiting von Anfang an einen großen Teil unserer Arbeit aus – und das ist bis heute so geblieben.
Sie nennen den Schweizer Baukonzern als Beispiel – sind Ihre Arbeiten also auf die Schweiz fokussiert?
Wir arbeiten stark im deutschsprachigen Raum. Einer unserer Kunden im Employer Branding ist beispielsweise Vodafone in Deutschland. Die Herausforderungen sind länderübergreifend ähnlich: Wie gewinnt man junge Talente, wie bleibt eine Marke für die nächste Generation relevant? Unser Ansatz funktioniert deshalb nicht nur in der Schweiz, sondern international.
Apropos relevant bleiben: Anfangs sagten Sie, Ihre Expertise sei gefragt, weil Sie noch jung seien und zur relevanten Altersgruppe gehören. Braucht es Zeam dann in fünf oder zehn Jahren noch, wenn die übernächste Generation angesprochen werden soll?
Diese Frage wird uns oft gestellt. Unsere Antwort: Solange es junge Menschen gibt, wird unsere Arbeit relevant bleiben. Wir glauben nicht an starre Generationenschubladen wie „Boomer“ oder „Gen Z“, sondern daran, dass junge Menschen anders ticken als ältere – einfach, weil sie in einem anderen Kontext aufgewachsen sind. Wir helfen Unternehmen dabei, sich an diese Veränderungen anzupassen, sei es bei der Kundengewinnung oder im Recruiting. Das wird auch so bleiben.
Was ist eigentlich aus der Brasilienreise geworden, die als Alternative zu Ihrer Firmengründung geplant war?
Diese werden wir noch nachholen – aber zu viert! Denn seit der Gründung vor fünf Jahren sind wir auch Eltern von zwei Kindern geworden.